Alles Bio oder was? Auch in Russland hat man die Zeichen der Zeit erkannt und will fortan auf Nachhaltigkeit und vor allem gesunde Ernährung achten. Auch dass man mit dem Prädikat „Bio“ beim Verbraucher punkten kann, ist in Russland angekommen. Nun hat sich Russlands Wirtschaft hohe Ziele gesteckt und will gleich führender Exporteur von ökologisch angebauten Lebensmitteln werden.
Potential wäre da. Das Land ist riesig und ebenso riesige landwirtschaftliche Flächen liegen seit langem brach. Auch der russische Verbraucher fängt langsam an, sich Gedanken über die Herkunft seiner Lebensmittel zu machen und besonders unter den Stadtbewohnern, denen der Zugang zu einer Datscha als Versorgungsgrundlage fehlt, greift der Bio-Gedanke allmählich um sich. Vor nicht allzu langer Zeit noch so unwahrscheinlich wie nur möglich, etablieren sich inzwischen sogar ökologisch orientierte Ladengeschäfte, deren Erscheinungsbild ebenso wie im Westen, vom Latzhosen-Image bis hin zur Designer-Boutique reicht. Ein Teil der russischen Verbraucher, so möchte man sagen, ist auf den Geschmack gekommen.
Der alljährlich wachsende Anteil von Besuchern und Vermarktern auf der „BioFach“, der internationalen Leitmesse für ökologische Innovationen, die den Geschäftsbereich Russland im Visier haben, macht das schlummernde Potential deutlich. Mittlerweile hat die Messe mit Stammsitz Nürnberg sogar einen Zweig der Leistungsschau in Moskau etabliert.
Die Nachfrage beschäftigt das Angebot
Bestand das Angebot in den sogenannten „Eco-Markets“ zunächst fast ausnahmslos aus importierten Waren, haben sich im Lauf der letzten Jahre doch immer mehr einheimische Produkte in den Geschäften dazugesellt. Zum einen ist dies durch die wirtschaftliche Krise bedingt, die Russland seit 2014 zu durchlaufen hatte, und dadurch dass aus dem westlichen Ausland eingeführte Erzeugnisse auf einen Schlag wesentlich teurer wurden. Zum anderen war das, was der russische Markt hergab, noch bis vor kurzem bei weitem nicht Regale füllend. Diese Marktlücke haben russische Erzeuger erkannt, zumal es dem Verbraucher zunächst egal schien wer „Bio“ wie definiert. Was in Europa schon längst Prüf- und Gütesiegel vorweisen muss und ein ökologisches Zertifikat Grundvoraussetzung ist, um auf dem Markt Fuß zu fassen, ist in Russland bisher lediglich vage definiert.
„Für manche Leute ist es „sauber“, wenn man seinen Tieren keine Medizin gibt“, sagt Helena Drewes, Unternehmensberaterin aus Dänemark, die sich auf Öko-Fragen spezialisiert hat. Für andere wiederum sei es eben nur ein Wort, glaubt sie, da in Russland jeder seine Produkte als ökologisch bezeichnen kann, solange noch ein Federchen am Ei klebt. Auch Irina Kobuta, die Ökologin vom Regionalbüro für Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen für Europa und Zentralasien sieht ein fehlendes offizielles Zertifizierungssystem für Russland als größtes Hindernis, dass russische ökologische Produkte eine Akzeptanz über den Binnenmarkt hinaus finden.
Wo fängt Bio an und wer bestimmt das?
Laut Euromonitor, dem führenden Forschungsinstitut für Marktstrategien, gaben russische Verbraucher im Jahr 2015 nahezu 12 Milliarden US-Dollar für Öko-Lebensmittel aus. Zudem exportiert Russland bereits nicht unerhebliche Mengen an Bio-Weizen in die EU. Noch im selben Jahr kündigte Russlands Präsident Putin an, er wolle das Land zum größten Anbieter gesunder, ökologisch sauberer und qualitativ hochwertiger Lebensmittel machen. Mittlerweile stellen Russlands Agrarexporte in die EU bemerkenswerte 11,8 Prozent der Ausfuhren aller landwirtschaftlichen Erzeugnisse dar. Dieser Markt soll nun gezielt forciert werden: Russland will zum führenden Exporteur biologischer Lebensmittel werden.
Einerseits wären die Voraussetzungen geradezu prädestiniert, um den ökologischen Landbau voran zu treiben. Da der zu bestellende Boden quasi noch als jungfräulich zu betrachten ist, entfielen lange Ausfälle des Erlöses durch Stilllegungs-Fristen, von denen besonders der deutsche Landwirt betroffen ist, wenn er von der konventionellen zur biologischen Landwirtschaft umsatteln will. Des weiteren hat Russland seit dem Jahr 2016 genetisch veränderte Organismen, die andernorts als genmanipulierter Segen gepriesen werden, per Gesetz verboten.
Was jedoch immer noch als Stolperstein im Weg liegen bleibt, ist eine bisher fehlende anerkannte nationale Zertifikation für Bio-Produkte. Zwar gibt es bereits einen Gesetzentwurf für die „Produktion von ökologischen landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Ergänzungen der Gesetzgebungsakte der russischen Föderation“, allerdings ist über diesen noch lange nicht entschieden. Solange das noch nicht geschehen ist, müssen russische Erzeuger von Bio-Ware nach wie vor den Gang über europäische oder US-amerikanische Kontrollstellen antreten, bis sie ihre Produkte als organisch ausführen dürfen. Immerhin gibt es schon einen russischen nationalen „Standard“ für Bio-Erzeugnisse. Auch wenn der nicht viel Aussagekraft besitzt, er vermag eine endgültige Gesetzgebung zumindest beschleunigen.
[mb/russland.NEWS]
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