Chodorkowskis Unterstützung von Prigoschins Aufstand spaltet Russlands Opposition  Michail Chodorkowski

Chodorkowskis Unterstützung von Prigoschins Aufstand spaltet Russlands Opposition  

Der bewaffnete Aufstand der Söldnergruppe Wagner hat nach Ansicht des russischen Menschenrechtsaktivisten Lew Ponomarjow die politische Opposition Russlands gespalten, deren Führungspersönlichkeiten sich zumeist im Exil befinden. Auslöser war die Unterstützung der Aufständischen durch den Oppositionspolitiker Michail Chodorkowski, der alle dazu aufrief, den Wagnerianern während des Aufstandes zu helfen und sich generell für einen gewaltsamen Sturz des Putin-Regimes aussprach. 

Ponomarjow widersprach ihm ebenso wie andere Vertreter demokratischer und liberaler Kräfte, die sich für einen friedlichen Machtwechsel aussprachen. Zuvor hatte sich vor allem der Oppositionspolitiker Wladimir Milow zu Wort gemeldet, der sich über die Haltung Chodorkowskis „überrascht und verwundert“ zeigte.

Der Menschenrechtler Ponomarjow erinnerte daran, dass Ende April auf einer Konferenz in Berlin 68 prominente Vertreter der russischen Opposition eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet hätten, die als Schritt zur Bildung einer breiten politischen Koalition und zur Ablösung des Regimes von Wladimir Putin bezeichnet worden sei. Große Anstrengungen wurden unternommen, um eine gemeinsame Plattform zu schaffen, die demokratisch gesinnte Russen im Ausland vereint. Chodorkowski hat sich aktiv dafür eingesetzt, dass die Opposition eine gemeinsame Position und ein gemeinsames Zentrum für den Dialog mit dem Westen hat. Der Prigoschin-Aufstand habejedoch gezeigt, wie gespalten die Unterzeichner der Berliner Erklärung sind.

Zwei Gruppen hätten sich gebildet. Die erste besteht aus Menschen, die Gewalt als einziges Mittel im Kampf gegen den „Putinismus“ akzeptieren. Die zweite Gruppe, so Ponomarjow

 auf Twitter, umfasse „alle anderen“ – diejenigen, die „an die Möglichkeit und Notwendigkeit eines friedlichen Machtwechsels in Russland hin zur Demokratie glauben“, diejenigen, die eigene öffentliche Aktivitäten zu diesem Zweck durchführen. Von der Gruppe, die „keine Gnade kennt“, habe Chodorkowski am 24. Juni gesprochen, betonte Ponomarjow.

„Der Westen sollte diese beiden Positionen kennen und auf dieser Grundlage strategische Entscheidungen treffen. Tatsächlich wird jetzt die erste Gruppe, die Gewalt befürwortet, bevorzugt. Meiner Meinung nach wird die Stimme derer, die einen friedlichen Machtwechsel befürworten, nicht gehört. Wir müssen einen separaten Dialog mit den Ländern des Westens suchen. Und die Befürworter eines gewaltsamen Vorgehens müssen die volle Verantwortung für ihre Aussagen übernehmen. Mit Menschenleben sollte sparsamer umgegangen werden“, so der Menschenrechtsaktivist.

In einem Interview mit Republic, ein russisches Portal für professionellen Journalismus auf Basis von Abonnements, sagte Wladimir Milow, die Menschen seien des Krieges und des damit verbundenen Alptraums offenbar so überdrüssig, dass sie „anfangen, die verrücktesten Ideen in die Welt zu setzen und nach einem magischen „Knopf“ zu suchen, um alles zu beenden“. Aufrufe zur Unterstützung des russischen Freiwilligenkorps oder des Gründers der Wagner-Truppe, Jewgeni Prigoschin, hält er für unseriös. „Es ist umso seltsamer, dies von Chodorkowski zu hören, als er in letzter Zeit Bücher geschrieben und über die Bedeutung von Institutionen und Parlamentarismus gesprochen hat“, so Milow.

Das Besondere an Prigoschin sei, dass er eine Person sei, „die Putins Idee von Gewalt und Gesetzlosigkeit als Hauptinstrumente des Regierens ad absurdum führt und auf die Spitze treibt. Die Hauptidee des wagnerianischen Anführers, so der Politiker, sei die totale Gesetzlosigkeit, für die Wagner zum Symbol geworden sei. In dieser Hinsicht seien sich Prigoschin und Putin ähnlich.

„Ich finde Chodorkowskis Reden sehr schädlich, denn unser Hauptpublikum sind die Menschen in Russland, die ein normales, besseres Leben wollen. Sie haben diese Anarchie satt, sie spüren sie jeden Tag. Und wenn man jahrelang über Institutionen, Parlamentarismus, Justiz und Rechtsstaatlichkeit redet und dann im entscheidenden Moment zeigt, dass man bereit ist, sich mit Banditen, Schlägern und Vergewaltigern zusammenzutun, dann glaube ich nicht, dass man viele Menschen davon überzeugen kann, zu seinen Anhängern zu werden… Das sah einfach dumm aus und hat die demokratischen Bewegungen, in denen Chodorkowski in letzter Zeit eine klare Führungsrolle beansprucht hat, sehr diskreditiert“, fügte Milow hinzu.

Am 24. Juni, dem Tag des Wagner-Aufstands, hatte Chodorkowski gesagt: „Wie wir unserem Land jetzt helfen können, ist, den Menschen zu helfen, Prigoschin zuzuhören, solange er die Wahrheit sagt.“ Der Exil-Politiker war auch der Meinung, dass man „sogar dem Teufel“ helfen müsse, wenn er „beschlossen hat, sich diesem Regime zu widersetzen“.

Später fügte er hinzu, dass Prigoschin mit seiner Rede das Putin-Regime erschüttert habe. In einem solchen Moment, so Chodorkowski, hätte dieses Regime gestürzt werden können – natürlich mit Blutvergießen. Alle anderen Methoden, einen Diktator zu stürzen, funktionierten nicht, das habe sich gezeigt, so Chodorkowski. Auf die Kritik anderer Mitglieder der russischen Opposition antwortete Chodorkowski, dass sich nur wenige Oppositionelle gegen ihn gestellt hätten. 

In den letzten Monaten gab es zwei repräsentative Foren der russischen politischen Opposition in Europa. Das erste fand Anfang Juni in Brüssel unter der Schirmherrschaft des Europäischen Parlaments statt, das zweite Ende April in Berlin. In Brüssel gab es keine Erklärungen, sondern eine Diskussion über den „Tag danach“ (der Titel der Konferenz lautete „The Day After“) – wie das Leben in Russland nach dem Regimewechsel gestaltet werden soll.

[hrsg/russland.NEWS] 

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