Wohin nur mit den Abfällen? Das Recyclingproblem in Russland

Wohin nur mit den Abfällen? Das Recyclingproblem in Russland

[von Anastasia Byrka] Das Abfallentsorgungssystem in Russland unterscheidet sich stark von europäischen Systemen. Von der Müllabfuhr abgeholte Abfälle enden oft ohne vorherige Trennung auf großen Deponien. Die Folge sind hunderte Hektare verschmutztes Land. Doch aktuell ist ein Umschwung in Sicht: In den letzten Monaten versuchen Russlands Regionen eine Müllabfuhr getrennt nach Abfallfraktionen einzuführen. Sichtbare Erfolge sind jedoch bislang kaum zu sehen, da das Problem nicht nur beim Abfuhrsystem, sondern auch bei der Weiterverarbeitung der Abfälle liegt.

Pläne für die „Müllreform“

2013 hat das russische Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt eine neue Strategie für den Umgang mit festen Haushaltsabfällen verabschiedet. “Die Müllreform“ – so wird sie in den Medien genannt – ist bis 2030 ausgelegt. Ziel ist es, bis dahin eine getrennte Sammlung von festen Hausabfällen in den Großstädten Russlands einzuführen. Hierfür ist die Aufstellung von zwei verschiedenen Müllcontainern vorgesehen, die für die Sortierung von „trockenem“ und „nassem“ Abfall bestimmt sind. In die „trockenen“ Container gehören demnach Materialien, die sich für eine Weiterverarbeitung eignen, wie Papier, Plastik, Metall oder Glas. Zu den „nassen“ Abfällen zählen Lebensmittel- und Pflanzenreste. Nach den beschlossenen Änderungen ging die Verantwortung für den Umgang mit Abfall ab dem 1. Januar 2019 auf die Subjekte der Russischen Föderation über. Die Regionen suchen nun nach geeigneten Plätzen für neue Deponien, um nicht verwertbare Abfälle zu lagern und erörtern, wie die Abfuhr und Entsorgung sowie die Verarbeitung von festen Siedlungsabfällen am besten gestaltet werden könnte.

Vor einem Jahr, am 14. Januar 2019, unterschrieb Russlands Präsident Wladimir Putin ein Dekret zur Gründung des Unternehmens „Russischer Umweltbetreiber“, welches zuständig für die Abfallentsorgung von ganz Russland wurde. Das Unternehmen bekam den Auftrag, ein System für den Umgang mit festen Haushaltsabfällen zu entwerfen, schädliche Auswirkungen von Abfällen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu verhindern sowie die Verarbeitung von Müll zu kontrollieren. Im Frühjahr diesen Jahres muss der „Russische Umweltbetreiber“ die ersten Pläne für die bundesweite Umgestaltung der Abfallwirtschaft vorlegen. Wie die Zeitung Rossijskaja Gazeta unter Berufung auf das Russische Umweltministerium berichtete, sind bis zum 1. Januar 2020 bereits 56 Pläne vorgelegt worden, im Laufe dieses Jahres werden weitere 23 fertiggestellt. Sechs Regionen haben keine endgültige Antwort gegeben, bis zu welcher Frist sie ihre Pläne fertigstellen können.

Laut Informationen des russischen Medienunternehmens RBK, das sich auf das Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt der Russischen Föderation beruft, planen die Behörden bis 2024 jedes Jahr rund 40 Fabriken zur Müllsortierung zu bauen (39 Stück im Jahr 2019, 200 bis 2024). Für diese Ziele werden 50-60 Milliarden Rubel aus dem Haushalt ausgeschrieben.

Wie vermüllt ist Russland?

