[von Dr. Christian Wipperfürth] Westliche Medien berichten seit Tagen über „Hacker“ der russischen Regierung, die in das Computernetzwerk der Demokratischen Partei der USA eingedrungen sein sollen. Die Berichte sind zumindest zweifelhaft, wenn nicht irreführend, aber sie verfolgen einen bestimmten Zweck.
Die Zeitung „Washington Post” brachte die Anschuldigungen am 14. Juni 2016 als Erste. Es sei ein Dossier über den Präsidentschaftskandidaten Donald Trump gestohlen worden. Der Vorwurf an die russische Adresse wurde von Medien in anderen westlichen Staaten umstandslos übernommen und an prominenter Stelle platziert, in Deutschland bspw. von der Süddeutschen Zeitung, Der Welt, dem Spiegel oder etwa dem Focus.
Russland bestritt die Anschuldigung, und bereits am 15. Juni erhob ein Unbekannter, der sich „Guccifer 2.0“ nannte, den Anspruch, eingedrungen zu sein. Das Hacken sei, anders als behauptet, erstaunlich einfach gewesen. Die Daten wurden auf einer eilig eingerichteten Seite veröffentlicht. Es handelt sich nicht nur um ein 237 Seiten umfassendes Dossier über Trump, sondern insbesondere auch um die Namen und die Summen der Spender von Hillary Clinton. – Die Washington Post und die US-Demokraten hatten bestritten, dass der Hacker Zugriff auf diese Daten gehabt hatte. – Der Hacker erklärte, weitere tausende abgegriffene Dokumente und Emails an „Wikileaks“ übergeben zu haben. Es handele sich auch um Geheimpapiere aus der Zeit Clintons als US-Außenministerin. Sie würden in Zukunft veröffentlicht werden.
Clinton ist aufgrund ihres sorglosen Umgangs mit Geheimdokumenten bereits in der Vergangenheit hart kritisiert worden. Es könnte wahlentscheidend werden, falls Wikileaks tatsächlich Geheimdokumente der ehemaligen US-Außenministerin veröffentlichen sollte.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass der „Cyber-Angriff“ aus Moskau gesteuert wurde. Guccifer 2.0 könnte kreiert worden sein, um von der Verantwortung Russlands abzulenken. Die Indizien deuten aber eher in eine andere Richtung:
- Medien berichteten an prominenter Stelle über den „russischen Angriff“, aber nur verhalten über die Veröffentlichung von Guccifer 2.0, die die Anschuldigung zumindest in Frage stellt. Es ist häufig sehr schwierig die Hintergründe von professionell ausgeführten Cyber-Angriffen festzustellen. So gibt es nach wie vor viele offene Fragen, wer hinter dem „Stuxnet“-Angriff auf den Iran steckte. Es war zumindest leichtfertig die Verantwortung Russland zuzuweisen, und es ist bemerkenswert, dass über die aufgekommenen Zweifel kaum berichtet wird.
- Die US-Demokraten beauftragten die Firma „CrowdStrike” mit der Untersuchung des Hacks. Dmitri Alperowitsch ist Mitbegründer und Technikchef des Unternehmens. Alperowitsch, der die Vorwürfe gegen Russland veröffentlichte, macht seit langem aus seiner grundsätzlich sehr russlandkritischen Haltung keinen Hehl. Dies ist sein gutes Recht, wirft aber Fragen auf, inwieweit unvoreingenommen untersucht wurde.
- Die Behauptung Alperowitschs und die Veröffentlichung der Washington Post war zumindest in einem zentralen Punkt – die Spenderliste – offensichtlich unzutreffend. Dies erhöht die Zweifel an der Professionalität der Untersuchung des Vorfalls durch „CrowdStrike“ sowie hiermit auch die Zweifel an der Verantwortung der russischen Führung.
Der Vorwurf eines russischen Cyber-Angriffs auf eine zentrale westliche Einrichtung wie der Parteizentrale der US-Demokraten wiegt sehr schwer. Nach Ansicht von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sollte ein ernsthafter derartiger Angriff sogar ein Fall für die NATO werden. Dies liest sich fast wie eine Einladung an extremistische IT-Spezialisten, z.B. des bedrängten „IS“: Hackt die Server wichtiger westlicher Einrichtungen, was ohnedies zu einem großen Teil Russland zur Last gelegt werden wird. Bringt so den Westen und Russland weiter gegeneinander auf …
Warum gibt es seit Tagen und Wochen zahllose Berichte in den Medien, die den Eindruck einer „Kampagne“ machen? In diesen Wochen vor dem NATO-Gipfel in Warschau steht eine Richtungsentscheidung an: Wie mit Russland umgehen? Aufrüsten und ausgrenzen oder Dialog und einbinden, soweit möglich und sinnvoll?
Durch Berichte wie über den Cyber-Angriff soll Stimmung gemacht werden. Vor dem letzten NATO-Gipfel vor knapp zwei Jahren war es ähnlich.
Man kann in den nächsten Tagen und Wochen weitere „atemberaubende Enthüllungen“ über russische Aktionen erwarten, deren Wahrheitsgehalt zumindest zweifelhaft sein wird.
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