Zweiter Weltkrieg und Dystopien: Was lesen die Russen© russland.news

Zweiter Weltkrieg und Dystopien: Was lesen die Russen

Seit Beginn der Mobilmachung in Russland verzeichnen die Verlage einen Rückgang der Buchverkäufe im Allgemeinen. Das Interesse der Russen an Literatur über den Zweiten Weltkrieg und Hitlerdeutschland ist jedoch stark gestiegen, berichtet die Zeitung Kommersant.

So hat sich beispielsweise das Buch „Der deutsche Krieg: 1939 – 1945“ des renommierten Oxford-Historikers Nicholas Stargardt über die Wahrnehmung der Ereignisse jener Jahre durch die Bürger des Dritten Reiches hat sich in der Buchhandelskette Chitay-Gorod verfünffacht und in LitRes 17-fach erhöht. Im Zeitraum vom 21. September bis zum 4. Oktober ist der Verkauf dieses Buches in Chitai-Gorod im Vergleich zum 7. bis 20. September um 405 Prozent gestiegen. Der Bombora-Verlag verzeichnet einen Anstieg der Verkaufszahlen von Julia Boyds Buch „Travellers in the Third Reich: The Rise of Fascism Through the Eyes of Everyday People“.

Der Verlag Alpina stellt fest, dass die Nachfrage nach Büchern über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs nach dem 24. Februar zugenommen hat und weiter zunimmt. Eric Larsons Buch „In the Garden of Beasts: Love, Terror, and an American Family in Hitler’s Berlin“ über Hitler-Deutschland Mitte der 1930er Jahre gehört zu den Bestsellern des Verlags, und auch Winston Churchills „Der Zweite Weltkrieg“ verkauft sich gut.

Die Literaturkritikerin Galina Jozefowicz ist der Meinung, dass die Menschen eine Erklärung dafür brauchen, was „mit unserem Land geschieht“. Ihrer Meinung nach können die modernen russischen Medien „kaum eine erschöpfende, klare, begriffliche Erklärung bieten“, weshalb sich die Menschen an die Literatur wenden. „Literatur, die das Geschehen der Gegenwart unmittelbar einfängt, ist noch nicht geschrieben worden und wird auch noch lange nicht geschrieben werden. Daher suchen die Menschen intuitiv nach historischen Epochen, deren Erfahrungen mit ihnen zu korrelieren scheinen“.

Neben Büchern über den Zweiten Weltkrieg haben die Russen verstärkt Ratgeber für die kindliche Entwicklung und die Schulvorbereitung sowie Bücher über Hobbys und Handarbeiten gekauft. Nach Angaben des Verlags Bombor hat sich der Absatz des letzteren im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Nach Angaben von Alpina stieg der Verkauf von Viktor Frankls “ … trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ im September um 40 Prozent.

Interessanterweise war eines der beliebtesten Bücher in Russland während der Pandemie George Orwells Roman 1984. Laut einer Umfrage gaben über 20 Prozent der Befragten an, dass sie das Jahr 2020 mit dieser Dystopie assoziieren.

Die Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM vom Mai ergab, dass 92 Prozent der befragten Russen Bücher lesen, wobei sie Belletristik bevorzugen (61 Prozent). Die Top-5-Liste umfasst auch Bücher zu speziellen Themen (33 Prozent), populärwissenschaftliche Bücher (31 Prozent), philosophische Literatur und Kochbücher (jeweils 12 Prozent). E-Books sind bei Befragten mit Hochschulbildung (19 Prozent), mit hoher Kaufkraft (22 Prozent) und bei Einwohnern von Moskau und St. Petersburg (27 Prozent) beliebter.

[hrsg/russland.NEWS]

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