“Wodka kann schön sein“ – Spirituosenkünstler bricht mit KlischeesFotos: Margarita Münch

“Wodka kann schön sein“ – Spirituosenkünstler bricht mit Klischees

Sergej Münch aus Düsseldorf stellt besondere Wodkasorten her. Seine Flaschen füllt er nicht nur mit Flüssigem, sondern auch mit Sinn …

Sergej, Sie nennen sich „Wodkakünstler“ …

Sergej Münch: Um ganz genau zu sein, ich bin Spirituosenkünstler. Das Wort Spirituosen kommt vom Spiritus, also dem Geist. Daher geht es mir bei diesem Projekt nicht in erster Linie um Alkohol, wie viele vermuten. Es ist eine Arbeit mit zwei Substanzen: Geist und Wasser. Der Heilige Geist kann sowohl Feuer als auch Seele entzünden, und Wasser gibt Leben. Leben und Geist, die Grundzutaten der Welt in seiner Palette zu haben, davon träumt jeder Künstler.

Aber warum nennen Sie sich Künstler und nicht etwa Hersteller von exquisiten Getränken?

Münch: Weil ich mit meinen Werken Emotionen wecken will. In der Regel wird dem Verpackungsdesign, also der Form, viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ich möchte aber das Produkt von innen heraus schön machen, ihm Sinn verleihen. Beispielsweise kann das Verhältnis der Bestandteile dem goldenen Schnitt entsprechen. Ich verwende mehr als 500 Techniken zum Mischen von Wasser und Alkohol. Ich füge dem Produkt eine neue Kategorie hinzu. Abgesehen von Aroma und Geschmack füge ich Bedeutung hinzu. So nahm ich Hamlets berühmte Frage und kreierte eine Flasche Wodka mit dem Titel „Trinken oder nicht trinken?“ Hier muss sich der Verbraucher also fragen: Wenn er trinkt, warum? Und wenn er nicht trinkt, warum nicht?

Mit Ihrer Kunst kann man schnell zum Alkoholiker werden …

Münch: Aber es doch unmöglich, sich mit Sinn zu betrinken. Man kann sich nur sinnlos betrinken. Ich stelle Kunstobjekte auf der Basis von Wodka her, aber ich bin ein großer Kämpfer gegen den Alkoholismus. Zum Beispiel kreierte ich das Objekt „Konservierte Zeit“: Fünfeinhalb Stunden tropften Alkohol und Wasser in eine Flasche. Und wenn man einen Schluck nimmt, trinkt man sozusagen 15 Minuten seines Lebens. So wissen Sie jeden Schluck zu schätzen.

In Russland muss der Wodka unbedingt 40 Prozent haben, und Sie stellen verschiedene Gradstärken her. Die Russen würden das nicht mögen …

Münch: Ich mache keinen Wodka als solchen. Ich persönlich mag zum Beispiel die Gradstärkung von 38,2 Prozent. Im Allgemeinen kann ein Getränk mit einer Stärke von 37,5 Prozent als Wodka bezeichnet werden.

In Deutschland glaubt man, dass Wodka aus Kartoffeln hergestellt wird, obwohl russischer Wodka eigentlich aus Getreide gewonnen wird.

Münch: Tatsache ist, dass auf jeder Flasche Wodka steht, aus welchem ​​Spiritus er hergestellt wird – „Lux“, „Extra“ oder „Prima“. 90 Prozent des Wodkas wird aus dem Alkohol „Lux“ hergestellt. Und das bedeutet, dass es eine Mischung aus Getreide- und Kartoffelalkohol in bestimmten Anteilen ist. Die Alpha-Klasse ist dann Roggenwodka. Aber es ist wahr, dass polnischer Wodka mehr aus Kartoffeln produziert wird. Aber im Allgemeinen ist Wodka ein einzigartiges Produkt, gerade weil es nach der Verbindungsmethode hergestellt wird – Alkohol verbindet sich mit Wasser. Alle anderen hochprozentigen Getränke – Korn, Gin, Cognac, Whisky – werden nach einem anderen Prinzip hergestellt.

Auch die Tradition des Wodka-Konsums ist anders …

Münch: Da bin ich dagegen. Diese Tradition, Wodka abzukühlen und schnell zu trinken und danach etwas zu essen, hängt nur damit zusammen, dass Wodka oft von schlechter Qualität ist. Wenn Sie ein individuelles Produkt herstellen und als Parfümeur die Zutaten auswählen, können Sie diesen Wodka in kleinen Schlucken und bei Raumtemperatur trinken.

Man verbindet mit Wodka vor allem das Klischee über russischen Massenalkoholismus.

Münch: Wodka hat ein absolut negatives Image. Ich könnte eine Performance machen: Mich ans Brandenburger Tor stellen, Wodka aus einem Samowar einschenken, Akkordeon spielen und schreien, dass Russen zu viel trinken. So was erwarten die Leute. Ich sage aber, dass Wodka schön sein kann, weil er aus der Kombination von Alkohol und Wasser, also Spiritus und Wasser, entsteht. Mein Ziel ist es also, aus Wodka ein Kunstobjekt zu machen: Zu zeigen, dass er schön, sogar wunderschön sein kann. Er muss nur von seinen Klischees befreit werden. Naive Kunst wurde am Anfang auch nicht ernst genommen. Es ist nur eine Frage der Einstellung. Leider provozieren die Russen dieses negative Bild selbst, weil sie auf ihren Wodka nicht stolz sind, wie zum Beispiel die Franzosen auf ihren Cognac. Obwohl man sich auch mit Cognac betrinken kann.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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