Handel zwischen Russland und den USA relativ gering

[Von Ullrich Umann Moskau-gtai] – Die russische Wirtschaftselite bemüht sich um Schadensbegrenzung. Wie Vizepremier Schuwalow betonte, machen nicht ausgesprochene Sanktionen der Regierung derzeit mehr zu schaffen als die bereits verhängten: Auf Unsicherheit reagiert der Kapitalmarkt negativ und das Investitionsklima trübt sich ein. US-Präsident Obama behält sich weitere Sanktionen vor. Doch wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er damit nicht auch den Interessen der USWirtschaft schadet – in Russland und zu Hause?

In den USA werden erste Analysen zum Thema veröffentlicht, wie Sanktionsausweitungen gegen die Russische Föderation auf die US-Wirtschaft und auf die US-Verbrauchermärkte zurückschlagen könnten. In diesem Zusammenhang stellt die Unternehmensberatung IBISWorld mit Sitz in New Jersey die Ausgangsthese in den Vordergrund, dass der kumulierte Anteil der Russischen Föderation und der Ukraine am US-Außenhandelsvolumen lediglich 1,1% beträgt und daher gesamtwirtschaftlich ein teilweiser oder kompletter Ausfall verkraftbar sei. Die USA beteiligen sich in umgekehrter Richtung mit 3,3% am russischen Außenhandel.

Russland – Außenhandel mit den USA (in Mio. US$)

gr1

Quelle: Föderaler Statistikdienst Rosstat, Moskau, 2014

Wie IBISWorld unterstrich, könnte es bestimmte US-Branchen treffen, sowohl bei den Ausfuhren als auch bei den Einfuhren. Russland stellte 2013 einen rasch wachsenden Markt für die USAutomobilwirtschaft, Flug- und Raumfahrtindustrie sowie für Ölkonzerne dar. Bei Flugzeugkomponenten aus Titan ist Russland bereits ein wichtiges Zwischenglied in der Wertschöpfungskette.

Wie die U.S. International Trade Commission (ITC) angibt, exportierten Automobilhersteller aus Detroit im Jahr 2013 Fahrzeuge und Teile im Wert von 1,3 Mrd. US$ in die Russische Föderation. Der russische Zoll beziffert die Lieferungen gar mit 2,1 Mrd. $. Allein General Motors (GM) lieferte 258.000 Kfz und erreichte damit einen Anteil von 9,1% am russischen Fahrzeugmarkt.

GM und Ford verfügen beide über Montagekapazitäten in der Russischen Föderation. Zusammen mit dem russischen Hersteller AwtoWAZ ist GM 2001 ein Joint Venture zur Herstellung leichter SUV der Marke Chevrolet-Niva eingegangen. Nach Angaben von GM-AwtoWAZ sind 340 Mio. US $ in die gemeinsame Produktion geflossen.

Im Jahr 2012 gründete GM-AwtoWAZ das Tochterunternehmen GV Systems, um dort Karosserien für das Nachfolgemodell des Chevrolet-Niva zu fertigen. Diese Produktionsanlage wird aktuell am Standort Togliatti zu Kosten von 209 Mio. US$ errichtet. Das neue SUV soll bei GM-Avtovaz ab 2015 vom Band laufen. Außerdem lässt GM Modelle von Opel bei Awtotor in Kaliningrad montieren.

Ausbauarbeiten laufen auch in der GM-Fabrik in Sankt Petersburg, die seit 2008 besteht. Hier ist das erklärte Ziel, den Ausstoß von 98.000 Fahrzeugen pro Jahr auf 230.000 ab 2015 zu steigern. Da die Stadtverwaltung von Sankt-Petersburg am 25.3.2013 angekündigt hat, allen in ihrem Einzugsgebiet befindlichen Automobilwerken den Status einer regionalen Sonderwirtschaftszone einzuräumen (Umsetzung realistisch ab Ende 2015), sinkt künftig die Steuerbelastung bei GM.

In Sankt Petersburg montiert auch der US-amerikanische Autobauer Ford Fahrzeuge im Rahmen seines Joint Ventures mit Sollers. Angesichts der Tatsache, dass Russland nach Deutschland der zweitgrößte Absatzmarkt für Kfz in Europa ist, dürften die US-Fahrzeugbauer ihre Standorte vor Ort nicht leichtfertig aufgeben wollen.

