Auf dem Weg zum Russland-VersteherKalich, Ralf bild © huebner

Auf dem Weg zum Russland-Versteher

In der vergangenen Woche war eine Gruppe von Abgeordneten der Partei DIE LINKE aus dem Bundestag, den Landesparlamenten und dem Europäischen Parlament auf einer Informationsreise in Wolgograd und Moskau. Über seine Eindrücke und Gedanken sprach Ralf Kalich, Landtagsabgeordneter in Thüringen in einem Interview.

Was war der konkrete Anlass für diese Reise?

Einmal im Jahr informieren sich Abgeordnete der Partei vor Ort in verschiedenen Ländern über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Diesmal hatte das Büro Moskau der Rosa-Luxemburg-Stiftung für uns ein Programm vorbereitet, das uns nach Wolgograd und Moskau führte. Mit der Entscheidung für Russland wollten wir uns ein eigenes Bild machen von der Situation dort, vorbei am Meinungs-Mainstream. Ich meine, jeder Kontakt nach Russland ist wichtig, um zu zeigen, dass es auch eine politische Alternative zur aktuellen deutschen Russland-Politik gibt und hier dürfen wir nicht der AfD das Feld überlassen.

Bei den zahlreichen Veranstaltungen und Begegnungen haben wir die Befindlichkeiten der russischen Bürger kennengelernt und ich hatte einige Aha-Erlebnisse.

Welche waren das?

Bei unserem Besuch in Wolgograd hat mich erstaunt, mit welcher Herzlichkeit wir empfangen wurden. Diese Versöhnung ist eine große Leistung der Menschen in Russland, angesichts der vielen Hunderttausend Toten in der Schlacht bei Stalingrad, was uns gerade auf dem deutsch-sowjetischen Soldatenfriedhof Rossoschka deutlich vor Augen geführt wurde. Dort und auf dem Mamajew-Kurgan wird auf ganz unmittelbare Weise klar, dass wir als Deutsche auch Russland gegenüber eine besondere Verantwortung haben und alles tun müssen, damit sich so etwas Schreckliches nicht wiederholt.

Aber es gab auch interessante Gespräche zum heutigen Wolgograd, beispielsweise an der Staatlichen Universität über den Studentenaustausch, gerade im bevorstehenden deutsch-russischen Jahr der Hochschulbildung und Wissenschaft, aber auch mit Vertretern der Stadtverwaltung von Wolgograd über Tourismus, Städteplanung und Verkehr.

Was war für Sie als Kommunalpolitiker besonders interessant?

Vor allem, dass die Stadt sehr sauber ist, da können wir uns vielerorts ein Beispiel nehmen. Außerdem ist kaum Polizei zu sehen und uns wurde gesagt, das Wolgograd eine der sichersten Großstädte Russlands ist. Andererseits habe ich festgestellt, dass es kaum Radwege gibt, obwohl sich die Stadt durch ihre lang gezogene Lage an der Wolga dafür gut eignet. Im Nahverkehr dominieren die Trolleybusse mit elektrischer Oberleitung, Straßenbahnen und Erdgas betriebene Autobusse. In dieser Hinsicht ist die Umweltbilanz von Wolgograd positiv.

Was stand in Moskau auf dem Programm?

Sehr aufschlussreich war ein Rundtischgespräch im Europa-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften über die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland, bei dem wir viel über die Einschätzung der deutschen Politik in der russischen Gesellschaft erfuhren, wir aber auch die Positionen der linken und demokratischen Kräfte in Deutschland für ein besseres Verhältnis zur Russischen Föderation erläuterten.

Außerdem hatte die Rosa-Luxemburg-Stiftung in ihren Räumen eine Begegnung mit Partner/innen aus dem ganzen Land sowie Gespräche mit deutschen und russischen Spezialisten zu Themen, wie der linken Bewegung und der Gewerkschaftsarbeit in Russland, der Pressefreiheit, Minderheitenrechte oder dem deutschen Business in Russland organisiert. Ein Höhepunkt für uns als Parlamentarier waren natürlich die Gespräche in der russischen Staatsduma.

