Die 23. Potsdamer Begegnungen: Wird die Pandemie alles ändern?Alexander Rahr - Moderator - Potsdamer Begegnungen

Die 23. Potsdamer Begegnungen: Wird die Pandemie alles ändern?

Werden wir mehr oder weniger Kooperation nach Coronavirus haben? Oder ist die Pandemie der Brandbeschleuniger für die aktuelle Krise?  Diese von dem Moderator der Veranstaltung Alexander Rahr formulierte Frage stand im Mittelpunkt der diesjährigen Potsdamer Begegnungen, die am Montag im Online-Format stattgefunden haben.

Hochkarätige Politiker, Experten und Wirtschaftsvertreter aus Russland und Deutschland diskutierten darüber offen und kontrovers. So betonte Thomas Kunze von der Konrad-Adenauer-Stiftung, dass das Thema des Treffens gar nicht aktueller sein könnte. Er äußerte die Hoffnung, dass die Vision über das gemeinsame Haus Europa, die sowohl von Gorbatschow und später von Putin geäußert wurde, jetzt eine neue Dynamik erhalten könnte.

Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft und Internationale Beziehungen der russischen Akademie der Wissenschaft Alexander Dynkin stellte die Frage, wie es mit der EU weitergehen wird. „Die Pandemie hat einen chronischen Widerspruch in der EU offengelegt und zwar zwischen der Europäisierung der Werte und der Nationalisierung der Interessen“. Auch die USA müssen erhebliche Imageverluste hinnehmen. Zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte versuchen die USA nicht einmal, eine globale Lösung für die globale Herausforderung vorzulegen. Dem Ruf Chinas ist ebenfalls ein Schaden zugefügt worden.

Der Rektor des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen MGIMO Anatolij Torkunow sprach davon, dass die Pandemie sehr stark auf die Globalisierung einschlägt und den souveränen Staat bekräftigen wird. Seiner Meinung nach besteht ein Szenario, dass bei einer schwachen Zusammenarbeit eine große Reihe der Probleme bestehen bleibt und der internationale Handel zurückgehen wird.

Der CDU-Bundestagabgeordnete Christian Schmidt äußerte die Hoffnung, dass der Green Deal die Pandemie überleben wird. Die Fragenstellung werden die gleichen bleiben, nur unter verschärften Bedingungen.

Der russische Politologe Fjodor Lukjanow war in seiner Prognose skeptisch: Diese Krise wird niemanden stärker machen, ob EU oder China oder Russland – alle werden Schaden nehmen. Allerdings müssen aus solchen Krisen richtige Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Worte, dass die Welt nie so wie früher sein wird, ist eher eine Metapher. „Wir sehen, dass sich in der Welt nichts geändert hat – es kommt zur Belebung der Politik und sie kehrt sofort zu alten Konflikten zurück. Also hat die Pandemie unser Bewusstsein gar nicht verändert“, so Lukjanow. Die Herausforderung mag global ist, doch die Antwort ist lokal. Das könnte ein Element der künftigen Zusammenarbeit werden, denn alle betroffenen Staaten werden mit ihren eigenen Problemen beschäftigt sein. Deswegen wird sowohl Geld als auch Kraft und Energie fehlen, die Zusammenarbeit zwischen Russland und EU zu bekräftigen.

Das geschäftsführende Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums e.V. Martin Hoffmann hat darauf hingewiesen, dass sowohl in Russland als auch in der EU der Mensch in den Mittelpunkt gestellt wurde, und so sind sich beide Zivilgesellschaften viel nähergekommen als die Politik.

Philipp Dienstbier von der Konrad-Adenauer-Stiftung vertrat dies These, dass durch die Pandemie keine grundlegenden Änderungen, wohl aber eine Verstärkung der politischen Transformationen stattfinden wird, die wir schon in den letzten Jahren gesehen haben. Ihm stimmte der Journalist Michael Thumann von der „Zeit“ zu: Das Сoronavirus ändert nichts wesentlich, aber sie verändert die Geschwindigkeiten. Der chinesisch-amerikanische Gegensatz ist kein neuer kalter Krieg. Die beiden stoßen auf Vorbehalte und Ablehnung und sind nicht mehr im Stande, „unumstritten zu führen, geschweige denn eine neue Weltordnung zu prägen“. „Wir gehen in einer Periode der allgemeinen Unordnung“, so Thumann, und Russland und Deutschland werden in diesem Machkampf der beiden Supermächte ihren Platz finden müssen und sogar vielleicht profitieren können.

