Mülldeponie bei Volokolamsk: Behörden reagieren auf Volkszorn

Auf der Mülldeponie Yadrovo in Volokolamsk wurden zwei Aerosolkanonen installiert, um die unangenehmen Gerüche zu beseitigen, so die Webseite der Moskauer Gebietsregierung. Damit „reduziere sich die Konzentration aktiver organischer Verbindungen“, heißt es in dem Bericht vom Gouverneur der Region Moskau Andrei Vorobjew.

Ein Medikament aus speziell gezüchteten Bakterien würde den unangenehmen Geruch auf der Deponie bekämpfen, assistierte der Minister für Wohnungswesen und kommunale Dienstleistungen der Region Moskau, Jewgeni Khromushin. Vorobjew überwache persönlich die Situation mit den Mülldeponien in den Vororten und berichte der Präsidialverwaltung über den Verlauf der Fälle.

Seitdem fast siebzig Kinder medizinisch behandelt wurden, Dorfbewohner demonstrieren und Straßen blockieren sowie Schneebälle und Fäuste auf Politiker fliegen, sind die Behörden aufgeschreckt und einigten sich auf die Sofortmaßnahme. Das Gesundheitsministerium und das für Ökologie und Naturmanagement der Region der Moskauer Region, die Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadzor und Katastrophenschutzministerium meldeten sich zu Wort.

Die Nachrichten vom Ereignis in Volokolamsk erreichten inzwischen den Kreml, dessen Sprecher Dmitri Peskow mitteilte, das Problem werde untersucht, es sei aber noch zu früh, um die Situation zu kommentieren. „Die Probleme sind sehr komplex und können nicht über Nacht gelöst werden.“

Präsident Putin kennt das Problem der Moskauer Deponien seit dem 15. Juni des Vorjahres. Damals beklagten sich Bewohner von Balaschicha über die schlechte Luft von der Deponie Kuchino. Die Einwohner aus dem Bezirk Kuchinsky hatten Behörden gebeten, dieses Problem zu beheben. Es geschah nichts und die Müllhalde wuchs weiter. In den vergangenen Monaten kam es wegen erhöhter Belastungen in mehreren Städten der Region Moskau zu Protesten gegen Mülldeponien – in Kolomna, Klin, Naro-Fominsk und Woskresensk.

Der Konflikt in Volokolamsk erreichte seinen ersten Höhepunkt Ende Februar, als viele Anwohner über starkes Unwohlsein klagten – Kopfschmerzen, Atemnot und Erbrechen. Niemand hatte irgendwelche Zweifel daran, Schuld seien die Emissionen aus den Deponiegase. Die Konzentration von Schwefelwasserstoff überschritt die maximal zulässige Konzentration um das 2,5-fache, die von Stickoxid um das doppelte. In sozialen Netzwerken veröffentlichten die Betroffenen ihre Beschwerden und einigten sich auf gemeinsame Aktionen.

Am 3. März, wie von den Organisatoren berichtet, kamen etwa fünftausend Menschen zu einer Demonstration, auf der sie forderten, die Deponie Yadrovo zu schließen sowie den Bezirkschef und eine Reihe von Mitarbeitern des Katastrophenschutzministeriums zu entlassen. Nach Ansicht der Demonstranten hätten diese vorfabrizierte Ergebnisse von Luftanalysen erstellt, die die vorgeschriebenen Grenzwerte nicht überschritten.

Am 10. März gingen die Leute wieder auf die Straße. Erst dann versprach Gouverneur Andrei Vorobjew, in zwei Wochen mit der Installation eines Entwässerungssystems zu beginnen.

Zehn Tage später, am 21. März, eskalierte die Lage um die Deponie Yadrovo, als ein neuer Schub von Schwefelwasserstoff-Emissionen für Vergiftungserscheinungen bei mindestens 68 Kindern sorgte. Die Anwohner verknüpften erneut ihren schlechten Gesundheitszustand mit den Gasemissionen aus der Deponie.

