[von Maria Thiele] Die Krim ist seit drei Jahren Teil der Russischen Föderation. Einigkeit über die Legitimität ihrer Zugehörigkeit besteht jedoch bis heute nicht. Der Grund dafür besteht in der rechtsphilosophischen Frage, ob die Entscheidungsgewalt eines Volkes regierungsursprünglichen Verfassungen oder Gesetzgebungen unterstellt oder übergeordnet sind.
Laut der ukrainischen Regierung und der Mehrheit der NATO-Staaten ist die Abspaltung der Krim ein illegaler Akt. Das am 16. März 2014 durchgeführte Referendum, bei dem die Krimbevölkerung über die Zugehörigkeit der Krim abgestimmt hatte, widerspricht demnach weder der Ukrainischen Verfassung noch entspricht es den Standards internationalen Rechts. Auch die deutsche Bundesregierung schloss sich dieser Behauptungen an. Die NATO-Staaten behaupten folglich, es handele sich bei dem Anschluss der Krim an Russland um eine Annexion und erließen aufgrund dessen 2014 wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland, die bis heute andauern.
Die russische Regierung widerspricht diesen Behauptungen jedoch und lehnt die bestehenden Vorwürfe ab. Das Ergebnis des Referendums wies 2014 eine Mehrheit von 95,5 % der Krimbewohner auf, die für einen Anschluss der autonomen Krim an Russland stimmte. Die Mehrheit der Einwohner der Krim hatte zudem bereits wiederholt während der Präsidentschaftswahlen 2004, 2010 und 2014 für den als Russlandnah geltenden Präsidentschaftskandidaten Wiktor Janukowytsch gestimmt. Die Separationsbestrebungen der Krim sind daher auf die in der Ukraine stattfinden Unruhen bezüglich der dortigen Präsidentschaftswahlen und den Protesten und der politischen Spaltung der Ukraine zurückzuführen.
Uneinigkeit bezüglich der Begrifflichkeit und der Legitimationsfrage des Krimanschlusses herrscht auch in Deutschland unter den oft zitierten Rechtsexperten Prof. Dr. iur. Karl Albrecht Schachtschneider, Prof. Dr. iur. Anne Peters, Prof. Dr. iur. Reinhard Merkel und Prof. Dr. iur Claus Kreß. Die Verwendung der Begriffe „Sezession“ und „Annexion“ hängen von der jeweiligen Auslegung der rechtlichen Grundlage ab. Dabei stehen sich zwei Grundsätze des Völkerrechts gegenüber – der Grundsatz der „Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker“ nach Art. 1 Nr. 2 der UN-Charta und der Grundsatz der „Territorialen Integrität“ nach Art. 2 Nr. 4.
Geklärt werden muss vor allem im weiteren Dialog zwischen Russland und den NATO-Staaten, wie die Anschlussprozesse der Krim an Russland zukünftig rechtlich zu werten sind. Die Situation wird des Öfteren mit den Separations-und Unabhängigkeitsvorgängen in Schottland und in Kosovo verglichen. Aufgrund des Brexits ist derzeit in Schottland ein Referendum über dessen Unabhängigkeit für Herbst 2018 vorgesehen. Zudem wird die Legalität der Unabhängigkeitserklärung Kosovo’s 2008 derzeit immer noch diskutiert.
Die internationale Diskussion und die Entscheidung über die Legitimität der autonomen Krim und dessen Anschlussprozesse an Russland sind auch international für weitere Regionen mit Unabhängigkeitsbestreben wie Tibet, Katalonien, Abchasien und Ossetien von hoher Wichtigkeit und Interesse.
Laut Umfragen des Politik-und Wahlforschungsinstituts Infratest dimap im November 2014 herrschte auch unter der deutschen Bevölkerung Uneinigkeit bezüglich der Legitimität des Krimanschlusses. Die Ergebnisse dieser Umfrage zeigten, dass sich 39 % der deutschen Bevölkerung für, 48 % gegen die Akzeptanz des Krimanschlusses an Russland aussprechen.
