US-Medien spielen eine wichtige Rolle in der wieder aufgeflammten Auseinandersetzung um kulturelle Werte und nationale Identität zwischen Amerika und Russland. Ein Kampf, der auf dem Rücken von Minderheiten ausgetragen wird, wie ein aktuelles Forschungsprojekt des Wissenschaftsfonds FWF zeigt.
Ist Homosexualität in Russland verboten? Wer sich nicht sicher ist, tippt vermutlich eher auf „Ja“. Denn das Bild vom autoritär geführten Land, das Menschenrechte immer wieder missachtet, lässt diesen Schluss durchaus zu. Die Antwort ist jedoch falsch. Richtig ist hingegen, dass das russische Parlament 2013 ein umstrittenes Gesetz erlassen hat, das das Propagieren von Homosexualität gegenüber Minderjährigen verbietet.
Gleichzeitig gab es in den USA zur selben Zeit starke Gegenbewegungen. Die Ehe für Homosexuelle wurde eingeführt, und die als „Don’t ask, don’t tell“ (DADT) bekannte Gesetzgebung für Militärs ist gefallen. Seitdem ist es für Mitglieder der Streitkräfte erlaubt, ihre sexuelle Orientierung öffentlich zu machen. „Die Betonung sogenannter traditioneller Werte durch russische Staatsträger sowie die Konjunktur der Russischen Orthodoxie einerseits und die stark von der Regierung Obama geförderte Gleichstellung andererseits sind in den US-amerikanischen Medien stark gegeneinander ausgespielt worden“, erklärt Katharina Wiedlack von der Universität Wien.
Mediale Inszenierungen
Die Amerikanistin und Genderforscherin hat in den vergangenen Jahren eine neue Welle an US-Berichten und öffentlichen Diskursen über Russland beobachtet. In einem aktuellen Forschungsprojekt im Rahmen eines Hertha-Firnberg-Stipendiums des Wissenschaftsfonds FWF stellt sich Wiedlack den Fragen, welche Interessen dahinter liegen, wie die Werte zwischen Ost und West neu verhandelt werden und wie sich diese Bilder kulturhistorisch einbetten lassen.
Als die feministische Protestgruppe „Pussy Riot“ im Zuge der Amtsübernahme von Wladimir Putin 2012 aktiv wurde, gab es zahlreiche solidarische Bekundungen aus den USA. Stars wie Madonna solidarisierten sich mit den Frauen, die ins Gefängnis kamen, ebenso wie mit Schwulen und Lesben. Gleichzeitig führten amerikanische TV-Serien, wie zum Beispiel die gefeierte Serie „Orange is the new Black“, russische Figuren ein. „Diese Solidarität im Westen ist natürlich begründet“, betont Wiedlack. Ihr gehe es in dem Forschungsprojekt aber darum, zu zeigen, wie gerade Randgruppen instrumentalisiert und von den Medien als starke Konfrontation gepusht werden.
Konstruktionen nationaler Werte
Katharina Wiedlacks Projekt lässt sich in die Analysen zur „New Cold War Culture“ einreihen. Bis dato sei noch wenig untersucht, welchen Stellenwert Debatten über Minderheiten wie Homosexuelle, Menschen mit Behinderung oder politisch Verfolgte in diesem neuen Konflikt zwischen Ost und West haben. Dass der Westen seit einiger Zeit Bilder von Menschenrechtsverletzungen verstärkt in seinen Fokus rückt, helfe etwa Interventionen zu rechtfertigen, so Wiedlack. Das ist die politische Seite. Dass starke Frauen nach dem Vorbild der „Pussy Riot“ in den TV-Serien vermehrt vorkommen, ist die ökonomische Seite. Es gibt den Markt dafür. Doch auch im Film werde das Modell vom konservativen Russland propagiert. „Eine russische Figur, die für ein progressives Modell steht, habe ich noch nicht gefunden“, betont die Wissenschafterin der Universität Wien.
Abgrenzung in Schwarz-Weiß
Interessant dabei ist, dass auch die Berichterstattung der Nachrichtenmedien das gängige Bild von der progressiven US-amerikanischen Identität wesentlich mittransportiert. „Und die Abgrenzungsfigur dafür ist ganz stark russisch“, so Wiedlack. In ihren Analysen von Medienberichten der vergangenen zehn Jahre zeigt sich, dass sowohl Boulevard- als auch Qualitätsmedien mit wiederkehrenden Schablonen arbeiten: Hier der liberale Westen, dort der rückständige Osten. „Da werden die immer gleichen Bilder transportiert, ohne zu nuancieren“, betont Wiedlack. Dabei hat sie festgestellt, dass gerade liberale Medien oft sehr vereinfachende Geschichten transportieren. Oder auch unreflektiert in ein und derselben Ausgabe etwa über die Ermordung einer amerikanischen Transgenderfrau und kritisch über die homophobe Propaganda in Russland berichten, ohne Parallelen zwischen den Fällen zu sehen. Ersteres werde als die Tat eines Einzeltäters dargestellt, in Russland sei es die Kultur. Der Fokus auf das Andere erlaube es, das eigene Problem – zumindest für den Moment – auszublenden, lautet Wiedlacks These.
Historische Wurzeln von Ost-West
In ihrer Grundlagenforschung wirft die Nachwuchsforscherin auch einen Blick zurück in die Geschichte bis hin zur Aufklärung, um die aktuellen Entwicklungen in der Auseinandersetzung um Werte zwischen Ost und West in einen historischen Kontext einzubetten. Und auch dabei würde sich ein homogenes Bild ergeben, sagt Katharina Wiedlack. „Es war für mich fast erschreckend zu sehen, dass dieselben Bilder, wie zum Beispiel, dass Russland barbarisch sei, in fast derselben Wortwahl von dem Philosophen Hegel über Medien wie die New York Times in den 1990ern bis zur Washington Post im Jahr 2005 vermeintlich Gültigkeit haben.“ Das FWF-Projekt „Der Blick gen Osten: US-Identität, westliche Werte und russische verletzliche Körper“ läuft noch bis Ende 2018.
Zur Person:
Katharina Wiedlack ist Amerikanistin und Genderforscherin. Derzeit ist sie Inhaberin einer Hertha-Firnberg-Stelle des Wissenschaftsfonds FWF am Institut für Anglistik und Amerikanistik an der Universität Wien. Forschungsaufenthalte führten sie unter anderem an die University of California, Berkeley und die New York University. Ihre Schwerpunkte sind Queer Studies, Feminismus und Subkulturen. 2015 ist ihr Buch „Queer-Feminist Punk. An Anti-Social History“ erschienen.
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