Die Sorge um die Gesundheit der Kinder führte, wie wohl überall auf der Welt, zu wütenden Protesten der Eltern, die in den Medien Erwähnung fanden. Einige sehen eine „öffentliche Gesundheitskrise“, andere die „Massenvergiftung von Kindern“ und die Novaja Gazeta schreibt gar vom „Volokolamsk-Massaker“.

Kein Wunder, dass es bei Auftritten von Politikern vor Ort zu Buhrufen, Schneeballwürfen und körperlichen Attacken kam. Über den schlechten Geruch klagen die Einwohner in ihren Protestkundgebungen schon seit einem Jahr. Mehr als 1.500 Menschen kamen spontan zum Stadtkrankenhaus. Nach einer Rangelei vor laufender Kamera sollen sich sechs Fahrzeuge mit Spezialeinsatzkräften (OMON) dem Hospital genähert haben.

Der Gouverneur der Region Moskau entließ demonstrativ Jewgeni Gawrilow, den Leiter des Volokolamsky-Bezirkes. „Der Bezirk wird ab jetzt von Andrei Vikharev geleitet, einem der effektivsten Regionalpolitiker der Region Moskau“, hieß es im Pressedienst. Vikharev war vorher Bürgermeister des Stadtteils Losino-Petrovsky.

Moskauer Behörden schlagen seit vielen Jahren vor, das Problem mit Müllverbrennungsanlagen zu lösen. Wegen des Widerstands der Anwohner sei die Realisierung dieser Pläne aber genauso schwierig, wie bestehende Deponien zu schließen. Der geplante Bau einer Verbrennungsanlage im Bezirk Orechowo-Zuevsky ist nach Ablehnung vor Ort jetzt in Naro-Fominsk geplant. Anwohner befürchten, dass Verbrennungsprodukte aus der Mülldeponie die Luft vergiften werde.

Am 24. März berichtete Dmitri Markow, Gesundheitsminister der Region Moskau, dass alle ins Krankenhaus eingelieferten wieder Kinder entlassen wurden. Anzeichen von „Vergiftung oder Intoxikation von ansteckenden Substanzen“ habe man bei ihnen nicht gefunden.

Die Behörden von Volokolamsk unterdessen kündigten den Einwohnern von Volokolamsk eine „groß angelegte Verbesserung der Stadt“ an. Bis zum Ende dieses Jahres sollen umfangreiche Modernisierungsarbeiten durchgeführt werden, versprach Vikharev. „So bald wie möglich wolle er Volokolamsk zu eine der bequemsten Städte Moskau machen – mit Kinderspielplätzen, Spielstraßen und Fußgängerzone.“ Auch der Gouverneur der Region Moskau, Andrei Vorobjow, kündigte ein großangelegtes Programm zur Verbesserung von Volokolamsk an.

Zum Leidwesen wohl aller Beteiligten beklagten sich in der Nacht zum 25. März die Einwohner von Volokolamsk erneut über unangenehme Gerüche aus der Müllkippe. In sozialen Netzwerken hieß es, dass die Anzeigetafel mit der Echtzeit-Luftanalyse falsche Werte anzeige. Messungen ergaben, dass um 0:30 Uhr die maximal zulässige Gasemissionsrate der Deponie Yadrovo um das Siebenfache überschritten wurde, wie RIA Novosti zufolge der stellvertretende Gouverneur der Region Moskau, Alexander Chuprakov, bekanntgab. Unangenehmer Geruch allein sei schwierig, eine Verschlimmerung verschiedener allergischer und anderer Erkrankungen äußerst problematisch, aber ein hoher Überschuss an Standardemissionen schade der Gesundheit erheblich.

