Moskau zu Corona-Zeiten – ein Selbstversuch© russland.news

Moskau zu Corona-Zeiten – ein Selbstversuch

Seit Monaten sind die Grenzen zwischen Russland und Deutschland wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Und höchstwahrscheinlich bleibt es in absehbarer Zukunft so. Was tun also, wenn man unbedingt fliegen muss oder will? Bekanntlich gibt es keine Regeln ohne Ausnahmen. Also nutzen viele Umwege, um zum Beispiel über die Türkei, die Schweiz, Belarus oder England nach Moskau zu gelangen. Auch die zwei größten Fluggesellschaften des jeweiligen Landes fliegen noch zweimal die Woche von Frankfurt aus Russland an. Bis Ende Oktober jedenfalls. Dann gibt es neue Flugpläne. Ohne Moskau als Reiseziel.

Alles, was rar ist, ist teuer. Also muss ich in den sauren Apfel beißen und sage und schreibe 300 Euro für einen einfachen Flug nach Moskau bezahlen (zum Vergleich: vor der Pandemie kosteten Hin- und Rückflug etwa 200 Euro). Ein Online Check-In ist nicht möglich, entsprechend lang sind die Schlangen bei der Registrierung im ansonsten so ungewöhnlich leeren Frankfurter Flughafen. Ob ich einen Platz am Gang und bitte ganz vorne haben könnte? Der Mann am Schalter schaut mich an, als hätte ich etwas ziemlich Dummes gesagt. „Sorry, die Maschine ist bis auf den letzten Platz ausgebucht. Die Meisten haben auch die Platzreservierung gekauft!“ Diese Russen! Bei den astronomischen Preisen haben sie noch Geld für sowas! Ich sitze in der Reihe 50, die sich als vorletzte entpuppt. Na super! Das gigantische Flugzeug hat 51 Reihen mit jeweils zehn Sitzen. Wahrscheinlich flog die Maschine früher nur Langstrecken, jetzt sammelt es alle, die Corona Einschränkungen überwinden wollen. Vor mir ist eine große Gruppe Frauen mit Kleinkindern: sie müssen noch weiter, nach Grosny….

Ich beobachte die Flugzeugpassagiere und erwarte, dass sie in der altern russischen Tradition Vorschriften nicht so genau nehmen werden und sobald das Flugzeug startet ihren Mund- und Nasenschutz abnehmen. Aber ich werde des besseren belehrt: Alle behalten ihre Masken während des gesamten fast dreistündigen Fluges an. Währende des Fluges müssen wir einen speziellen Fragebogen ausfüllen: Name, Adresse, Flugnummer etc.  Die Maschine landet erstaunlich weich, das Wetter in Moskau ist für Oktober erstaunlich warm, es sind plus 18 Grad … Wirklich, es ist alles anders in diesem Jahr. Vor der Passkontrolle steht ein Menschenmeer (alle weiterhin in Masken). So habe ich den Flughafen Scheremetjewo noch nie erlebt. Wo kommen sie alle her, ich dachte man kann nirgendwohin fliegen! Das kann aber Stunden dauern. Doch ich irre mich wieder. Nach etwa 20 Minuten bin ich durch. Vor der Gepäckausgabe stehen lange Tische, hinter denen Damen sitzen und unsere Fragebögen einsammeln. Hallo Moskau! Vor dem Flughafen das übliche Treiben. Der einzige Unterschied – viele Menschen tragen Gesichtsmasken. Wie gewöhnlich bestelle ich per App ein Taxi, dass genau in 10 Minuten da ist. Diesmal liege ich richtig, und wir geraten wie ich es auch erwartet habe in einen Stau. Mitten in der Nacht. So kenne ich meine Stadt! Doch danach „fliegt“ mein Taxi durch das nächtliche Moskau, das wie immer glitzert und glämmert.