Zuvor wurde jedoch stark kritisiert, dass die Mehrheit der deutschen Journalisten in den Mainstream-Medien ihrer Aufklärungsarbeit bezüglich des Ukraine-Konfliktes und des Krim-Konfliktes nicht gründlich genug nachkämen. Laut Gabriele Krone-Schmalz, ehemalige ARD-Korrespondentin in Moskau, ist in Deutschland eine eindeutig einseitige Berichterstattung bezüglich des Krim-Konfliktes auffällig. In einem demokratischen System wie der Bundesrepublik Deutschland, in dem die Bevölkerung politische Mitentscheidungsgewalt tragen soll, behindert eine einseitige Darstellung der Informationen des Krim-Konfliktes jedoch den Meinungsbildungsprozess der Bürger.
Reisen auf die Krim trotz ungelöster Frage der Legitimität
Trotz der bestehenden Diskussionen um die Legitimität des Krimanschlusses an Russland führen von Russland aus täglich Flug- oder Buslinienangebote auf die Krim. Ausländischen Verkehrsunternehmen wurde durch die Sanktionen der Betrieb von weiteren Verkehranbindungen zwischen der Krim und dem Ausland untersagt.
Die ukrainische Regierung verbietet bis heute den Zugang der Krim für touristische Zwecke. Ausländischen Reisenden wird daher bei einer Einreise der Krim über den von Russland aus angebotenen Routen eine illegale Einwanderung auf ukrainisches Terretorium vorgeworfen.
Auch die Ausreise in die Ukraine über den Norden der Krim bleibt für Reisende weiterhin versperrt. Wer über Russland auf die Krim reist und an der nördlichen Grenze zum ukrainischen Festland auf ukrainische Grenzwächter stößt, muss mit einer Strafe in Form von einem Deportationsstempel im Reisepass und einem dreijährigen Einreiseverbot in die Ukraine rechnen.
„Weil sie sich aus ukrainischer Sicht illegal auf ukrainischem Gebiet befinden.“ erklärt die deutsche Botschaft in Kiew die Perspektive der ukrainischen Regierung „Sie sind jetzt praktisch nicht offiziell eingereist. Sie haben eben russische Grenzbeamte am Flughafen passiert, obwohl die aus ukrainischer und deutscher Sicht dort nichts zu suchen haben. Sie haben keinen ukrainischen Grenzbeamten passiert, obwohl sie jetzt auf ukrainischem Gebiet sind.“
An der Grenze zur Ukraine werden Reisende bereits von den russischen Grenzbeamten auf die bestehende Konfliktsituation hingewiesen. Eine Aus-und Einreise auf die russische Krim wird, bei Vorlage eines gültigen Visums für Russland, jedoch nicht verhindert.
„Die Russische Grenze ist kein Problem, das Problem ist die ukrainische Grenze, weil sie die Existenz dieser Grenze bestreiten.“ erklärt ein russischer Grenzoffizier. „Ukrainische Grenzwächter gehen davon aus, dass du illegal auf die Krim gekommen bist. Die schicken dich zu 100 % zurück nach Russland.“
Auf der ukrainischen Seite wird das Verfahren von den dortigen ukrainischen Grenzbeamten bestätigt: „Ich muss in diesem Fall [einer Weiterreise von der Krim auf das Festland der Ukraine] ein Verbot in den Reisepass stempeln und sie wieder zurück zur Krim schicken. Ich will das auch nicht, aber das ist das Gesetz“.
Bei einer gewünschten Weiterreise in die Ukraine verbleiben für Reisende ausschließlich dieselben Wege wie zur Einreise auf die Krim: Zurück über Russland und einen der offiziellen Grenzpunkte wie bei Charkiw.
Die Umstände der Situation treffen weder bei den Grenzbeamten, bei den Einwohnern, noch bei den Reisenden auf Verständnis. „Ich verstehe, dass sie das nicht verstehen. Normale Leute verstehen das nicht und ich verstehe das auch nicht.“ kommentiert ein russischer Grenzoffizier dazu.
