Gott und Außerirdische. Woran glauben die Russen eigentlich?

„An Russland kann man nichts als glauben“. Ich weiß, ich weiß – nur der Faule zitiert diese Zeilen von Fjodor Tjuttschew nicht. Aber woran glauben die Russen selbst? Diese Frage beschäftigte auch das Allrusische Meinungsforschungszentrum (WZIOM). Nach dem das staatliche Institut ziemlich alles über seine Bürger in Erfahrung brachte  – z.B. wie patriotische sie sind (92% der Befragten), oder ob sie der Meinung sind, dass die Nationalmannschaft ihr Limit im Viertelfinale erreichte (40% der Befragten)  – wollte man in diesem Sommerloch (das sich nach der WM besonders schmerzlich anfühlt) auch die Glaubensfrage klären oder besser gesagt die Frage, wie die Russen wissenschaftlich eingestellt sind.

Dabei hat man festgestellt, dass fast die Hälfte der Russen (45%) an Außerirdische glauben. Dabei sind 27% davon überzeugt, dass sich diese Wesen von Erdbewohnern versteckt halten. 18% vermuten, dass die Regierung die Wahrheit über die Existenz des fremden Lebens im All vor der Bevölkerung geheim hält. Interessant, dass die Stiftung „Öffentliche Meinung“ eine ähnliche Befragung vor fünf Jahren durchführte. Damals sagten 38% der Russen aus, dass sie an Außerirdische glauben.

Der Wissenschaft und ihren Vertreten misstrauen ganze 59%. Sie denken, dass die Wissenschaftler ihr Wissen mit der Gesellschaft nicht teilen. So behaupten z.B. 57% der Russen, eine Mondlandung gab es überhaupt nicht. Man muss fairerweise an dieser Stelle anmerken, dass 77% dieser Skeptiker keinen Schulabschluss haben. Man kann aber auch durchatmen: immerhin 93% der Russen halten für bewiesen, dass unser Planet eine Kugel, und kein flaches Ding ist. Doch die Frage stellt sich trotzdem: wieso haben solche Verschwörungstheorien im Jahre 2018 in Russland Hochkonjunktur? Die Experten haben verschiedene Erklärungen. So meint z.B. Anna Owetchkina vom Institut für Globalisierung und soziale Bewegungen, dass das Folgen des Zerfalls der Sowjetunion und damit verbundener Schwächung des Bildungssystems im Lande sind. Denn nur die fundamentale Bildung fördert logisches Denken und leert, die Informationsquellen richtig zu bewerten. Außerdem neigen die Russen dazu, zwischen den Zeilen zu lesen – diese Tradition kommt aus der Sowjetzeit, als man der kommunistischen Propaganda dermaßen mistraute, dass man sogar faktischen Meldungen kein Glauben schenkte.

Der Psychologe Alexej Roschyn erklärt die Skepsis der Russen der Wissenschaft gegenüber damit, dass in den 90ern der Beruf eines Wissenschaftlers an seiner Attraktivität verlor. Das Geld für Wissenschaft fehlte, ganze wissenschaftliche Institute waren gezwungen, ihre Tätigkeit einzustellen. Wissenschaftler konnten kein Geld verdienen, mussten andere Jobs annehmen. Und wenn fundierte Bildung nicht hilft, gesellschaftlich weiterzukommen, wird Wissenschaft als solche verachtet. Das Bild eines „Geschäftsmannes“ rückte nach vorne. Gleichzeitig fing man an, wissenschaftliche Hypothesen zu missachten. Außerdem ist das Misstrauen der russischen Medizin gegenüber in der russischen Bevölkerung sehr hoch. Man vertraut lieber auf Homöopathie oder Heilpflanzen als einem Arzt. Dieses Misstrauen wird dann auf andere Wissenschaften übertragen.

Sind die Russen die einzigen, die an Außerirdische und ähnlichen Hokuspokus glauben? Offensichtlich nicht. Laut einer Untersuchung von YouGov aus dem Jahre 2015 glauben 54% der Amerikaner an Leben auf anderen Planteten und ganze 56% der Deutschen. Eine andere Umfrage aus diesem Jahr (Marist Institute for Public Opinion) stellte fest, dass 33% der Studenten und Schüler in den Vereinigten Staaten daran zweifeln, dass Erde wirklich rund ist.

Der Unterschied zu Russland besteht wahrscheinlich nur darin, dass sich 78% der russischen Bürger gleichzeitig zum Orthodoxen Glauben bekennen, also eher an Gott und nicht Außerirdische glauben sollten. Aber, wie gesagt: An Russland kann man nichts als glauben.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

 

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