Aktivistin von Pussy Riot im Interview: „Ich bin Konzeptkünstlerin“

Aktivistin von Pussy Riot im Interview: „Ich bin Konzeptkünstlerin“

Juri Dud ist im Moment der bekannteste russische Journalist und Video-Blogger. Sein YouTube-Kanal vDud, der er 2017 startete, hat bereits vier Millionen Abonnenten. Dud interviewt bekannte Musiker, Journalisten, Geschäftsleute, Rapper und Politiker – unter anderem Alexei Nawalny, Wladimir Posner, Michail Chodorkowski, Wladimir Schirinowski, Xenia Sobtschak oder Skandalrocker Sergei Schnurow.

Jedes Interview erzielt zwischen 4 bis 16 Millionen Aufrufe. Insgesamt wurde sein Kanal inzwischen mehr als 350 Millionen Mal aufgerufen – sein neuestes Interview in wenigen Tagen schon über 5 Millionen Mal. Nadeschda Tolokonnikowa, Mitglied der berühmt berüchtigten Punkrock-Band Pussy Riot, beantwortet fast eine Stunde und dreißig Minuten seine Fragen über Sex, Politik und ihre Zeit im Gefängnis.

Tolokonnikowa erzählte, dass sie sich als Konzeptkünstlerin versteht. Nach der Schule, die sie übrigens mit dem Durschnitt 1,0 absolvierte, kam sie aus der sibirischen Stadt Norilsk nach Moskau, um Performancekünstlerin zu werden. Schon als junges Mädchen verstand sie, dass Kunst „gefährlich und explosiv“ sein kann – und das faszinierte sie.

Pussy Riot ist durch ihre radikalen Aktionen bekannt, doch Nadeschda überraschte im Interview mit dem Statement: „Ich verabscheue Gewalt“. Als sie bei einer Aktion brutal attackiert wurde, habe sie einen ihrer Angreifer danach umarmt.

Juri Dud interessierte, woher das Geld für einen Privatjet kam, womit ihr Ex-Mann und Pussy-Riot Aktivist Pjotr Wersilow nach einer Vergiftung nach Berlin transportiert wurde. Viele Menschen seien bereit, ihre Band zu unterstützen, so Tolokonnikowa, auch im Ausland. Der Gründer der Stiftung Cinema for Peace, Jaka Bizilj, sammelte für diesen Zweck 40.000 Euro.

Nadeschda hat eine 10-jährige Tochter. Was denkt sie über ihre Mama? „Kinder finden es cool, wenn sie schräge Eltern haben“, meinte die Punk-Künstlerin. In einer Aktion im Jahre 2008 hat sie mit Gruppensex in einem Museum gegen den neuen Präsidenten Dmitri Medwedew demonstriert. Sie war damals im neunten Monat schwanger. Die Aktion würde er verstehen, meinte Dud, aber war das nicht ihrem noch nicht geborenen Kind unfair gegenüber? Sie fände diese Aktion nicht unmoralisch und würde sich dafür nicht schämen. Wenn sie ihr Kind zu einem Mord geschleppt hätte, das wäre schlecht. Ihr Vater, übrigens, würde sie sehr unterstützen und war sehr beleidigt, dass sie ihn damals nicht zu dieser Aktion eingeladen hätte.

Würde sie die bekannteste Aktion in der Erlöser Kathedrale heute wiederholen? Sie habe keine Zeitmaschine und kann nicht zurückkehren, meinte Tolokonnikowa. Sie habe ihr Leben davor gemocht, meinte sie. „Ich brannte für unsere Aktionen und war eine richtige Soldatin. Politische Protest-Art-Aktionen waren mein Leben“. Über ihre Zeit im Gefängnis erzählte sie, dass sie dort lesbische Beziehungen hatte. Sie berichtete aber auch über schlimme Menschenrechtverletzungen im Frauengefängnis. So wurde eine Mitinsassin dafür bestraft, dass sie Nadeschda beim Nähen half, weil es verboten sei.

Über ihre sexuelle Orientierung sagte Tolokonnikowa, dass sie nicht bi-sexuell ist, sondern der Meinung sei, dass es mehr als nur zwei Geschlechter gibt. Zwischen dem männlichen und dem weiblichen Pol gibt es viel mehr. „Ich zähle mich selbst nicht ganz zum weiblichen Geschlecht“, erklärte sie. Denn sie habe sehr viel männliche Züge.

Madonna nannte Tolokonnikowa „arrogant“. Sie wollte die Rechte für einen Film über Pussy Riot für die „lächerliche Summe“ von 15.000 Dollar bei den Aktivistinnen erwerben. „Wir haben Nein gesagt“. Über die Teilnahme an der Serie House of Cards erzählte sie, dass sie und ihre Mitstreiterin unbedingt sehen wollten, wie diese erfolgreiche Serie gemacht wird. Für die Aufnahmen bekamen sie 4.000 Dollar.

Wovon lebt die Punk-Band, wollte der Blogger wissen. Von ihren Aktionen und Konzerten im Ausland, erzählte die Aktivistin. Aber ihr ist klar, dass die meisten zu ihren Konzerten wie „in den Zoo“ kommen.

Allen seinen Interviewpartnern stellt Dud ein und dieselbe Frage: „Was würden Sie zu Putin sagen, wenn Sie ihm begegnen würden?“ „Nichts“, antwortete Nadeschda Tolokonnikowa. „Er würde doch seine Strategie nicht ändern, wenn ich ihm etwas sage. Wozu dann Worte verschwenden?“

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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