Die Pandemie erkenne ich erst am nächsten Tag. Obwohl der Oberbürgermeister Sergej Sobjanin über Moskauer schimpft, sie würden die Sicherheitsmaßnahmen nicht so ernst nehmen, finde ich, dass meine Mitbürger Respekt vor Corona haben. Viele tragen einen Mund- und Nasenschutz, vor allem in der Metro. An jeder U-Bahnstation gibt es Spender mit Desinfektionsmittel. Stimmen von bekannten russischen Schauspielern appellieren an die Passagiere, an ihre Gesundheit zu denken und sowohl Masken als auch Handschuhe zu tragen. Nur mit dem Abstand klappt es nicht so richtig, wie soll es zu Stoßzeiten auch gehen? Vor den großen Einkaufspassagen stehen Sicherheitsleute und bitten jeden, der ohne Maske reingeht, die aufzusetzen. Auch in jedem Supermarket kann man Hände desinfizieren und (oder) Einweghandschuhe nehmen.

Ich hätte eigentlich das Haus gar nicht verlassen dürfen, denn ich muss binnen 72 Stunden nach der Ankunft aus dem Ausland einen Test auf Covid-19 machen lassen. Bis die Testergebnisse da sind, bin ich zur Selbstisolation verpflichtet.  Doch die Kliniken, die einen solchen Test frei Haus liefern, wollen am Sonntag sage und schreibe 8 000 Rubel dafür haben (€ 90) Ich hätte den Test auch direkt am Flughafen machen können, doch in sozialen Netzwerken ist von langen Schlangen die Rede. Also suche ich im Internet eine Klinik bei mir in der Nähe. Eine U-Bahnstation weiter bekomme ich den Test für umgerechnet € 30. Die Ergebnisse sind spätestens in 24 Stunden fertig und werden mir per Mail mitgeteilt. Wenn man Zeit hat, geht man in ein städtisches Ärztehaus, wo man mit Schlangen rechnen muss. Auf die Ergebnisse wartet man dann ca. fünf Tage, dafür bezahlt man auch nur die Hälfte. Auf einem Platz neben der Metrostation Rimskaja ist ein Zelt aufgebaut mit einem Logo, bei dem das Wort „Impfung“ auffällt.  Eine Frau kommt auf mich zu. „Wollen Sie sich nicht impfen lassen?“ Gegen Covid-19??? Ich bin sprachlos. Nein, es geht um eine normale Grippeimpfung. Ich kann sie völlig kostenlos bekommen. Das ist eine Aktion des städtischen Gesundheitsamtes. Dafür brauche ich nicht einmal eine Moskauer Registrierung. Wäre eine Überlegung wert. Aber zuerst muss ich Bescheid wissen, ob ich Corona habe oder nicht.

Mein Test ist in 12 Stunden fertig. Negativ! Ich bin frei! Aber nicht ganz. Jetzt kommt das Wichtigste und das Schwierigste: die Testergebnisse müssen auf eine spezielle Internetseite hochgeladen werden. Über Gosuslugi.ru (zu Deutsch so etwas wie staatliche Dienstleistungen) kann man ziemlich alles erledigen, Anträge stellen, Strafen bezahlen usw. Auch Corona-Tests müssen elektronisch erfasst werden, sonst gibt es … Strafen. Nach einigen Stunden fluchen und chatten mit Techniksupport habe auch ich es geschafft.

Jetzt kann ich endlich meinen Moskauer Aufenthalt genießen… Doch die Pandemie ist allgegenwärtig. Meine älteren Freunde bevorzugen zuhause zu bleiben. Ob Theater, Bars, Restaurants ganz normal aufhaben werden, ist sehr fraglich. Alles spricht über die zweite Welle. Also alles eigentlich genau so, wie in Deutschland.

Dann kümmere ich mich besser um den Rückflug, bevor es zu spät wird. Es ist zu spät. Die russische Airline verlangt für den Flug nach Frankfurt inzwischen umgerechnet 400 Euro. Doch es gibt eine Alternative. Der deutsche Anbieter fliegt weiterhin zweimal die Woche zwischen Moskau und Frankfurt. Allerdings sucht man die Tickets im Netz vergeblich. Die Buchung ist nur telefonisch möglich.  Die Hotline bestätigt die Möglichkeit bis Ende Oktober Moskau zu verlassen. „Unser letzter Flug geht am 30. Oktober. Dann ist Schluss. Werden Sie buchen?“ Ich denke, ja.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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