Alexander Gräf vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg sprach über das „Wegbröckeln der alten Ordnung, die im Ausgang des Kalten Krieges entstand“ und betonte, dass die Vielfallt der Stimmen in der Sicherheitspolitik neu sei.

Im zweiten Teil der Diskussionsrunde ging es vor allem um die Wirtschaft. Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier betonte in seiner Videobotschaft, dass die Zusammenarbeit mit Russland einer der Schwerpunkte seiner bisherigen Arbeit sei. Die Entwicklung des deutsch-russischen Handels verlief in den letzten Jahren positiv, geriet dann aber im Rahmen der weltwirtschaftlichen Entwicklungen ins Stocken. Er wünschte Russland, dass das Land mit den Herausforderungen der Pandemie erfolgreich umgeht und dass wir alle gestärkt aus der Krise herauskommen. Man möchte alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit jenseits der Sanktionen ausschöpfen, deswegen wurde 2019 eine Effizienzpartnerschaft zwischen Deutschland und Russland unterzeichnet worden. Er sprach sich für internationale Arbeitsteilung und eine starke WHO aus.

Der Parlamentspräsident des Freistaates Sachsen Herr Rössler Sachsen sagte: „Wir setzten auf den deutsch-russischen Dialog und betonte, dass Sanktionen und Protektionismus seinem Bundesland sehr schaden. „Wir brauchen Kooperation und Vertrauen“, so Rössler.

Der Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft Michael Harms betonte, dass das Coronavirus die Digitalisierung auch in der deutsch-russischen Zusammenarbeit stärken wird und dass es noch zu früh sei, „den Tod der Globalisierung anzukündigen“. Deutschland und Russland seien auf die Globalisierung angewiesen. Man solle sich lieber überlegen, wie man die Globalisierung gemeinsam gestalten kann. Die Diskussion darüber, ob man mehr oder weniger Staat brauche, sollte sich der Fragestellung unterordnen, welchen Staat wir brauchen? Der Green Deal sei für Russland eine Herausforderung und eine Chance zugleich.

In seinem Impuls sagte Direktor des Europainstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften Alexey Gromyko, dass die neue Etappe der Globalisierung dadurch gekennzeichnet ist, dass die lokale Integration die globale verdrängt. Der Protektionismus wächst, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu stärken. Er warf auch die Frage auf, ob wir uns von dem Konzept des Sozialstaates entfernen oder ob wir Erfahrungen aus der Pandemie berücksichtigen und sagen sollten, dass der Sozialstaat neu „gestartet“ werden müsste.

Falk Tischendorf von der Kanzlei Beiten Burkhard wies darauf hin, dass die Krise Abhängigkeiten in der Wirtschaft aufgezeigt habe, die die Globalisierung mit sich bringt. Die Lieferketten seien komplett zusammengebrochen. Wir müssen jetzt damit leben, dass dieses Risiko wieder eintreten wird und die Wirtschaft muss sich dem anpassen. Unternehmen überlegen sich, wie sie ihre Lieferketten umstrukturieren können, um ihre Produktion nach Europa zu verlegen, und Russland gehöre eindeutig zu Europa. Da ist ein großes Potential für die russische und deutsche Wirtschaft zusammengekommen, so Tischendorf.

Der außerordentliche Vertreter des russischen Präsidenten in Fragen der internationalen kulturellen Zusammenarbeit Michael Schwydkoj sagte am Anfang der Diskussion, die Welt werde so sein, wie wir sie aufbauen werden. Diese Worte könnte man als Zusammenfassung der Petersburger Begegnungen in Zeiten der Pandemie nehmen.

[hrsg/russland.NEWS]

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