Deutscher Geschäftsmann in Kaluga: „Russland eines der flexibelsten Länder der Welt“Silvio Siegel

Deutscher Geschäftsmann in Kaluga: „Russland eines der flexibelsten Länder der Welt“

Herr Silvio Siegel, Sie kommen ursprünglich aus Deutschland und sind vor 14 Jahren nach Russland gegangen. Sie leben in Russland in der Industriestadt Kaluga. Was hat Sie bewogen, in Russland geschäftlich tätig zu werden?

Eigentlich zwei Gründe. Erstens, ich hatte von 2008 bis 2010 einem Automobilhersteller beim Aufbau eines Werkes in Kaluga unterstützt. In dieser Zeit lernte ich meine jetzige Frau kennen, und als mein Vertrag 2010 auslief, blieb die Wahl zwischen Deutschland oder Russland. Zweitens, in dieser Zeit verstand ich auch immer mehr, dass der Bedarf in Russland an verschiedenen Dienstleistungen, damals und auch heute, enorm ist, und dass die Konkurrenz in bestimmten Bereichen nur wenig vertreten ist. Diese beiden Gründe bewogen mich, mein Glück in Kaluga zu versuchen.

Durch die Ukrainekrise sind im Moment viele deutsch-russische Wirtschaftsbereiche auf Eis gelegt oder eingestellt worden. Inwieweit sind Sie davon betroffen?

Wir sind in mehreren Projekten davon betroffen. Dies ist oder wird eventuell zu einem Verlust innerhalb meines Unternehmens führen. Die Situation hat aber auch positive Seiten. Wir sind als Subunternehmer in einem Projekt aus dem Schatten eines deutschen Konzernes hervorgetreten und werden Projekte in Zukunft mit den russischen Konzernen direkt abwickeln. Dies hat für den russischen Endkunden mehrere Vorteile wie zum Beispiel bei der Finanzierung oder schnelleren Projektabwicklung. Wie ich von meiner Frau gelernt habe, „hat eine schlechte Situation immer mehrere Seiten und man muss die guten finden“.

In Kaluga hatte sich ein großer Industriepark mit Autowerken und deren Zulieferern etabliert. Es gab in Kaluga immer Gouverneure, die versucht haben, ausländische Industrieansiedlungen anzulocken. Man nannte Kaluga auch schon das Detroit Russlands. Sehen Sie eine Zukunft für diesen Bereich innerhalb der nächsten Jahre?

Grundsätzlich sehe ich eine Zukunft in der Automobilindustrie in Kaluga und Russland. Die Frage ist aber unter welchen Voraussetzungen. Die einzelnen Produktionsanlagen der europäischen Unternehmen sind vorhanden, das Personal hat über 15 Jahre lang das nötige Knowhow gesammelt und will weiterarbeiten. Jetzt fehlen nur die eindeutigen Vorgaben, wie es weiter geht, und wenn nicht mit deutschen oder europäischen Unternehmen, dann eben selbst oder mit der Unterstützung von asiatischen Firmen.

Lada zum Beispiel baut jetzt wieder Autos auf dem technischen Standard der Achtzigerjahre. Ohne ABS, ohne ESP bis hin zur Euronorm 0. Der Grund dieses Downgradings liegt in fehlenden Mikrochips. Wieweit kann Russland innerhalb der jetzigen Sanktionen in der Lage sein, selber eine Industrie zu entwickeln, die ohne westliches Knowhow auskommen kann?

An dieser Situation erkennen Sie, das Russland eines der flexibelsten Länder der Welt ist. Diese Flexibilität ist über mehrere Jahrzehnte gewachsen, da sich Russland in einem ständig wechselnden Krisenmodus befand. Die Situation der fehlenden Mikrochips, die Sie erwähnten, gibt es nicht nur in Russland, sondern zum Beispiel auch in Deutschland. Dort haben es die führenden Automobilhersteller nicht geschafft, die Fahrzeuge downzugraden, um ihre Kunden zügig bedienen zu können. In Deutschland wartet man mittlerweile ein Jahr auf sein Fahrzeug oder kann es gar nicht bestellen, weil Bauteile fehlen. Das erinnert mich ein bisschen an die DDR, in der ich aufgewachsen bin.

Sie organisieren derzeit noch geschäftliche Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Welche sind das und stoßen Sie dort auf größere Einschränkungen?

Ja, wir arbeiten auch in der heutigen schwierigen Zeit in Deutschland für einen großen Automobilhersteller und bauen dort unsere Fördertechnik ein. Die größten Schwierigkeiten sind die Materialbestellungen im Elektronikbereich, die wir zur Steuerung unserer Fördertechnik benötigen. Vor der Corona-Pandemie gehörten sie zum Lagerbestand, haben aber jetzt eine Lieferzeit von 1 Jahr.

Wieweit sind Sie persönlich durch die jetzigen Sanktionen betroffen?

Ich bin persönlich gar nicht von Sanktionen betroffen.

Sie selber diversifizieren Ihre Tätigkeiten in Russland und sind jetzt auch in anderen Bereichen tätig. Welche Zukunft und welche Möglichkeiten sehen Sie für sich in Russland?

Die zukünftigen Möglichkeiten in Russland sind äußerst vielseitig und außergewöhnlich. Die von Europa verhängten Sanktionen beschleunigen den Prozess der Selbstfindung in Russland und bewirken, dass Russland von europäischen Erzeugnissen noch unabhängiger wird und seinen eigenen Weg findet. Wir haben als Beispiel unsere Tätigkeiten um die Landwirtschaft erweitert und werden vermehrt auf die Herstellung von Bioprodukten setzen. Der Bedarf in Russland ist hierfür vorhanden.

Herr Siegel, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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