„Ich war sehr besorgt – und bin es heute noch“

Nicht nur in Deutschland hat der Reaktorunfall in Tschernobyl Verunsicherung und Angst ausgelöst – auch bei den nördlichen und südlichen Nachbaren sind die Erinnerungen an den Supergau haften geblieben. Im zweiten Teil unserer Umfrage nun Schweizer und dänische Stimmen aus Moskau.

Walter Fetscherin, Schweizer Botschafter in Moskau:

Vom Unglück erfuhr ich während eines Expertentreffens der KSZE (heute OSZE) über „Menschliche Kontakte“, welches im Frühling 1986 in Bern stattfand und dessen Exekutivsekretär ich war.

Wir hatten das Treffen im Hotel Bellevue organisiert, das zu diesem Zwecke von allen nicht teilnehmenden Gästen evakuiert worden war. Am bewussten Morgen begab ich mich von meinem Büro in einen der Sitzungssäle, als mir auf der Treppe die Leiter der amerikanischen und der sowjetischen Delegation entgegenkamen und mich über den Unfall informierten. Vor allem die ungewöhnliche Nervosität der Sowjets ließ sofort darauf schließen, dass sich etwas von außergewöhnlicher Bedeutung ereignet hatte.

In der kurz darauf beginnenden Sitzung unterrichteten sowohl die US- wie die sowjetische Delegation die Konferenz über die ersten Mitteilungen betreffend des Unglücks. Von diesem Tage an beherrschte Tschernobyl einen wichtigen Teil des noch ca. zwei Wochen dauernden Treffens.

Per Dalgård, Moskauer Korrespondent der dänischen Zeitung „Politiken“:

Zu dieser Zeit studierte ich in Edmonton in Kanada. Nachdem ich von dem Unglück erfahren hatte, galt mein erster Gedanke meiner Familie in Dänemark. Die Nachrichten berichteten von radioaktiven Wolken, die Richtung Skandinavien ziehen.

Ich war sehr besorgt – und bin es heute noch. Vor allem, weil ich zwischenzeitlich schon ein paarmal vor Ort die Resultate der Katastrofe gesehen habe. Die kranken neugeborenen Kinder in den Heimen…es ist einfach schrecklich.

Geradezu absurd sind die Studien der Atom-Lobby, die verbreiten, es sei eigentlich gar nicht so schlimm gewesen. Ich bin völlig gegen die Atom-Energie – auch in den reichen Industrieländern.

Dölf Michel, Restaurant-Inhaber „Cafe des Artistes“:

Ich war in den USA, als das Unglück geschah. Alles schien mir unvorstellbar und ich hab es wohl auch gar nicht richtig realisiert. Dies geschah erst, als ich 1990 nach Russland kam. Es ist für mich immer wieder überraschend, wie sorglos hier die Menschen mit dieser Problematik umgehen. Niemand scheint sich bewusst, dass ein solches Unglück jederzeit wieder geschehen kann.

Jetzt bauen sie noch neue Werke und wollen atomare Abfälle importieren, dabei wissen doch alle, wie marode die Infrastruktur ist. Aber die Opposition bleibt aus. Ich bin ein erklärter Gegner der Atom-Energie und das war ich schon vor Tschernobyl.

Max Schmid, Korrespondent Schweizer Radio DRS1: Moskau.

Ich arbeitete im Radio-Studio in Bern in der Schweiz, als die Meldung über Tschernobyl bei uns eintraf. Zuerst waren wir skeptisch. Wir zweifelten daran, dass so etwas überhaupt passieren kann. Dann entstand im Studio eine Hektik. Die Informationen verdichteten sich und wir wussten: dies ist ein Gau. Persönlich habe ich mich immer gedrückt, eine klare Meinung über Atomenergie zu haben.

Der Ausstieg braucht seine Zeit. Sehr skeptisch bin ich gegenüber den Abfällen. Ich denke, das ist ein weltweites Problem und wird wohl noch lange ungelöst bleiben.

Andreas Rüsch, Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Moskau:

Ich war damals noch Student. An etwas Genaueres kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich war besorgt über die Risiken, machte mir aber keine allzu großen Gedanken darüber. Wenn es Möglichkeiten gibt, die Atomenergie zu reduzieren, bin ich sehr dafür.

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