Hat die WM Auswirkungen auf die Entwicklung Russlands?

Vor kurzem wurde eine Studie über die Auswirkungen der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 auf die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bereiche Russlands vorgestellt. Während Offizielle die positiven Seiten hervorheben, dämpfen Kritiker die hohen Erwartungen und verweisen auf die Kostenfallen.

In rosigen Farben schilderten Arkadi Dworkowitsch, der Vorsitzende des Organisationskomitees Russland-2018 sowie stellvertretender Ministerpräsident der Russischen Föderation und sein Generalsekretär Alexej Sorokin das Resümee einer umfangreichen Studie zu den Folgen der WM auf Russland. Für das Ergebnis wurden sowohl die einmalige, als auch die langfristige Effizienz im wirtschaftlichen Umfeld bewertet.

Die Kriterien, die der Auswertung dienten, waren die Schaffung von Arbeitsplätzen, das Einkommen der Bevölkerung, der Einfluss auf die Entwicklung der Gastgeberregionen, das Humankapital sowie die Nachhaltigkeit sozialer und ökologischer Verhältnisse. Das Ergebnis sollte klären, in welchem Verhältnis die Kosten in Höhe von mehr als zehn Milliarden Euro für Vorbereitung und Durchführung der WM 2018 seit dem Jahr 2013 zur wirtschaftlichen Nachhaltigkeit des Landes stehen.

Laut Dworkowitsch habe das Resultat der Studie ergeben, dass der Folgetourismus in den kommenden fünf Jahren jeweils zwei bis drei Milliarden Euro einbringe. Dieses Plus hänge damit zusammen, dass viel in dauerhaft nutzbare Infrastruktur investiert worden sei. Während der Vorbereitungszeit wurden zwanzig Bahnhöfe und Bahnstationen umgebaut und modernisiert. Straßen wurden auf einer Gesamtlänge von 178 Kilometer entweder ausgebessert oder neu gebaut.

Investitionen in die städtische Infastruktur

Die Kapazität von Flughäfen in Städten, in denen die Spiele des Turniers ausgetragen werden, sei um mindestens 30 Prozent, wie in Nischni Nowgorod, und in fünf Städten gar um mehr als 100, in Wolgograd sogar um 280 Prozent gestiegen. In den drei Städten Nischni Nowgorod, Moskau und Sankt Petersburg wurden neue U-Bahnstationen eröffnet und in allen Städten, in denen Spiele stattfinden, wurden die Transportmittel im Nahverkehr komplett überholt.

Ferner, so der Chef-Organisator, wurden zehn Projekte für den Bau und die Modernisierung von Wasserversorgungs- und Abwassersystemen sowie vier Projekte für die Modernisierung zur integrierten Verarbeitung und Lagerung von festen Haushaltsabfällen durchgeführt. 16 regionale Stadtkrankenhäuser wurden komplett saniert. Durch diese Maßnahmen habe die Qualität des städtischen Siedlungsraums schon vor der Fußball-WM zugenommen.

Auch im Bereich des Gesundheitswesens seien die Auswirkungen schon jetzt spürbar. In Wolgograd wurde ein Heliport für Sanitätshubschrauber gebaut und in Kaliningrad ein neuer Standort für den Katastrophenschutz eingerichtet. Zusätzlich seien in Samara zwei Gesundheitseinrichtungen, einschließlich Notfallmedizin, Intensivstation, interventionelle Radiologie und Endoskopie renoviert worden. Insgesamt habe man für die Austragungsorte 622 neue Krankenwagen beschafft.

Ausgebildetes Personal

210.000 Russen, so das Resultat des Berichts, hätten zusätzliche Erfahrungen bei der Ausbildung zur Durchführung großer Turniere sammeln können. 79.000 hätten sich im Baugewerbe höher qualifizieren können. Dazu kommen 38.000 ausgebildete Kräfte im Hotel- und Gastgewerbe sowie 18.000 in den Bereichen Transport und Kommunikation. Genau so viele konnten sich für soziale und persönliche Dienstleistungen qualifizieren und zu Begleitpersonen und Volontären wurden 52.000 Russen ausgebildet.

Während des Turniers werden im Land 360 Kultur- und Bildungsveranstaltungen stattfinden. Das alleine trägt allerdings wohl kaum dazu bei, dass das Image des Landes durch die WM gesteigert worden sei, denn das Ergebnis der Untersuchung betont, dass die hohe Qualität der Weltmeisterschaft von drei Hauptbedingungen abhängig ist. Der Kompetenz der Betreuung, der Qualität der Organisation sowie der Sicherheit für die Besucher.

Wenn der Generalsekretär des Organisations-Komitees Alexej Sorokin auf die acht neu errichteten Stadien und fast hundert entstandenen Trainingsplätze hinweist, scheiden sich ohnehin die Geister. Während die Arenen während der Fußball-WM mit 35.000 bis 45.000 Plätzen sicherlich gut gefüllt sein werden, bleibt die Frage, was mit den, für teures Geld gebauten, Schmuckkästchen weiterhin geschehen soll. Außer dem Luschniki-Stadion in Moskau und der Gazprom-Arena in St. Petersburg rechtfertigt kein Veranstaltungsort der WM Neubauten dieser Größenordnung.

Ernüchterung nach dem Turnier

Die Austragungsorte Kaliningrad, Nischni Nowgorod, Wolgograd, Samara, Saransk, Rostow am Don und Jekaterinburg stellen keine Vereine für die höchste russische Spielklasse, die RFPL. Dementsprechend niedrig sind die Zuschauerzahlen, die, außer bei Zenit St. Petersburg mit durchschnittlich 40.000 und Spartak Moskau mit 28.000 Besuchern, selten über 15.000 Zuschauer pro Spiel hinausgehen. In der zweithöchsten Spielklasse sieht es noch düsterer aus. Für das Landespokal-Endspiel wurden die Karten sogar komplett verschenkt, um überhaupt jemanden ins Stadion zu locken.

Es ist jetzt schon abzusehen, dass die Stadien nach der WM bei durchschnittlich 1.000 bis 5.000 Zuschauern für die künftigen Betreiber zur Kostenfalle werden. Wurden die Baukosten noch großzügig vom Staat getragen, dürfen die Städte nach dem Turnier selbst für den Unterhalt aufkommen. Je nach Standort werden die städtischen Etats mit 2,6 bis 6,5 Millionen Euro, so schätzt man, belastet. Präsident Putin lässt inzwischen schon prüfen, ob für die Stadien nach der WM staatliche Gelder bereitgestellt werden könnten.

Auch Wirtschaftsexperten ziehen die rosigen Prognosen der Studie zur Nachhaltigkeit des Turniers in Zweifel. „Wenn die Wirtschaft nicht insgesamt stärker geöffnet wird, wird auch die neue Infrastruktur nicht genutzt werden“, sagte beispielsweise Natalia Orlowa, die Chefökonomin von der Alfa Bank, gegenüber der Zeitung Wedomosti. Ein weiterer Kritiker ist Wladimir Tichomirow von der Finanzgruppe BCS. Er sieht Russlands Image als Reiseland noch nicht gut genug, um nach der WM viele Touristen anzuziehen.

Die Mehrheit der Bevölkerung will offenbar nichts von den Unkenrufen, die diese Auswertung begleitet, wissen. 77% der Russen glauben immer noch fest daran, dass die Teilnahme am Turnier zum Prestige des Landes beiträgt.

[mb/russland.NEWS]

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