Der russische Präsident Wladimir Putin und die afrikanischen Staatschefs haben die Abschlusserklärung des zweiten Russland-Afrika-Gipfels in St. Petersburg verabschiedet. Der Text des Dokuments wurde auf der Internetseite des Kremls veröffentlicht.
Die Erklärung umfasst die Zusammenarbeit zwischen Russland und den afrikanischen Ländern in den Bereichen Politik und Recht, Sicherheit, Handel, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie, humanitäre Hilfe, Kultur, Sport und Umwelt.
Das verabschiedete Dokument listet 74 Punkte auf und umfasst mehrere Bereiche der Zusammenarbeit zwischen Russland und Teilen des afrikanischen Kontinents mit seinen 54 Ländern. Im Rahmen der Zusammenarbeit im politischen und rechtlichen Bereich vereinbarten die Unterzeichner eine „gerechtere, ausgewogenere und nachhaltigere multipolare Weltordnung“ zu schaffen und zur Stärkung der „zentralen Koordinierungsrolle“ der Vereinten Nationen als globalem Mechanismus zum Ausgleich der Interessen der Mitgliedstaaten der Organisation beizutragen.
Im Bereich der Sicherheit erklärten die Parteien ihre Bereitschaft, die Zusammenarbeit bei der Beilegung und Verhütung von Konflikten in Afrika fortzusetzen. Es wurde betont, dass das Prinzip „Afrikanische Probleme – afrikanische Lösungen“ als Grundprinzip für die Lösung solcher Konflikte dienen sollte. Putin erwähnte dasselbe Prinzip in seinem für die afrikanischen Medien geschriebenen Artikel „Russland und Afrika: Gemeinsame Anstrengungen für Frieden, Fortschritt und eine erfolgreiche Zukunft“, der im Vorfeld des Gipfels am 24. Juli auf der Webseite des Kremls veröffentlicht wurde.
Auch der Klima- und Naturschutz wurde zum Thema der Zusammenarbeit. Insbesondere die Anerkennung des Rechts der Staaten, „die für sie optimalen Mechanismen und Mittel zum Schutz und zur rationellen Nutzung der Umwelt zu wählen“. Ein Punkt sieht auch eine verstärkte Zusammenarbeit vor, um „eine Politisierung der internationalen Umwelt- und Klimapolitik zu vermeiden“.
Die Parteien einigten sich ebenso darauf, die Stärkung und Entwicklung der „internationalen politischen Grundlagen für die Aufrechterhaltung der strategischen Stabilität, der Rüstungskontrolle, der Abrüstung und der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme“ zu fördern. Darüber hinaus wollen Russland und die afrikanischen Staaten ihre Partnerschaft in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Investitionen weiter ausbauen.
Die russische Regierung hat der Wirtschaft wiederholt geraten, dem afrikanischen Markt mehr Aufmerksamkeit zu schenken, aber selbst die Autoren des erst im Juni 2023 vom Waldai-Club veröffentlichten Berichts, „Russland und Afrika: Eine Bilanz der Beziehungen“ schreiben: „Wenn wir eine detaillierte Bilanz der Arbeit der russischen Wirtschaft in Afrika in den letzten vier Jahren ziehen, werden wir feststellen, dass die Unternehmen, die in Afrika aktiv und relativ erfolgreich sind, immer noch diejenigen sind, die dort seit mindestens zehn Jahren tätig sind. Aber auch sie sind nicht zu den Lokomotiven und Treibern der neuen Welle geworden. Die Projekte, die von Zeit zu Zeit am Vorabend des zweiten Russland-Afrika-Gipfels angekündigt werden, sind nur vereinzelte Flecken und zaghafte Versuche, sich in die wirtschaftliche Konjunktur der aktuellen Realitäten bei der Erschließung neuer Märkte einzubringen.“
Russlands Exporte nach Afrika bestehen hauptsächlich aus Getreide (30 Prozent aller Importe), wobei Weizen rund 95 Prozent der Getreideeinfuhren ausmacht. Mehr als die Hälfte der Weizenlieferungen aus Russland gehen in die bevölkerungsreichsten Länder des Kontinents: Ägypten, Sudan, Nigeria, Tansania, Algerien, Kenia und Südafrika.
Im ersten Halbjahr exportierte Russland fast 10 Millionen Tonnen Getreide in afrikanische Länder, während Putin die Exporte für das gesamte Jahr 2022 auf 11,5 Millionen Tonnen schätzte. Der Handel mit Agrarprodukten zwischen Russland und afrikanischen Ländern stieg im vergangenen Jahr um 10 Prozent auf 6,7 Milliarden US-Dollar und im Januar-Juni 2023 um einen Rekordwert von 60 Prozent.
In den nächsten drei Monaten wird Russland Burkina Faso, Simbabwe, Mali, Somalia, die Zentralafrikanische Republik und Eritrea kostenlos mit 25.000 bis 50.000 Tonnen Getreide versorgen und die kostenlose Lieferung dieser Waren sicherstellen.
