Als deutscher Geschäftsmann in Minsk: “Ich fühle mich hier sicher”Stephan Hoffmann © russland.NEWS

Als deutscher Geschäftsmann in Minsk: “Ich fühle mich hier sicher”

Stephan Hoffmann leitet eine IT-Firma mit einer Dependance in Minsk. Er hat mit russland.NEWS über seine Erfahrungen in Belarus gesprochen.

Herr Hoffmann, erzählen Sie über Ihr Unternehmen. Was machen Sie in Minsk?

Stephan Hoffmann: North IT Group ist ein IT-Unternehmen. Wir bieten IT-Lösungen von Systemadministration bis zu App-Entwicklung überwiegend für Deutschland an, unsere Firma hat insgesamt 15 Mitarbeiter. Die meisten leben und arbeiten in Minsk.

Wie haben Sie Belarus vor den Wahlen erlebt?

Stephan Hoffmann: Belarus ist ein ruhiges zivilisiertes Land, sehr angenehm zum Leben. Aus meiner Sicht sind Belarussen ruhige, freundliche und aufgeschlossene Menschen. Ich werde oft gefragt, warum ich als Deutscher ausgerechnet in Minsk lebe und arbeite. Ich kam hierher, um Russisch zu lernen, und bin, wie man schön sagt, stecken geblieben. Aus sechs Monaten wurden inzwischen drei Jahre.

Dann kennen Sie das Land gut. Warum gehen die Menschen auf die Straße? Denn viele Russen können ihre Nachbarn nicht verstehen. Sie haben es doch so gut gehabt mit Lukaschenko …

Stephan Hoffmann: Meiner Einschätzung nach liegt es vor allem an den Fotos von Inhaftieren, die man gesehen hat. Die einfachen Menschen wollen ruhig und in Frieden leben. Aber die Gewaltanwendung gegen die Demonstranten hat viele Menschen sehr betroffen gemacht und zum ersten Mal richtig politisiert. Für diejenigen, mit denen ich gesprochen habe, war genau das der Auslöser. Die wirtschaftliche Situation hat dabei kaum eine Rolle gespielt. Die Auswirkungen der Corona-Krise spüren die Menschen noch nicht wirklich. Ich gehe von einer wirtschaftlichen Verschlechterung erst im nächsten Jahr aus – etwas später als in der EU. Man geht auf die Straße auch nicht unbedingt für Tichanowskaja, die eigentlich mehr eine Symbolfigur ist. Die richtig aussichtstarken Kandidaten hat man zu den Wahlen gar nicht zugelassen.

Wie geht es mit Ihrem Unternehmen weiter? Haben Sie Befürchtungen, Belarus verlassen zu müssen?

Stephan Hoffmann: Was die Zukunft unseres Unternehmens angeht, bin ich zuversichtlich. Trotz Corona und politischen Turbulenzen sind unsere Auftragsbücher voll. Natürlich ist die politische Situation nicht einfach. Polen und Litauen machen zum Beispiel ihre Botschaften in Minsk zu. Aber ich persönlich fühle mich hier sicher und habe keine Angst, das Land verlassen zu müssen. Global betrachtet ist die belarussische IT-Branche kaum von der politischen Krise betroffen, da die Rahmenbedingungen im Hi-Tech Park Belarus einmalig exzellent sind. So registrierten sich allein im August ca. 100 neue Firmen als Residenten des HTP. Die Entwicklung des IT-Sektors ist eine belarussische Erfolgsgeschichte, die das Potential des Landes gezeigt hat. Belarus bietet konkurrenzfähige Hochschulbildung und ermöglicht jedes Jahr 16.000 jungen Menschen die universitäre Ausbildung zum Ingenieur, Entwickler oder UX/UI-Designer. Auf die Größe gerechnet, kann und sollte Belarus stolz auf diese Zahlen sein. Auch übertrifft der Zuzug an IT-Spezialisten die Abwanderung von ebendiesen Kopfarbeitern nicht unerheblich. 25 Prozent unserer Mitarbeiter sind Nicht-Belarussen, und dies mag ich sehr, da wir so auch immer frische Ideen und neue Sichtweisen entwickeln. Seit einigen Jahren wandelt sich der belarussische IT-Sektor aus meiner Sicht weg von großen „Outsourcing-Fabriken“ hin zu eigenen Produktunternehmen. Dabei werden viele kleine und mittlere eigentümergeführte Unternehmen gegründet, die smarte Ideen für den digitalen Weltmarkt entwickeln und verkaufen. Eine Struktur, die wir nur zu gut aus Deutschlands Maschinenbau kennen.

Ich würde gerne mit der Aussage von Wladimir Putin abschließen, dass jedes Volk selbst über seinen Weg entscheiden muss und dass sich das Ausland aus internen Konflikten heraushalten soll. Mein Wunsch ist letztendlich, dass die Gewalt nicht weiter eskaliert und wir uns wieder an der Entwicklung dieses wunderbaren Landes zusammen mit seinen kreativen Menschen beteiligen können.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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