Die Grundwerte Russlands

Was macht Russland zu Russland und warum sind die Russen so, wie die Russen sind? Diesen Fragen gingen pünktlich zum hundertjährigen Jahrestag der Oktoberrevolution ein Politiker sowie das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche nach. Herausgekommen ist der Versuch einer Definition, warum das Modell Russland überhaupt funktionieren kann.

Auf einer Konferenz zum Thema „Russland im 21. Jahrhundert: Historische Erfahrungen und Perspektiven“ in Moskau äußerte sich der Vorsitzende der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, zu den Grundwerten seiner Landsleute. „Wir müssen es lernen, die bestehende Lebensordnung zu schätzen“, sagte der 53-Jährige. Ein Satz, wie er auch in jedem Horoskop stehen könnte, allgemeingültig und auf alles und jeden anwendbar. Falsch machen kann man mit solch einer Grundeinstellung sicherlich nichts.

Seine weiteren Vorstellungen zum Wohle der Gesellschaft versuchte Wolodin zumindest an das russische Leben, verknüpft mit Traditionen und kulturellen Eigenheiten, anzugleichen. „Wir müssen verstehen, wie in dieser Lebensordnung unsere Grundwerte zur Geltung kommen: Familie, Glaube, Zusammenhalt, Heimat und natürlich auch Gerechtigkeit“, sagte er und verwies unterschwellig darauf, dass die russischen Tugenden auch angesichts des modernen Zeitalters durchaus ihre Berechtigung haben.

Kein Platz für Umwälzungen

Überhaupt das Thema Gerechtigkeit: Hier ließ der Duma-Vorsitzende keine Zweifel aufkommen, dass die Politik Russlands nur zum Besten der Bevölkerung ausgerichtet sei. Denn es sei insbesondere der Mangel an Gerechtigkeit, der die Gesellschaft spalten und den Nährboden für revolutionäre Marginale schaffen könne. Auf diesen Grundsätzen müsse die russische Gesetzgebung fußen, so Wolodin, denn ohne Respekt würden im Endeffekt die Grundpfeiler der Staatlichkeit zerstört.

Die Brücke, die der Chef des Unterhauses zum historischen Anlass der Konferenz zu schlagen versuchte, klang deshalb eher wie eine Warnung an das Russland des 21. Jahrhunderts, angesichts der Furcht vor der Einflussnahme von außen. „Eine Revolution ist eine gewaltsame Machtübernahme. Es ist unzulässig, Revolutionen zu romantisieren und Menschen zu heroisieren, die legale Regierungen stürzen und ihre Völker zu sinnlosem Leiden verdammen“, betonte der Politiker.

Aber er sei sich sicher, dass die Mehrzahl der Russen den Begriff Revolution mit Verbrechen und Rückständigkeit gleichsetze, und legt dem Volk damit die Antwort gleich in den Mund.

Moralische Tugenden

Auch der Oberhirte der Russisch-Orthodoxen Kirche gab seinen Schäfchen die Losung für das 21. Jahrhundert mit auf den Weg. Auf dem „21. Ökumenischen Russischen Volkskonzil“ stieß der russische Patriarch Kyrill zu Klängen von Familie, Bildung und Wissenschaft ins gleiche Horn, wenngleich er sich kirchlicher Untertöne bediente.

Der Patriarch beschwor die Familie als den Ort, wo Traditionen, Umgangsformen und sogar Berufe weitergegeben werden. Nicht ohne dabei den Teufel an die Wand zu malen, denn die Familie werde seiner Meinung nach, ebenso wie die Gesellschaft, durch dieselben Herausforderungen bedroht. Als Wurzel allen Übels hat Kyrill „die extremen Ausprägungen der Juvenal-Justiz, gleichgeschlechtliche Ehen sowie die Behauptung des Transhumanismus“ ausgemacht. „Pfui Teufel“ möchte man da sofort denken.

Doch auch die Russisch-Orthodoxe Kirche glaubt im 21. Jahrhundert angekommen zu sein, wenn der Patriarch über die Familie hinaus die staatliche Souveränität erwähnt. Um diese zu bewahren, findet er es wichtig, die eigene russische Wissenschaft und Pädagogik wiederaufzubauen und zu entwickeln. „Russische Bildung könnte zum Vorbild werden – ebenso wie die russische Wissenschaft und die russische Literatur“, sagte er auf dem Konzil. Wohl wissend, dass er damit den Widerstand all derjenigen auf sich zieht, die sich für weltweit einheitliche Bildungsstandards starkmachen.

Als Fazit könnte man sagen, dass sich Russland offenbar seit den Zeiten Peters des Großen abmüht, den Ansprüchen des gegenwärtigen Jahrhunderts mit seinem Mix aus Tradition und Moderne zu begegnen. Viel Platz für Veränderungen bleibt da nicht und das ist heutzutage vielleicht ganz gut so – zumindest für Russland.

[mb/russland.NEWS]

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