„Alles ruhig“ – wie erleben Moskauer den Corona-Alltag?© russland.news

„Alles ruhig“ – wie erleben Moskauer den Corona-Alltag?

Die bekannte russische Late-Night-Show Wetschernij Urgant (Abendlicher Urgant) wird ohne Studiozuschauer gedreht. Schulen werden geschlossen, die meisten Firmen wechseln zum Homeoffice und auch die russische Fußballliga macht nach langem hin und her Schluss. Alltag in Moskau zu Zeiten des Coronavirus. Wie empfinden die Moskauer diese große Umstellung? russland.NEWS hat einige Stimmen gesammelt:

Marina, Rentnerin

Ich wollte vor einigen Tagen eine Bekannte besuchen, doch meine Kinder haben mir davon abgeraten: ich sollte lieber nicht mit der Metro fahren. Allerdings, erzählt man, hat die sonst zu Stoßzeiten so volle Moskauer Metro, relativ wenig Fahrgäste. Ansonsten merke ich keine Auswirkungen. Ich gehe ganz normal einkaufen und mit meinem Hund spazieren. Die Geschäfte sind voll, allerdings habe ich gestern zwei ältere Frauen beobachtet, die auffällig viele Packungen Buchweizen kauften. Mein Sohn ist Architekt, und sein Büro hat noch nicht zugemacht und er fährt jeden Tag zur Arbeit. Meine Tochter hat eine kleine Druckerei, sie kann ja gar nicht im Homeoffice arbeiten. Erstaunlicherweise haben sie noch Aufträge.

Nikolai, Unternehmer

In der Stadt ist alles ruhig, die Regale in Geschäften sind voll. Allerdings gehen Buchweizen, Nudeln, Salz und Zucker langsam zuneige. Ich beobachte, dass die Einkaufstaschen der Menschen immer größer werden. Mein Fitnessclub hat noch nicht zugemacht, aber man merkt, dass dort weniger Menschen trainieren. Gestern bekam ich eine Mail von der Stadt Moskau, da ich über 60 Jahre bin, gehöre ich zu einer Risikogruppe und solle mich entsprechend verhalten: so wenig wie möglich das Haus verlassen und sich am besten mit Nahrungsmitteln beliefern lassen. Gesichtsmasken findet man in den Apotheken nicht mehr. Merkwürdig, dass man kaum jemanden mit einer Maske sieht. Heute habe ich zum ersten Mal einen Mann im Bus gesehen, der ein richtiges Atemschutzgerät trug. Die Regierung redet von circa 150 Coronavirus-Fällen im ganzen Land, aber es fällt mir schwer, daran zu glauben. Es gibt Gerüchte, dass in Moskau der Notstand ausgerufen wird. Ich kann es mir aber noch nicht vorstellen.

Jekaterina, Managerin bei einer deutschen Firma

Mein Mann und ich sind am 15. März aus Deutschland zurückgekehrt. Im Flughafen ist uns Fieber gemessen worden und wir haben ein Memo darüber bekommen, wie wir uns verhalten sollen. Jetzt sind wir zwei Wochen in Hausquarantäne. Wir bekamen auch eine Mail und eine SMS von der Stadt Moskau, dass wir uns in die Quarantäne zu begeben haben, weil wir aus Deutschland kamen. Dafür muss man sich bei einer Hotline registrieren lassen. Ich gehe gar nicht einkaufen, sondern lasse mir alles nach Hause liefern. Gestern kam eine große Bestellung, die ich bei Metro getätigt habe. Sie mussten aber eine andere Sorte Nudeln liefern, weil es die von mir bestellten nicht mehr gab. Ich habe mir schon im Vorfeld Baumwollmasken nähen lassen, die gewaschen werden können, so dass wir bestens ausgerüstet sind. Ich arbeite seit Jahren schon mehrere Tage in der Woche im Homeoffice, daher war das für mich kein Problem. Mein Arbeitsplatz zu Hause ist komplett eingerichtet, ich kann sämtliche Meetings und Termine von zu Hause aus erledigen. Für meinen Mann ist es schwieriger, er kann nicht nur mit Mails arbeiten, und da ist das Homeoffice natürlich nicht so effektiv.

Maria, Übersetzerin

Es ist von Geschäft zu Geschäft sehr unterschiedlich. In einigen sind die Regale schon ziemlich leer, in andern ist alles wie gewohnt. Die ganze Situation erinnert mich sehr an die Tschernobyl-Katastrophe. Auch damals kamen die ersten beunruhigenden Nachrichten aus Europa, und wir haben die ganzen Ausmaße der Geschehnisse lange nicht verstanden. Meine Schwiegertochter war total verunsichert, ob wir den Geburtstag meiner kleinen Enkelin mit anderen Kindern feiern sollten oder nicht. Wir haben dann doch auf die Feier verzichtet. Gestern musste ich aus privaten Gründen nach Petersburg fahren. Der ICE Sapsan war so gut wie leer.

[hrsg/russland.news]

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