Der WM-Druck lastet auf Russlands Fußball

Russland und insbesondere dessen Fußball hat es derzeit nicht leicht. Und das ausgerechnet vor der Weltmeisterschaft im eigenen Land, einem ausgemachten Prestigeobjekt für eine ganze Nation. Auf politischer Ebene versucht der Westen der russischen Regierung an den Karren zu fahren und um die Nationalmannschaft ist es schon seit längerem nicht gerade zum Besten bestellt.

Wie krank müssen manche Gehirne sein, wenn sie sich nicht zu schade sind, zweieinhalb Monate vor dem vermutlich am meisten polarisierenden Sportereignis der Welt, das Land unbegründet durch den Schmutz zu ziehen, das sich für das Ereignis verantwortlich zeichnet? Schon bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi vor vier Jahren wurde mit einer beispiellosen Hetzkampagne gegen das Ausrichterland hergezogen und nichts unversucht gelassen, ein Haar in der Suppe zu finden.

Sicherlich, Russland hat sich mit der Doping-Affäre, um bei der sportlichen Metapher zu bleiben, ein Eigentor geschossen. Nur, und das ist der springende Punkt, wusste zum Zeitpunkt der Spiele noch niemand davon. Nun wird versucht, Russland einen mutmaßlichen Giftanschlag anzuhängen, obwohl es keinerlei Beweise gibt. Offenbar ist bei dem Spiel jedes Mittel recht. Dass all dies für die, ohnehin schon arg angeschlagene, Fußball-Nationalmannschaft des Gastgebers eine zusätzliche Belastung darstellt, steht außer Frage.

Politische Diskreditierung

Die beiden Testspiele der Sbornaja sollten so etwas wie einen Neuanfang nach dem Desaster bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren darstellen. Symbolisch dafür stehen, dass man sich der anstehenden WM auch sportlich gewachsen fühlt. Die Wahrheit auf dem Platz sieht anders aus. Zwar verlief die erste Hälfte der Partie gegen Brasilien im Moskauer Fußball-Tempel Luschniki noch recht gefällig, in der zweiten Halbzeit jedoch wurde nur allzu deutlich, dass die Südamerikaner, die durchaus zum engeren Favoritenkreis zählen, nur mit angezogener Handbremse spielten. Das 0:3 am Ende der Begegnung war nur die logische Konsequenz.

Bei der gestrigen Stanortbestimmung gegen Frankreich, das ebenfalls als möglicher Titelanwärter gehandelt wird, zeigten sich erneut eklatante Baustellen, an denen Cheftrainer Tschertschessow noch gewaltig zu kitten hat, will er ein konkurrenzfähiges Team für das Turnier auf die Beine stellen. Im Angriffsspiel der Sbornaja hakt es nicht erst seit dem schmerzlichen Ausfall von Lichtblick-Stürmer Kokorin. Es wirkt durchschaubar und es fehlt an den zündenden Ideen, die einen Gegner auch einmal aus dem Konzept bringen können.

Das, von dem ansonsten formschwachen Smolov, erzielte Tor beim 1:3 in der St. Petersburger WM-Arena war schön anzuschauen, aber als einziges Glanzlicht der Partie zu wenig. Im Mittelfeld zwang man sich behäbig, leistungsgerechten Fußball zu spielen. Auch die eiligst im letzten Jahr schnell eingebürgerten Bundesligaspieler Rausch und Neustädter erwiesen sich bisher noch nicht als Retter der Nation. Mehr als den ohnehin schon viel zu hohen Altersdurchschnitt der Mannschaft minimal nach unter zu korrigieren, konnten die beiden noch nicht beitragen.

Sportlicher Offenbarungseid

Die Defensive der russischen Mannschaft, die aus Personalmangel heraus so ziemlich dieselbe wie in diesen Testspielen bleiben wird, schien bei beiden Partien schlichtweg überfordert. Zu behäbig das Umschalten in den Rückwärtsgang, zu schludrig die Zuordnung zu den Gegenspielern, die stellenweise auffällig leichtes Spiel hatten. Irgendwie ging das alles viel zu schnell für die Russen, was Frankreich aufführte. Die Niederlage war am Ende verdient, der Treffer von Smolov lediglich ein Schönheitsfehler.

„Wir werden einen anderen Fußball zeigen müssen“, klingen die Worte nach dem Spiel resigniert. In der Tat muss die Sbornaja noch eine große Schippe drauflegen, um sich mit dieser Leistung nicht schon beim Eröffnungsspiel am 14. Juni gegen Saudi-Arabien bis auf die Knochen zu blamieren. Es wäre das erste Mal in der 88-jährigen Geschichte des Wettbewerbs, dass ein Gastgeber sein Auftakt-Spiel verlieren würde. Das gesteckte Ziel Achtelfinale, ist mit so einer Leistung noch lange nicht erreicht.

Die weiteren Gegner Russlands in der Gruppe A machten durch die Bank eine bessere Figur in ihren Testspielen der vergangenen Tage. So unterlag Ägypten den Portugiesen erst in der Nachspielzeit aufgrund der Weltklasse eines Christiano Ronaldos mit 1:2 und Uruguay gewann mit 2:0 gegen Tschechien. Eine surreale Erwartungshaltung der Fans im eigenen Land macht Stanislaw Tschertschessow die Arbeit nicht gerade leichter. Ja, man hat in Russland die berechtigte Angst sich bei aller Missgunst gegen die WM auch noch nach allen Kräften zu blamieren.

[mb/russland.NEWS]

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