Neben Getreide bezieht Afrika auch Kohle, Erdölprodukte und sogar Gas aus Russland. Sie machen 18,3 Prozent der Gesamtimporte aus.
Für den afrikanischen Kontinent, dessen wirtschaftliche Entwicklung durch mangelnde Energiekapazitäten behindert wird, bietet die Kernenergie große Chancen. In Afrika lebt heute ein Fünftel der Weltbevölkerung (rund 1,5 Milliarden Menschen). Gleichzeitig produzieren die Länder des schwarzen Kontinents weniger als 1 Billion kWh Strom. Der Rest der Welt erzeugte im gleichen Zeitraum rund 30 Billionen kWh.
In Ruanda beispielsweise haben nur 70 Prozent der Menschen Zugang zu Elektrizität, während Ägypten ehrgeizige Pläne hat, bis 2035 einen Anteil von 42 Prozent erneuerbarer Energien am Energiemix zu erreichen. Insgesamt besteht ein starkes Ungleichgewicht und damit ein großer Bedarf an neuen Erzeugungskapazitäten.
Dieses Problem kann mit Hilfe der Kernenergie gelöst werden. Und hier hat der russische Staatskonzern Rosatom den afrikanischen Ländern etwas zu bieten: von großen Anlagen mit einer Leistung von 1200 MW bis hin zu kleinen modularen Kernkraftwerken mit einer Leistung von 50 MW und 100 MW in landgestützter und schwimmender Ausführung.
Generell ist die Zusammenarbeit zwischen afrikanischen Ländern und Rosatom systemisch und umfasst nicht nur die nukleare Stromerzeugung. Das russische Unternehmen bietet den afrikanischen Ländern eine breite Palette von Projekten in den Bereichen Nuklearmedizin, Windenergie, Wasserentsalzung, Bau von Bestrahlungszentren und Forschungsreaktoren an.
Unter Beteiligung russischer Unternehmen in 16 afrikanischen Ländern werden mehr als 30 Energieprojekte ausgearbeitet. Die Gesamtkapazität beträgt etwa 3,7 GW. Moskau hofft außerdem auf eine baldige Eröffnung einer russischen Industriezone im Gebiet des Suezkanals in Ägypten.
Durch den Putsch in Niger könnte sich ein weiteres Geschäftsfeld für russische Unternehmen entwickeln. In Bezug auf die Uranreserven liegt Niger weltweit auf Platz 8 und in Bezug auf die Produktion auf Platz 4 bis 6. Seit 45 Jahren wird es in Niger von der französischen Firma Orano abgebaut. Im März wurde die Erweiterung von Orano um eine neue Mine in Niger angekündigt. Vielleicht lassen sich die Organisatoren des Putsches
bald an einem einfachen Indikator erkennen lassen, mutmaßt der Wirtschaftshistoriker und Publizist Pawel Prjanikow: „Wer wird dort den Uranabbau kontrollieren?“
„Der Militärputsch in Niger ebnet den Weg für mehr russischen Einfluss in Afrika. Zuvor hatte die Militärjunta, die im benachbarten Mali die Macht übernommen hatte, Wagner-Kämpfer eingeladen, um für Sicherheit zu sorgen“, heißt es in der Moscow Times in dem lesenswerten Artikel Wagners Imperium in Afrika könnte um ein weiteres Land wachsen. Laut dem Telegram-Kanal Ateo habe die Militärjunta in Niger eine sofortige Einstellung der Uran- und Goldexporte nach Frankreich angekündigt.
Dmitri Prokofjew, Wirtschaftsredakteur der Nowaja Gaseta, vergleicht die Aussichten des zweiten Russland-Afrika-Gipfels mit den Ergebnissen des ersten Gipfels dieser Art im Jahr 2019, als versprochen wurde, den Handel zwischen Russland und dem afrikanischen Kontinent innerhalb von fünf Jahren auf 40 Milliarden US-Dollar zu verdoppeln. Fünf Jahre sind noch nicht vergangen, aber der Handelsumsatz ist nicht gestiegen.
Im Jahr 2020 exportierte Afrika lediglich Waren im Wert von 1,4 Milliarden US-Dollar nach Russland, was 0,4 Prozent des gesamten Exporthandels des Kontinents entspricht.
Afrikas Importe aus Russland beliefen sich 2020 auf 8,5 Milliarden Dollar – 1,7 Prozent des gesamten Importhandels.
Der Rückgang des Handelsvolumens im Jahr 2020 muss auf Quarantänebeschränkungen zurückgeführt werden, im Jahr 2022 gab es so gut wie keinen afrikanischen Handel, aber im prosperierenden Jahr 2021 gelang es Russland, Handel im Wert von 17,7 Milliarden Dollar zu treiben, wobei die Exporte nach Afrika 14,7 Milliarden Dollar und die Importe aus Afrika nach Russland 3 Milliarden Dollar betrugen – fast fünfmal weniger. Gleichzeitig entfallen 70 Prozent des gesamten afrikanischen Handels mit Russland auf nur vier Länder: Ägypten, Algerien, Marokko und Südafrika, aus denen etwas mehr als die Hälfte aller afrikanischen Exporte als Obst und Gemüse nach Russland kommen.
