Der Wolf – Geliebter oder Feind? Russland weiß es besser

Der Wolf – Geliebter oder Feind? Russland weiß es besser

[von Hans-Ulrich Berger] Jüngst stritt ich mit einem Verwandten über die Gefahren, die durch die erneute Ausbreitung des Eurasischen Wolfes nach Deutschland entstehen. Da standen Argumente gegen Ahnungen, Glauben A gegen Glauben B, Unwissen mit Angst gegen Hoffnung mit – Wissen? Ein erster Blick in Suchmaschinen, wie es um den Wolf in Russland bestellt ist, erbrachte nur, dass auch in Russland Wölfe lebten und leben.

Wie unwissend die Debatte geführt wird, zeigt der Aufsatz “Der Wolf in Russland – historische Entwicklung und Probleme” von Prof. Dr. Christoph Stubbe, der sich bei einem einjährigen Studienaufenthalt an der Jagd-Fakultät der Hochschule Irkutsk intensiv mit der Thematik befassen konnte. Es sei “mehr als verwunderlich, dass man über Erfahrungen und Probleme aus dem Mutterland der Wölfe, aus Russland, überhaupt nichts liest”, konstatiert Stubbe.

Der Aufsatz erschien bereits 2008. Den Entscheidern in Politik und Verwaltung für deutsche Wolfspolitik wird dies eventuell zum Vorwurf gereichen – wie blauäugig und verharmlosend sie ihrer Verantwortung gerecht wurden. Besseres Wissen war verfügbar.

Die Webseite JAWINA https://www.jawina.de/ veröffentlichte in Absprache mit dem Autor vor wenigen Tagen den ganzen Text.- als ‚mittelalterliche‘ Scan-Anhäufung, um Urheberrechtsverstöße und Verfälschungen des Inhalts zu erschweren. Wolfsfreunden und Wolfsgegnern öffnet sich in dieser Auswertung amtlicher Statistiken und wissenschaftlicher Studien zum Wolf in Russland eine Schatztruhe voller Erkenntnisse. Erkenntnisse, die in der hiesigen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Wolf nicht weiterhin ignoriert werden können.

Der Kampf gegen die Wölfe ziehe sich wie ein roter Faden durch Epochen der russischen Geschichte, da sie verheerende Schäden anrichteten, schreibt Stubbe. Das lasse sich mit naturromantischen Vorstellungen nicht in Einklang bringen. In manchen Jahren töteten Wölfe in Russland zigtausende Rinder, Schafe, Ziege, Pferde und Fohlen – und viele, viele Menschen.

Der Wolf belegt “unter den Raubtieren bezüglich Schädlichkeit und Gefahr für den Menschen den ersten Platz”. Wer sich ohne ideologische Scheuklappen über das Gefahrenpotenzial von Wölfen für Menschen informieren möchte, der sollte unbedingt das lange Kapitel “Begegnungen zwischen Wolf und Mensch” (ab Seite 344) lesen.

Besonders Jäger werden bei der Lektüre der Kapitel über “Wechselbeziehungen zwischen Wolf- und Schalenwildpopulationen” (ab Seite 336), “Nahrung – Wechselbeziehungen zur Beute” (ab Seite 331), Populationsdynamik (ab Seite 328) oder Jagdmethoden (ab Seite 353) fündig werden.

Schäfer und andere Weidetierhalter werden die Abschnitte über “Schäden an Wild- und Haustierbeständen” mit großem Interesse lesen. Auch die Ausführungen zu Wolfshybriden (ab Seite 351) sind empfehlenswert.

Manch Leser wird sich verwundert die Augen reiben: Die Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein und Rotkäppchen und der böse Wolf sind unsterblich – das Märchen vom konfliktfreien und harmonischen Zusammenleben von Wolf und Mensch ist gestorben.

Der Aufsatz “Der Wolf in Russland – historische Entwicklung und Probleme” ist in Band 33 der Schriftenreihe Beiträge zur Jagd- und Wildforschung erschienen, die von der Gesellschaft für Jagd- und Wildforschung (GWJF) herausgegeben wird. Wir danken JAWINA und indirekt Prof. Dr. Christoph Stubbe herzlich für die Genehmigung zur Verlinkung https://www.jawina.de/prof-dr-christoph-stubbe-der-wolf-in-russland-historische-entwicklung-und-probleme/#more-23999 des Beitrags. Die sicherheitstechnisch bedingte Beeinträchtigung der Lesbarkeit bitten wir zu entschuldigen, heißt es dort.

Diese Vorsichtsmaßnahme des Autors zeigt, wie erregt die Debatte in Deutschland bereits geführt wird. Der Wildbiologe macht klar, dass der für Menschen gefährlichste Wolf der mit Tollwut ist. Mögen seine Erkenntnisse – auch wenn sie aus dem allseits ungeliebten Russland kommen – dazu dienen, die Debattentollwut in den Foren erregter Tierliebhaber zu bändigen.

Nur ein kleiner Auszug als Appetitanreger: Auch die Moskauer Wölfe rissen hauptsächlich Elche und Schwarzwild. 1993/94 lebten in der Nähe von Moskau ca. 150 Wölfe, von denen jährlich 50 bis 60 erlegt wurden. Sie rissen jährlich ca. 250 Elche. Ab 1991 sank der Elchbestand, aber nicht allein durch die Wölfe, sondern auch durch Wilderer und andere Faktoren. Während in diesem Gebiet 1991 noch 13.100 Elche lebten, waren es 1995 nur noch 3.900. In den letzten 10 Jahren gilt in den Moskauer Gebieten: „Je mehr Wölfe desto weniger Huftiere“. Wenn die Wölfe dort nicht stark bekämpft werden, gehen sie vollständig auf Haustierernährung über, da das Angebot an Wildtieren nicht mehr ausreicht. Eine ähnliche Entwicklung konnte im Leningrader und Kirower sowie in 12 anderen zentralen Gebieten beobachtet werden. Die Elch- und Schwarzwildbestände sanken auf ein Drittel bis Viertel des 1991 vorhandenen Bestandes.

Oder, um den Spieß mal umzudrehen: Eine Gesellschaft, die sich aus der Evidenz potenzierter Transportgeschwindigkeitsvektoren jährlich vierstellige Todesraten auf den Straßen erlaubt, wird sich doch wohl dreistellige Abgänge im Humanbereich aus geschichtsökologischen Wohlgefühlsbarometern leisten können.

 

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