Worum ging es dabei?

Wir haben uns dort mit Abgeordneten der Kommunistischen Partei und der Partei „Gerechtes Russland“ getroffen. Dabei wurde deutlich, dass alle Parteien im russischen Parlament den außenpolitischen Kurs von Präsident Putin unterstützen, wobei es bei innenpolitischen Fragen durchaus gegensätzliche Positionen gibt. Das zeigte sich zum Beispiel in der Unterstützung der Proteste in der Bevölkerung gegen die Rentenreform und der, wenn auch letztlich erfolglosen, Ablehnung des Gesetzesentwurfs in der Duma.

Auch die Rolle der AfD in den deutsch-russischen Beziehungen war ein Thema. Dabei zeigte sich, dass unsere Gesprächspartner die Positionen dieser Partei gegen die Sanktionen und für bessere Beziehungen Deutschlands zu Russland gut fanden, sich aber über die Hintergründe und Motive sowie über die Rolle der AfD in Deutschland im Klaren waren. Die Bemühungen unserer Partei in Deutschland für eine Normalisierung des Verhältnisses zu Russland werden zwar anerkannt, aber als wenig einflussreich eingeschätzt. Wie undifferenziert mit der AfD in Russischen  Medien umgegangen wird, zeigte ein Beitrag in der Moskauer Deutschen Zeitung, in dem ein Abgeordneter dieser Partei seine rassistischen Positionen vertreten darf, ohne dass diese kritisch hinterfragt werden. Irritiert war ich, dass ein AfD-Vertreter die die Parlamentarierdelegation zum Petersburger Dialog, an dem auch einige von uns teilgenommen haben, anführen durfte. Da ist es umso wichtiger, dass eine hochrangige Vertreterin der Regierungspartei Einiges Russland in einem Zeitungsbeitrag dargelegt hat, warum man in Russland nicht auf die AfD setzen sollte.

Gab es auch Kontakte zu oppositionellen Kreisen in Russland?

Ein Beispiel, wie in Russland mit der Opposition umgegangen wird, gab uns ein Besuch im Sacharow-Zentrum in Moskau. Die dem Dissidenten, Wissenschaftler und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow gewidmete Ausstellungs- und Begegnungsstätte wurde der NFGO zwar kostenlos zur Verfügung gestellt, aber die Organisation wurde bereits zweimal mit Strafen belegt, weil sie sich weigerte, in die Liste „ausländischer Agenten“ aufgenommen zu werden. Mein Eindruck ist, dass man in Russland Opposition zwar zulässt, aber die kontrollieren will, damit sie nicht zu stark wird.

Wie verwerten Sie Ihre Erkenntnisse und Eindrücke in der politischen Arbeit?

Es gibt viele – im Parlament und in der Bevölkerung, die heiß auf meine Informationen aus Russland sind, weil sie der oft einseitigen Berichterstattung in den Medien nicht mehr trauen. Deshalb werde ich in verschiedenen Formen öffentlich über meine Eindrücke informieren. Im Landtag werden wir als Fraktion einige kleine Anfragen zum Verhältnis zu Russland, der Zusammenarbeit auf den verschiedenen Ebenen stellen.

Außerdem war für mich persönlich diese Reise eine optimale Vorbereitung auf die die in wenigen Tagen stattfindende Fahrt nach Kaliningrad im Rahmen der Arbeit des Freundeskreises Litauen-Kaliningrad, wo wir unter anderem mit Vertretern der Gebiets-Duma über Möglichkeiten der regionalen und kommunalen Zusammenarbeit sprechen werden.

Alles in Allem: Ich bin jetzt auf dem Weg zum Russland-Versteher.

[Das Gespräch führte Hartmut Hübner/russland.NEWS]

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