Die US-amerikanische Luft- und Raumfahrtindustrie exportierte laut ITC 2013 Produkte für 1,8 Mrd. US$ nach Russland. Insbesondere der Flugzeugbauer Boeing hätte Umsätze zu verlieren, würde er keine Passagiermaschinen mehr liefern können. Zwar entfielen 2013 nur 1,7% der gesamten US-Exporte im Bereich Luft- und Raumfahrt auf Russland. Doch zeigten die Lieferungen 2013 mit einem Plus von 27,2% eine hohe Dynamik. Dies macht Russland in den Augen der USRaum- und Luftfahrtindustrie in der Perspektive interessant. Im Gegenzug bezieht Boeing 35% seiner Flugzeugkomponenten aus Titan vom russischen Hersteller VSMPO-AVISMA. Diese Produkte dürften kurzfristig nicht substituierbar sein. Darüber hinaus kündigte Boeing in der Vergangenheit an, langfristig bis zu 27 Mrd. $ in Russland investieren zu wollen.

Von Relevanz für die US-Raumfahrt sind der Bezug von russischen Raketentriebwerken und die Nutzung russischer Trägersysteme, um Satelliten sicher und preisgünstig ins All zu transportieren. Allerdings soll diese Zusammenarbeit zunächst auf Eis gelegt werden. Einzige Ausnahme: der Betrieb der internationalen Raumstation ISS.

Wirtschaftliche Interessen in Russland verfolgt nicht zuletzt die US-Ölwirtschaft, darunter ExxonMobil und Chevron. Hinzu kommen Dienstleister und Hersteller von Bohr- und Förderausrüstungen für die russische Öl- und Gasindustrie. Die Halliburton International Inc. ist bereits seit 1991 vor Ort tätig und beschäftigt inzwischen 2500 russische Mitarbeiter. Zu den Kunden von Halliburton gehören praktisch alle wichtigen Öl- und Gasunternehmen in Russland, darunter Gasprom, Gaspromneft, Rosneft, Lukoil, TNK-BP, Royal Dutch/Shell, ExxonMobil und Total.

ExxonMobil hat in die Erschließung dreier Offshore-Felder im fernöstlichen Sachalin stark investiert. Die drei Felder Odoptu, Chajwo und Arkutun-Dagi weisen laut Exxon Vorkommen von 307 Mio. t Öl und 485 Mrd. cbm Erdgas auf. Das Gesamtprojekt wird unter dem Namen Sachalin-1 vom Tochterunternehmen Exxon Neftegas Limited geführt, das wiederum die Interessen weiterer fünf Branchenfirmen vertritt. Mit dem russischen Ölkonzern Rosneft hat Exxon 2011 darüber hinaus eine Vereinbarung zur gemeinsamen Erschließung und Förderung von Kohlenwasserstoffen im Arktis-Schelf und in West-Sibirien geschlossen. Der geschätzte Geschäftsumfang beträgt 500 Mrd. $.

US-Konzerne sind ebenfalls in der russischen Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie, in der Chemie- und Pharmabranche sowie in der Kosmetikindustrie aktiv. Wichtige Positionen halten USHersteller bei Bau- und Bergbaumaschinen. Mit der Citibank hat sich zudem eine der großen USamerikanischen Universalbanken nach Russland begeben.

Eine Ausweitung der Sanktionen der USA gegen Russland würde auf mittlere bis lange Frist auch an den Verbrauchern in den Vereinigten Staaten nicht spurlos vorbei gehen, wie IBISWorld unterstrich. Auf Russland und die Ukraine zusammen entfallen 10% der weltweiten Produktion von Weizen; die Ausfuhren beider Länder stellen einen Anteil von 17% am Weltmarkt bei diesem Agrarprodukt. Hinzu kommt, dass Russland und die Ukraine 18% Anteil am Weltmarkt für Mais, Roggen, Hafer und Gerste halten. Lieferunterbrechungen oder gar -ausfälle könnten zu höheren Preisen auf Grundnahrungsmittel in den USA führen.

Russland – Export ausgewählter Waren in die USA (Jahr 2013, in Mio. US$)

gr2

Quelle: Föderaler Zolldienst Russlands, Moskau, 2014

Russischer ausgewählte Importwaren aus den USA (Stand 2013, in Mio. $)

gr3

Quelle: Föderaler Zolldienst Russlands, 2014

COMMENTS