Erneut gingen Einwohner auf die Straße und verlangten die Schließung der Müllhalde. Aktivisten der Linken Front, die mit Fahnen auf der Demonstration erschienen, wurden aufgefordert, diese wieder einzurollen. Politische Agitation werde man nicht tolerieren. „Wir brauchen eure Unterstützung nicht. Wir haben nur eine Forderung – die Schließung der Deponie“, hielten die Einwohner von Volokolamsk den Vertretern der Linken entgegen, die die Situation schnell erkannten und sich zurückzogen.

Bereits am Vorabend gab es Unmut über die Ankunft des Oppositionspolitikers Alexei Navalny. Während der Kundgebung mit etwa 1000 Teilnehmern verbreitete sich das Gerücht, er würde an dem Treffen teilnehmen. Empörung machte sich breit. Nawalny, der in der Tat an Ort und Stelle war, blieb nicht länger als zehn Minuten in Wolokolamsk. Ohne das Auto zu verlassen fuhr er zurück nach Moskau.

Heute sollen sich weniger Demonstranten als gestern eingefunden haben. Wohl darauf zurückzuführen, dass die Bewohner endlich Aktionen der lokalen Behörden sahen. Inzwischen sind Bagger, Bulldozer, Muldenkipper, Lastwagen und Spezialfahrzeuge im Einsatz. Experten suchen nach Stellen, wo das Gas austritt – auf Schneemobilen, Jeeps und zu Fuß.

Der neue Bezirksleiter forderte die Anwohner auf, „das Problem friedlich zu lösen“. Er riet, keine Kinder mit auf Protestaktionen zu nehmen, weil es Leute geben könnte, die die Bewohner zu den Unruhen provozieren würden. „Sie sind daran interessiert, die Dinge in unserer Region schlecht zu reden. Unsere Aufgabe ist es, das Problem zu lösen und mit der jetzigen Situation fertig zu werden, damit es keinen Geruch mehr gibt und sich der Bezirk friedlich entwickeln kann“, so Vikharev in einer Videobotschaft.

Professor Alexander Ginzburg, stellvertretender Direktor für Forschung des Instituts für Atmosphärenphysik an der Russischen Akademie der Wissenschaften, erinnerte daran, dass die Reinigung der Deponie sehr lange dauern werde. „Ich denke, die Emission dieser Verunreinigungen wird fortfahren. Sie entstehen leider ziemlich regelmäßig, und werden von Zeit zu Zeit bis zur endgültigen Rekultivierung dieser Deponie als mehr oder weniger starke Emission auftauchen“, so der Experte. Der Gouverneur der Region Moskau hingegen meint, das Problem der Gasemissionen von der Deponie werde vor Mitte Juni gelöst sein.

Schwefelwasserstoff ist eine giftige Substanz der dritten Gefahrenklasse. Es betrifft hauptsächlich das zentrale Nervensystem. Besonders gefährdet sind Menschen mit Atemwegserkrankungen, Kinder, Schwangere, ältere Menschen. Je nach Dosis kommt es zu Unwohlsein, Übelkeit bis hin zur Ohnmacht und letztlich zum Tode.

Am 13. April wird der alte Teil der Deponie geschlossen. Dort installiere man ein System zur Gasnutzung aus den Niederlanden, das mindestens 10 bis 15 Jahre lang Deponiegase in Energie umwandeln kann, sagte Eugene Timmermans, kaufmännischer Leiter des niederländischen Unternehmens Multriwell. Bis dahin wird der Geruch von der Deponie durch das Versprühen eines speziellen Reagenzes unterdrückt – mit Aerosolkanonen.

Ein neues Deponiesegment wird am 14. April eröffnet und bis mindestens 2030 in Betrieb bleiben.

Bereits während des Wahlkampfs hatte Präsidentschaftskandidatin Ksenia Sobtschak dieses Thema aufgegriffen und Gouverneur Andrei Vorobyov aufgefordert, die Deponie zu schließen, die seit 1979 Abfälle aus Moskau und der Region Moskau aufnimmt.

[hub/russland.NEWS]

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