Ein Salat als Maß aller Dinge: eine Silvestergeschichte© russland.NEWS

Ein Salat als Maß aller Dinge: eine Silvestergeschichte

In jedem Land gibt es Rituale und Traditionen, wie man bestimmte Feste feiert. Was wäre zum Beispiel Deutschland ohne Weihnachtsmärkte? Obwohl uns die Pandemie etwas anderes gelehrt hat. Jedenfalls pflegen die Russen ihre Rituale auch.

Und so steht beinahe in jedem russischen Haushalt fest, was auf den feierlichen Tisch in der Silvesternacht kommen muss. Und zwar ein bestimmter Salat. Seine Geschichte geht so.

Im 19. Jahrhundert lebte in Moskau ein französischer Koch namens Lucien Olivier. Ihm gehörte ein schickes Restaurant, wo er von reichen Gästen unter anderem für seinen köstlichen Salat bewundert wurde. Das Rezept blieb geheim, obwohl die meisten Zutaten bekannt waren. Man nehme nur ein wenig Störkaviar, Krebsfleisch, gekochte Kalbszunge, zartes Haselhuhn, Kapern, französische Gewürze, Kartoffeln, junge Erbsen … Der Salat war so beliebt, dass er den Namen seines Erfinders bekam. Auch heute, fast 150 Jahre später, schmückt der Salat Olivier jedes Festmahl in Russland. Allerdings ist vom ursprünglichen Rezept so gut wie nichts mehr übriggeblieben. Haselhuhn wird durch Hähnchen, Kalbszunge durch Fleischwurst ersetzt, und französische Kräuter, geschweige denn schwarzen Kaviar, sucht man im Salat vergeblich. Wahrscheinlich deswegen hieß diese etwas vereinfachte Variante in sowjetischen Restaurants „Salat Stolichnij“, also „der hauptstädtische Salat“.

Die Zeit der Mangelwirtschaft ist vorbei, alle Zutaten für das französische Rezept finden sich in exquisiten Supermärkten. Es ist nur die Frage des Preises. Auch sonst kann man alles kochen, was die Seele begehrt. Doch viele Russen bleiben ihrem Salat treu und schnippeln am 31. Dezember kiloweise gekochte Kartoffeln, Möhren, Eier, Salzgurken, Äpfel und verschiedene Fleischsorten und begießen das Ganze mit viel Mayonnaise.

Als hätte man das ganze Jahr nicht genug davon. Jeder gut geführte Supermarkt führt Salat Olivier in seiner Fleischtheke. Manchmal wird er zusammen mit Salat Stolischnij angeboten, dabei besteht der Unterschied nur darin, dass Olivier Hühnchen statt billiger Fleischwurst aufzuweisen hat.

Warum die Russen diese Speise so abgöttisch lieben, lässt sich nicht erklären. Eines steht fest: Der Olivier-Salat scheint so wichtig zu sein, dass er sogar als Grundlage für einen Index zur Berechnung des Anstiegs der Lebensmittelpreise herangezogen wurde. So nennt man ihn auch: der Olivier-Index.

Die durchschnittliche Rechnung für die Zubereitung eines Salats für vier Personen betrug in diesem Jahr also 482 Rubel (5,60 Euro). Die Kartoffelpreise sind um fast 50 Prozent gestiegen, Karotten kosten 35 Prozent und Eier 25 Prozent mehr. Lediglich der Preis für Brühwurst ging um 1 Prozent zurück.

Im Jahr 2021 sind also die Kosten für die Vorbereitung des traditionellen Neujahrssalats 15 Prozent höher. Dabei teilte das staatliche Statistikamt Rosstat mit, dass die Verbraucherpreise im Dezember nach vorläufigen Schätzungen um 0,8 Prozent gestiegen sind.

Aber wie ungesund ist das Salatrezept? Einige Ernährungswissenschaftler sind der Meinung, dass es nicht so kalorienreich ist, wie es scheint. Einhundert Gramm Olivier-Salat enthalten angeblich nur 150 Kilokalorien.

Daria Boll-Palievskaya

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