Kann Russland plötzlich Fußball spielen?

Die anfängliche Frage, wie das unverhältnismäßig hoch ausgefallen 5:0 gegen Saudi Arabien passieren konnte, darf nun neu formuliert werden: Hat Russland plötzlich gelernt, konkurrenzfähig Fußball zu spielen? Ägypten war kein starker Gegner, aber ein unbequemer.

Was ist plötzlich geschehen, mit dieser russischen Nationalmannschaft, die noch vor zwei Jahren bei der Fußball-Europameisterschaft so enttäuschte? Die in den Vorbereitungsspielen nahezu keinen Fuß auf den Boden bekam. Die als schlechtestes Team dieser WM im FIFA-Ranking geführt wurde.Ein blamables Aus schon in der Vorrunde wurde dem Gastgeber dieser Endrunde 2018 prognostiziert. Und dann dieser Wandel.

„Es war eine Mannschaft auf dem Feld“, gratulierte der russische Sportminister Pavel Kolobkow nach dem 3:1 gegen Ägypten. „Alle haben gekämpft und gearbeitet. Dies ist ein wohlverdienter Sieg. Darauf haben wir lange gewartet. Gratulation an die Jungs und das Trainerteam“, schwärmte er nicht ohne Stolz. Es ist das erste Mal, dass Russland über die Gruppenspiele bei einer Fußball-Weltmeisterschaft hinauskommt. Dem Team der UdSSR gelang dies zuletzt 1986. Aber die gibt es ja schon lange nicht mehr.

Fußball-Atheisten in Feierlaune

Laut der Forschungsgesellschaft Mediascope verfolgten alleine rund 2,5 Millionen Fernsehzuschauer das Spiel der Sbornaja auf dem ersten Kanal. Über 6,7 Millionen sollen es in der Moskauer Metro gewesen sein und 64.468 Zuschauer waren in der St. Petersburg Arena vor Ort. Überhaupt hat sich das Interesse der russischen Bevölkerung schon nach dem Auftaktspiel gegen Saudi Arabien mit einem Schlag gesteigert. Der Fußball und die WM, so möchte man meinen, endlich in Russland angekommen. Erfolg macht eben doch sexy.

Die Menschen in den Ausrichterstädten, man erlebt es am eigenen Leib, sind von heute auf morgen Fremden gegenüber aufgeschlossener geworden. Alexander Golowin und Fjodor Smolow heißen die neuen Stars in der Nationalmannschaft, Artjom Dsjuba schießt seine Buden. Und Igor Akinfejew ist im Tor endlich zu dem Rückhalt geworden, den man sich immer gewünscht hatte. Auch wenn die Gegner bisher keine wirkliche Herausforderung darstellten, wen interessiert das schon, solange die Treffer wie am Fließband fallen.

Dass Ägypten ein wesentlich unbequemerer Gegner war als die Saudis, sah man deutlich an den konsequenten Bemühungen der Russen, die jedoch keinen Abschluss fanden. Erst das Eigentor konnte die „Pharaonen vom Nil“ aus dem Tritt bringen. Der dritte WM-Treffer von Denis Tscheryshew, der eiskalt durch die Beine von El-Shenawy zum 2:0 vollendete und das bärenstarke Eins-gegen-Eins-Spiel mit Ali Gabr mit dem ins lange Eck gezirkelten 3:0 zeigten eine russische Offensive, die man nicht für möglich gehalten hätte.

Wir sind 23 Brüder“

„Probleme? Wir mögen dieses Wort nicht, wir führen es nicht in unserem Vokabular. Wir hatten nie Probleme, und wir werden keine Probleme haben“, so vollmundig kann nur ein Trainer vor die Presse treten, der weiß, dass er alles richtig gemacht hat. Und wie hat man ihn doch geschasst, noch kurz vor seinem WM-Debüt. Er würde die Mannschaft nicht erreichen, sein Trainingsstil wäre antiquiert. „Alle Kritik hat sich in Lob verwandelt“ bringt es Sergej Anochin, Vizepräsident des russischen Fußballverbandes, der Agentur Tass gegenüber auf den Punkt.

„Wir werden die Rivalen in Stücke reißen“, frohlockte der Sport Express voller Übermut nach dem Spiel und versuchte sich sogleich in einer Erklärung des Phänomens. „Wir geben den Russen den Glauben an den Fußball zurück. Dabei herrschte im Land bis vor kurzem noch Fußball-Atheismus.“ Es ist wahr, was die Zeitung schreibt, die ausgelassen feiernden Menschen auf dem St. Petersburger Newski Prospekt beweisen es. Sbornaja die Russen so begeistern. Russland im Rausch und die vor der WM schon abgeschriebene Mannschaft will mehr.

Sicherlich, die Gegner werden schwerer. Nach einer letzten Möglichkeit zur Kür gegen das Team aus Uruguay drohen Spanien oder Portugal im Achtelfinale. Zwei Mannschaften, die den Russen noch nie gelegen haben. Weder bei der Sbornaja, noch in den internationalen Wettbewerben auf Vereinsebene. „Wir sind 23 Brüder“, beschwört Angreifer Artjom Dsjuba den Teamgeist, der dieser Mannschaft neuerdings innewohnt – deren Spieler die Möglichkeit hätten, zu Helden zu werden.

[mb/russland.NEWS]

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