Die russische Kleinstadt Tarussa auf dem Weg in die MonarchieKonstantin Malofejew und Ruslan Smoljensk

Die russische Kleinstadt Tarussa auf dem Weg in die Monarchie

[Kommentar von Gunnar Jütte] Der Kampf um die Straßennamen in Tarussa, russland.NEWS berichtete darüber, scheint nur das Vorspiel zu einem größeren Projekt zu sein.

Am 22. November fand dem Dorf Spas-Teshilovo in der Nähe von Serpuchow der Kongress der Gesellschaft für die Entwicklung der russischen historischen Bildung Zweiköpfiger Adler statt. Dort entschied man sich, die Bewegung Zargrad zu gründen

Die Teilnehmer des Kongresses vertreten die „Interessen“ des russischen Volkes. „Es soll jegliche Russlandfeindlichkeit bekämpft werden. Unter der Schirmherrschaft von Zargrad sollen alle „gesunden Kräfte“ der russischen Gesellschaft die russischen Verfassungsänderungen umsetzen, die traditionelle Familie retten, die Vaterschaft, Mutterschaft und Kindheit schützen, eine eigene [Zargrader] staatliche Kultur-und Bildungspolitik organisieren und die traditionellen Werte des russischen Volkes bewahren.“

Der Milliardär und radikale Monarchist Konstantin Malofejew, der bereits dem Stadtoberen von Tarussa, Ruslan Smoljensk, versprochen hat die neuen Straßenschilder zu bezahlen, wurde einstimmig zum Vorsitzenden gewählt. Der Oberste Rat der Zargrader Gesellschaft beinhaltet viele berühmte erzkonservative Namen: S. Glasijew, A. Dugin, S. Michejew, Metropolit von Stawropol und Newinnomysskij Kirill, der Mufti der spirituellen Versammlung der Moslems von Russland Albir Krganow.

Die Zahl der Gleichgesinnten der Zargrad-Ideologie soll im ganzen Land bereits auf eine Million Menschen angewachsen sein. Im Moment ist Zargrad die größte russische Organisation des Landes. Neben Millionen von Gleichgesinnten schlossen sich andere rückwärtsgerichtete Massenorganisationen Zargrad an: die Union der Kosaken-Krieger Russlands, und im Ausland, die Union der Donbass-Freiwilligen und die Union der orthodoxen Frauen.

In dem Manifest der Gruppe Zargrad heißt es:

„Wir sind Russen, Gott ist mit uns! … Wir sind die Bauherren des Russischen Reiches der Zukunft. Wir sind die Erben des Großen Sieges der russischen Waffen über das Khazar-Kaganat, über die Goldene Horde, über das Commonwealth, über das Krimkhanat, über das schwedische Königreich, über die osmanische Türkei, über das französische Reich von Napoleon und über das faschistische Deutschland. Wir sind die Kinder des Sieges!“

Da scheinen die Zargrader etwas über das Ziel hinausgeschossen zu sein, den Sieg über das faschistische Deutschland hat nun doch eher die Sowjetunion gewonnen. Der letzte Krieg, den Zar Nikolaus etwas glücklos geführt hat, war der erste Weltkrieg.

Weiter geht es in dem Pamphlet der Zargrader mit:

„Russland ist für uns:

– die einzige Zivilisation des Nordens in der Geschichte der Menschheit, die riesige Gebiete Eurasiens beherrscht hat, die den größten und reichsten Zustand der natürlichen Ressourcen der Welt geschaffen hat;

– das dritte Rom, Erbe des römischen Reiches von Konstantinopel – Zargrad;

– Heiliges Russland, das Schicksal der gesegneten Jungfrau.

– Eine Familie aus vielen Kindern, die Kinder großziehen, um die Erinnerung an die Vorfahren zu ehren, sowie die traditionellen Werte des russischen Volkes haben für uns besondere Bedeutung.

–  Die Monarchie für uns ist die Krone der russischen Staatlichkeit.“

Zu ihren Aufgaben zählen die Zargrader:

„Die historische Aufklärung und Wiederherstellung historischer Gerechtigkeit. Die moderne Generation muss die Wahrheit über die große Geschichte Russlands kennen. Die Lehrbücher sollten von der göttlichen Verzerrung der Sowjetperiode und der liberalen Russlandfeindlichkeit befreit werden.

Unsere Städte, Straßen und Plätze sollten den Namen der Gründer wiedergegeben werden, und die Namen der terroristischen Revolutionäre sollten im Sommer vergessen werden.

Wir sind verpflichtet, Denkmäler für die staatlichen Bauherren unseres Vaterlandes wieder aufzustellen – russische Helden, die von unseren Vorfahren dort aufgestellt wurden.

Die Vereinigung unter dem Zeichen des „Zargrad“ soll alle gesunden Kräfte der russischen Gesellschaft, nicht nur in Worten, sondern auch in Taten vereinigen, um gegen jegliche revolutionäre Unruhe bei der Verteidigung von Frieden und Ordnung in Russland vorzugehen“.

Das ist der Weg zurück in die schlimmsten zaristischen Zeiten. Erschreckend, dass ausgerechnet die russischen sogenannten „Liberalen“ nun die Steigbügelhalter solch einer Rolle rückwärts werden.

Auf die merkwürdige Koalition zwischen den sogenannten Liberalen mit radikalen Monarchisten und radikalen Orthodoxen angesprochen, sagte Maxim Ossipow, einer der vehementesten liberalen Befürworter der Straßenumbenennungen in Tarussa, im Interview mit der „Welt“: „Manchmal stehen Menschen ganz unterschiedlicher Ansichten Seite an Seite.

Ossipow, Kardiologe und Schriftsteller aus Moskau, der seit etlichen Jahren in Tarussa lebt, macht sonst aus seiner Antipathie gegen Russlands Staatsmacht keinen Hehl. Im Interview sagt er, „sie ist wie ein Stiefvater, der säuft und seine Kinder schlägt“.

Ob die sogenannten Liberalen, die sich schon bei der Diskussion um die Straßenumbenennung nicht gerade demokratisch verhalten hatten, sich damit einen weiteren Gefallen tun, ist zweifelhaft. Offen äußerten sie sich, dass Bürgerbeteiligung nur zu endlosen Diskussionen führe und eine Abstimmung vielleicht ergäbe, dass es zu keiner Umbenennung komme.
Eine sehr abenteuerliche Auslegung von Demokratie nach 30 Jahren Ende der Sowjetunion.

Ist eigentlich diesen sogenannten Liberalen klar ist, welches Risiko sie eingehen, solchen Gruppierungen wie Zargrad die Tür zu öffnen, oder ob sie einfach nur total naiv sind, wird wohl erst die Zukunft zeigen. Wenn es dann nicht zu spät ist.

„Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.“
(Johann Wolfgang von Goethe aus der Zauberlehrling)

COMMENTS