1001 Nacht in St. Petersburg

Eigentlich ist die einstige Zarenstadt an der Newa ja schon ein Exot an sich unter den Weltstädten. In Kombination mit zigtausende Exoten aus Nordafrika und dem fernen Morgenland ergibt das eine Mischung, bei der sogar Peter der Große nicht mehr still auf seinem Sockel stehen mag.

Wenn ein Fußballspiel von Haus auf keinen allzu großen Spannungsbogen erwarten lässt, dann konzentriert man sich eben auf das Wesentliche. Die dominierenden Fußballnationen sind sie nun wirklich nicht, der Iran und Marokko. Dass dies der Stimmung keinen Abbruch tut, bewiesen sie beide schon seit Anfang der Woche auf der Hauptverkehrsader St. Petersburgs, dem Newski Prospekt. Wären sie auf Kamelen eingeritten, wen hätte es gewundert.

Beim Auftaktsieg der Hausherren gegen die anderen Morgenländer aus der weiten Wüste, in der statt Milch und Honig hektoliterweise Erdöl fließt, waren es die Iraner, die die Gastgeber auf der Feiermeile beim kollektiven Rudelgucken nach Leibeskräften unterstützten. Das mag zum einen aufrichtiger Begeisterung über tolle Gastgeber und einem fulminanten Spektakel geschuldet sein, könnte aber auch politisch motiviert gewesen sein. So richtig grün sind sich der Iran und Saudi Arabien schon lange ja nicht mehr.

Ein Fußballspiel geht über 90 Minuten. So lauten die Regeln. Wie überall gilt aber auch hier, sie werden durch Ausnahmen bestätigt. Lachen, singen, tanzen, und das zu einem langweiligen Spiel. Das muss man auch erst können. Die Angriffe sind, nicht zuletzt deshalb, weil manche Namen schier unaussprechlich klingen, wirklich erwähnenswert. Allerdings, und das muss einmal gesagt werden, war die Hütte an der Newa mit 62.548 Zuschauern rekord-voll. Das haben nicht einmal die Deutschen während des ConFed-Cups letztes Jahr geschafft – Respekt!

Newski Prospekt wird zum Party Boulevard

Ein weiterer Orientale schließlich, der türkische Schiedsrichter Cüneyt Çakır , nahm es sich dann heraus, das Regelwerk um fünf weitere Minuten etwas großzügiger auszulegen. Das machen sie gern, die Türken. Das geht schon beim Gefeilsche um einen Teppich los. Und der muss noch nicht einmal fliegen können.

„Da sprach der Scheich zum Emir: Jetzt zahl´n wir, und dann geh´n wir! Da sprach der Emir zu dem Scheich: Zahl´n wir später, geh´n wir gleich!“ Die Zeche in der St. Petersburg Arena, aus deren Namen man den Sponsoren turnierbedingt herausgelassen hatte, zahlte Aziz Bouhaddouz. Beim Kiez-Kultklub St. Pauli in Lohn und Brot und für eine Viertelstunde vor Spielschluss als Joker eingewechselt, gelang in der letzten Minute der Nachspielzeit ein Bilderbuchtor für den Iran. Dumm nur, dass Aziz Marokkaner ist und das Tor das Eigene.

Ein halbhoher Flugkopfball als Finale furioso – für den unbedarften Zuschauer ein Sahnehäubchen-Zuckertor, für die Iraner die Erlösung und für die Marokkaner eine riesige Sch…e vor dem Herrn. Allah Allah kann man da nur noch sagen. Wenn das der Fußballgott aus dem Orient ist, dann langt der genauso daneben wie der bei uns, das steht nun fest. Sei’s drum, Mund abputzen, das Leben geht weiter – auch in Afrika. Vorerst allerdings ging es erst einmal auf den Straßen von St. Petersburg weiter, und das ist schon ein ganzes Stück weit weg von der westlichen Sahara.

Party in den Straßen, Party in der Metro, Party überall. „Sie kamen, um die Stadt zu fluten“, schrieb das Stadtportal Fontanka.ru. Allerdings fanden nicht alle Petersburger Gefallen an den „Wilden“, wie eine Frau sie nannte. Die Gäste verstanden zwar kein Wort von dem was sie sagte, aber der strenge Ton der Frau nötigte sie dann doch, von den Sitzen zu steigen und sich artig hinzusetzen. Sie lassen ja mit sich reden, diese Orientalen aus dem Morgenland.

 

[mb/russland.NEWS]

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