„Von Reisen auf die Halbinsel Krim wird dringend abgeraten.“ steht in den aktualisierten Reise- und Sicherheitsbestimmungen des Auswärtigen Amtes. Weiterhin wird konstatiert: „Die Krim gehört völkerrechtlich weiterhin zur Ukraine, wird aber derzeit faktisch von Russland kontrolliert.“
Die deutsche Botschaft in Kiew erklärt auf eine telefonische Anfrage, dass die Reisewarnungen nicht auf aktuelle militärische bzw. gewaltsame Unruhen zurückzuführen sind. Anstatt dessen beziehen sie sich darauf, dass die Deutsche Botschaft keinen konsularischen Service auf dem Gebiet der Krim bereitstellt.
„Wenn Ihnen jetzt irgendetwas zustößt, wenn Sie krank werden oder sonst irgendwas, wir können Ihnen dort überhaupt nicht helfen, weder die Botschaft in Moskau noch die Botschaft in Kiew. Es reicht einfach, wenn Sie kein Geld mehr haben, wir können nichts für Sie tun. Das ist das Problem dort. Es ist praktisch politisches Niemalsland im Moment. Und wenn Sie sich da als Deutsche aufhalten und in Schwierigkeiten geraten, sind Sie komplett auf sich allein gestellt.“
Aufgrund der verhängten Sanktionen funktionieren Europäische Kreditkarten weder zum Geldabheben am Bankautomaten noch zum Bezahlen im Geschäft. Nur mit russischen Kreditkarten ist die Bezahlung in Geschäften und das Abheben von Bargeld an einigen Bankautomaten aktuell möglich.
Dies ist nicht nur für Geschäftstüchtige auf der Krim eine starke Einschränkung des Geschäftemachens, sondern auch eine starke Einschränkung für Reisende. Bei der Reisevorbereitung sollte deshalb unbedingt an ausreichend Bargeld gedacht werden.
Wie denken die Einwohner über den Anschluss der Krim an Russland und über die heutige Situation?
Der Anschluss der Krim an Russland fand dem Ergebnis des Referendum zufolge viel Zustimmung unter der Krimbevölkerung. Von Interesse ist dabei vor allem, wie die Menschen auf der Krim in der Retroperspektive über diese Entscheidung denken und wie sie die Situation heutzutage bewerten.
Um einen Eindruck zugewinnen wurden 15 Einwohner in Simferopol, Sewastopol, Jalta und Armjansk befragt. Die Aussagen der Teilnehmer sind im Folgenden zusammengefasst (die Namen der Befragten wurden geändert):
Wie beschreibst du das Leben auf der Krim heute? Was hat sich am Leben der Krim über die letzten 3 Jahre verändert?
„Auf der Krim ist das Leben heutzutage insgesamt besser. Die Menschen kommen aus der Ukraine auf die Krim, um hier zu arbeiten und um hier zu bleiben, weil die Situation in der Ukraine im Moment sehr sehr schlecht ist.“ sagt Boris, ein in Simferopol geborener und häufig im Ausland arbeitender Geschäftsmann. „Ja, das Leben ist jetzt besser, aber nicht alle sind glücklich. Die Preise sind schrecklich: für Essen, für Kleidung, für alles. Alles ist sehr teuer, aber es gibt nichts in guter Qualität.“
„Die Preise für die Produkte sind zwar gestiegen, aber die Gehälter entsprechend auch.“ sagt Anastasia, eine 26-jährige junge Frau aus Cherson (Ukraine). Aufgrund der besseren Chancen auf der Krim eine Arbeit zu finden, zog sie im vergangenen Jahr mit ihrem Freund auf die Krim und unterrichtet dort nun in einer internationalen Sprachschule für Kinder. Auch, Sergey (21) aus Belgorod und der aus dem Donbassgebiet stammende Alexander (29) gaben höhere Chancen für einen gut bezahlten Job als Grund an, weshalb sie auf die Krim zogen.