Jährlich werden in Russland rund 70 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle produziert (40 % davon Bio-Abfälle, 35 % Papier, 6 % Plastik). Davon wurden bislang nur fünf Millionen Tonnen weiterverarbeitet, der Plan für das Jahr 2024 sind 42 Millionen Tonnen. Auch die Recyclingquoten sollen in den nächsten sechs Jahren erhöht werden – von 2,1 Millionen auf 25 Millionen Tonnen, wie aus Daten des russischen Ministeriums für natürliche Ressourcen und Umwelt hervorgeht. Für die Bedürfnisse von ganz Russland werden mindestens 130 Recyclingfabriken benötigt. Für den Aufbau eines neuen Entsorgungssystems für Siedlungsabfälle – von der Abfuhr bis zur Verarbeitung – sollen aus dem Haushalt rund 300 Milliarden Rubel bis 2024 bereitgestellt werden.
Jeder Russe produziert durchschnittlich 400 Kilo Abfall pro Jahr. Fast alle festen Haushaltsabfälle in Russland werden in Mülltonnen, auf genehmigten oder nicht genehmigten Deponien entsorgt. Nur vier bis fünf Prozent der Abfälle werden in die Verarbeitung oder Verbrennung geschickt.

Die Situation wendet sich allmählich zum Besseren, jedoch äußerst langsam. In einigen Regionen wurden neue Mülltonnen mit Trennsystem eingeführt, in anderen wiederum Müllwagen mit Videokameras und GPS ausgestattet und in einigen Regionen überhaupt zum ersten Mal mit der Abfuhr von Abfällen begonnen. Zuvor waren in der Umgebung vieler russischer Städte immer häufiger Deponien und illegale Müllkippen entstanden und in Dörfern mussten oft Flussufer und Wegesränder für die Müllentsorgung herhalten.
Bis Januar 2019 wurden 5.526 Abfallcontainer ins Staatsregister aufgenommen. Ihre gesamte Restkapazität liegt bei über 1,7 Milliarden Tonnen. Jedes Jahr steigt die Deponiefläche in Russland um 0,4 Millionen Hektar.

Das Gebiet mit den meisten festen Haushaltsabfällen in Russland ist die Moskauer Region. Hier werden rund 3,5 Millionen Tonnen Abfall aus der Umgebung sowie der Hauptteil der Haushaltsabfälle der Hauptstadt (rund 4,5 Millionen Tonnen) entsorgt. Jedes Jahr kommen auf den Deponien der Region somit etwa 8 Millionen Tonnen Müll zusammen – 13-14,5 % des festen Hausmülls der gesamten Russischen Föderation. Doch konnten die Deponien um Moskau bis November 2018 insgesamt nur 4,5 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr aufnehmen.

Diese zunehmende Belastung verärgert die Anwohner in der Region. Die Öffentliche Kammer der Russischen Föderation schätzt, dass in den Jahren 2017 bis 2018 rund 36.000 Menschen an Protesten im Zusammenhang mit der Entsorgung von Abfällen teilgenommen haben. In 13 Regionen des Landes ist das Thema hochaktuell.

Die globale Herausforderung Plastik

Weltweit wird derzeit viel über das Problem der Plastikverarbeitung gesprochen. Übrigens: Das Problem der Müllverschmutzung trat im 20. Jahrhundert vor allem auf, nachdem Plastik erfunden wurde. Fakt ist, dass Plastik sowie andere synthetische Materialien nur schwer in der Erde abgebaut werden können und der natürlichen Umwelt weiträumig enormen Schaden zufügen.

Eine Lösung für das Problem könnte eine Technologie aus den 1950er Jahren sein, die zuletzt immer stärker nachgefragt wird, wie das Wall Street Journal schreibt. Hierbei handelt es sich um eine chemische Kunststoffverarbeitung, die ohne Qualitätsverlust mehrfach recycelt und wiederverwendet werden kann. Doch war diese Lösung aufgrund hoher Kosten und niedriger Nachfrage bislang nicht wirtschaftlich genug. Aktuell investieren Unternehmen wie BP, Coca-Cola, Danone und Unilever wegen der anstehenden gesetzlichen Einschränkungen für den Einsatz primären Plastiks dutzende Millionen Dollar in diese Technologie. Eine Studie der amerikanischen Zeitschrift Science Advances im Jahr 2017 ergab übrigens, dass weltweit bisher nur neun Prozent des gesamten Plastikmülls recycelt wurden. Wenn sich hierbei nichts ändert, werden sich bis 2050 bereits unglaubliche zwölf Milliarden Tonnen Plastikmüll auf der Erde befinden. Das mag man sich kaum vorstellen.

[Anastasia Byrka/russland.NEWS]

Fotos: Copyright (2019) russland.NEWS

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