Russland betreibt also Handel mit Afrika, investiert aber nicht – seine Direktinvestitionen übersteigen nicht 1 Prozent der gesamten Auslandsinvestitionen. All das bedeutet nicht, dass Russland seinen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent nicht ausbaut und erweitert. Zum Beispiel hilft der Kreml einer Reihe von Regierungen, an der Macht zu bleiben, schreibt Schulden dieser Länder in Höhe von insgesamt 23 Milliarden US-Dollar ab und bleibt einer der größten Waffenlieferanten.
Aber das alles habe Prokofjew zufolge nichts mit der Modernisierung Afrikas zu tun, also mit der Verbesserung der Fähigkeit afrikanischer Länder, als zahlungsfähige Abnehmer russischer Waren aufzutreten.
Mit welch komplexen Problemen fast alle afrikanischen Staaten konfrontiert sind, zeigt die interessante Idee desniederländischen Ökonomen Rutger Bregman: Nur Länder, in denen ein bedeutender Teil der Bevölkerung zum Industriearbeiter proletarisiert wurde, sind entwicklungsfähig (modernisierbar). Das Werk und die Fabrik sind ein Schmelztiegel für die Landbevölkerung, die in die Stadt kommt; nach 2-3 Generationen entsteht aus diesem Schmelztiegel die Stadtbevölkerung.
Dieses Stadium durchliefen die Länder des Westens, die damals zur Zweiten Welt gehörten – auch Russland. Heute durchlaufen, wie Bregman schreibt, die Arbeiter in China, Vietnam und Bangladesch diesen Schmelztiegel.
Aber eine große Zahl von Ländern der Welt bleibt ohne Proletariat. Das sind fast alle Länder Afrikas und Mittelamerikas – und das sind letztlich die ärmsten Länder der Welt. Und es sind Länder, die keine Chance haben, sich zu modernisieren. Diese Länder werden vom Westen selbst in Armut und unwürdiger Herrschaft belassen, indem er ihnen Fisch statt einer Angel gibt – unkontrollierte Verteilung von kostenloser humanitärer Hilfe statt Industrialisierung und Technologisierung.
Bregman schreibt, die einzige wirklich effektive Hilfe für arme Länder bestehe darin, dass die Menschen in die Industrieländer auswandern, weil die dortigen Regierungen nicht in der Lage seien, Reformen durchzuführen. Der niederländische Ökonom sagt, dass der Arbeitsmarkt der letzte „Markt mit Grenzen“ geblieben ist, während Kapital-, Güter- und Informationsmärkte ohne diese Barrieren funktionieren.
„Vier verschiedene Studien haben gezeigt, dass je nach Grad der Mobilität auf dem globalen Arbeitsmarkt das Wachstum des ‚Bruttoweltprodukts‘ zwischen 67 und 147 Prozent liegen könnte. Das bedeutet, dass die Welt durch offene Grenzen doppelt so reich würde.
Ein Mexikaner, der in den USA lebt und arbeitet, verdient mehr als doppelt so viel wie sein Landsmann, der in seinem Heimatland bleibt. Ein Amerikaner verdient dreimal so viel wie ein Bolivianer, der die gleiche Arbeit verrichtet, selbst wenn sie sich in Bezug auf Qualifikation, Alter oder Geschlecht nicht unterscheiden. Ein Nigerianer verdient 8,5-mal weniger, wenn man die Kaufkraft in beiden Ländern berücksichtigt.
Das ist Apartheid im globalen Maßstab. Im 21. Jahrhundert sind die wahren Eliten diejenigen, die nicht in die richtige Familie oder Klasse, sondern in das richtige Land hineingeboren wurden. Doch diese moderne Elite ist sich ihres Glücks kaum bewusst.
Der Russland-Afrika-Gipfel fand am 27. und 28. Juli in St. Petersburg statt. Die Teilnahme von Delegationen aus 49 Ländern, darunter 17 afrikanische Staatschefs, wurde angekündigt. Am ersten russisch-afrikanischen Gipfel 2019 hatten 45 afrikanische Staatsoberhäupter teilgenommen. Der russische Präsident begrüßte die Ergebnisse des Gipfels. Auch Jewgeni Prigoschin, Gründer der privaten Militärfirma Wagner, zollte Putin Lob: „Das Forum ist gut verlaufen und wir werden die Ergebnisse in naher Zukunft sehen“.
Möge Putins Einschätzung, Russland und Afrika verbinde das Festhalten an traditionellen Werten, nicht bedeuten, Russland und Afrika verbinde das Festhalten am Status quo der traditionellen Beziehungen.
[hrsg/russland.NEWS]
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