Alesha (36), aus Jerewan (Armenien) ist Inhaberin von fünf Kleidungsgeschäften in Simferopol. „Im Sommer kommen viele Touristen aus Russland, aber in der Nebensaison gibt es kaum Kunden, die etwas kaufen.“
„Die Natur ist wunderschön, aber die Infrastruktur ist sehr schlecht. Es müsste mehr Geld für die Renovierung der Straßen ausgegeben werden“ kommentiert der in Simferopol geborene Vitaly (58), ehemaliger Offizier der Sowjetischen Armee. „Früher habe ich mal in der Ukraine, mal in Russland und mal in Weißrussland gewohnt. Heute lebe ich wieder auf der Krim. Für mich ist das alles ein Land“ sagt er. „Ja natürlich, die Krim hat vor mehreren Jahren mal zu Russland gehört und für mehrere Jahre gehörte die Krim zur Ukraine. Für uns gab es da keinen Unterschied.“
Zu den Abläufen wärend des Referendums sagt Vitaly: „Ich weiß nicht, ob alles komplett legal abgelaufen ist [bei dem Referendum], aber es ist auch egal, die Leute wollen definitiv zu Russland gehören. Wir wissen, dass das Amerikanischer Einfluss ist, weil nur Amerika diese Situation will. Das sind dieselben Leute – Ukrainer und Russen, das war eine Nation, eine Sprache, eine Kultur – aber sie machen einen Unterschied.
Was denken Sie über die internationale Medienberichterstattung des Krim-Konfliktes?
„Du kannst sehen, dass alles [in den Medien] eine Lüge ist. Es sind keine Panzer hier, keine Kriegsschiffe, keine Soldaten oder kannst du hier irgendwo Soldaten sehen?“ sagt der 58-jährigen Ruslan, ein in Jalta geborener Marschrutka-Fahrer. Seine Famile, ursprünglich aus Russland stammend, lebt schon seit mehreren Generationen in Jalta. Er sagt, er sei froh darüber, dass die Krim heutzutage wieder zu Russland gehört, weil die Mehrheit der Krim-Einwohner ursprünglich aus Russland stammt.
Dazu beschwert sich Boris vor allem über die Fehlinformation in internationalen Medien: „In Europa zeigen sie viele Fake-news über die Krim. Jeder fragt mich: ‚Wo kommst du her?‘ – Ich: ‚Aus der Krim.‘ – ‚Oh dort ist die Situation gerade sehr schlecht.‘ – ‚Wer sagt dir das?‘ Nein, die Situation ist jetzt sehr gut, es ist nicht so wie in der Ukraine. Nicht jeder weiß wie es heutzutage auf der Krim ist… Fake News jedes mal.“
Fazit
Die Legitimität des Anschlusses der Krim an Russland wird derzeit weltweit noch diskutiert. Im März 2017 war eine Deligation von internationalen Geschäftsleuten, Politikern und Journalisten auf der Krim, um die aktuelle Situation zu prüfen. Besonders entscheidend ist dabei die Wertung und Auslegung der o.g. Grundsätze des Völkerrechts, die Vorgänge auf der Krim vor und während des Anschlussprozesses und der in dem Referendum vom 16. März 2014 ausgedrückte Anschlusswille der Krimbevölkerung.
Die Situation für ausländische Reisende als auch für Krimeinwohner wird zur Zeit vor allem durch die der NATO-Staaten auferlegten Sanktionen erschwert. Für ausländische Reisende ist der Besuch der Krim bei vorhandenen Visum für Russland weiterhin möglich. Die Verkehrsanbindung besteht jedoch zurzeit nur von Russland ausgehenden Verkehrsunternehmen. Auf der Krim ist aufgrund der bestehenden Sanktionen der Zugang zum eigenen Bankkonto weiterhin versperrt. Zudem wird seitens der Botschaften auch in Notfällen kein Konsularservice bereitgestellt. Für Geschäftstreibende auf der Krim ist der Handel mit ausländischen Geschäftspartnern oder Kunden verhindert. Die Mehrheit der Krimeinwohner spricht sich trotz der Erschwernisse des täglichen Lebens immer noch vorwiegend positiv für den Anschluss der Krim an Russland aus.
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