Wer Europa sagt, muss auch Russland meinenPotsdamer Begegnungen 191119 bild © Hübner

Wer Europa sagt, muss auch Russland meinen

[Hartmut Hübner] Die Rolle Europas zwischen den globalen Herausforderungen und nationalen Interessen war in den vergangenen Tagen Thema einer Konferenz von deutschen und russischen Parlamentariern, Politikern, Wissenschaftlern und Angehörigen von Nicht-Regierungsorganisationen, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Potsdamer Begegnungen“ diesmal in Moskau stattfand. Der Einladung des Deutsch-Russischen Forums und der russischen Gortschakow-Stiftung für öffentliche Diplomatie waren u.a. der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Föderationsrates der Staatsduma der Russischen Föderation, Konstantin Kossatschow, der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten für die internationale kulturelle Zusammenarbeit, Michail Schwydkoj, der Direktor des Europa-Institutes der Russischen Akademie der Wissenschaften, Alexej Gromyko, der ehemalige Botschafter Russlands in Deutschland, Wladimir Grinin , und die Bundestagsabgeordneten, Andreas Nick (CDU,CSU), Alexander Graf Lambsdorff (FDP) sowie André Hunko, Sevim Dagdelen und Klaus Ernst von der Linkspartei gefolgt.

Diskutiert wurden Möglichkeiten zur Überwindung der Kluft in Europa zwischen Ost und West hin zu einem „gemeinsamen Haus Europa von Lissabon bis Wladiwostok“. Dabei war man sich einig, dass Russland nicht nur geografisch, sondern auch politisch und wirtschaftlich ein Teil unseres Kontinents ist und begrüßte in diesem Zusammenhang die Aktivierung der Mitgliedschaft der Russischen Föderation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates gegen massive Widerstände vor allem aus Osteuropa. Die gegenwärtigen Truppenentflechtungen in der Ost-Ukraine, der begonnene Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine und die Rückkehr der drei Schiffe der ukrainischen Marine aus russischer Beschlagnahmung in die Ukraine im Zusammenhang mit dem Vorfall im Asowschen Meer im vergangenen Jahr wurden als Mut machende Voraussetzungen für eine Entspannung zwischen der EU und Russland gewertet.

Die Sanktionen des Westens gegen Russland erschwerten zwar die Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel, aber auch in diesem Bereich sei ein deutlicher Aufschwung festzustellen. „Deutschland ist Champion bei der Lokalisierung von Produktionen in Russland“, stellte der Vorsitzende der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer, Matthias Schepp, später dazu im Gespräch mit Journalisten fest. Eine große Rolle bei der ‚Erhaltung und dem Ausbau der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Russland spielten auch die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Kontakte zwischen beiden Ländern, vor allem beim Jungendaustausch, aber auch in der Bildung und Wissenschaft oder der Kultur.

In diesem Zusammenhang informierte der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, über die neu geschaffene Stiftung für deutsch-russische Verständigung, die u.a. ab 2020 mit der Verleihung eines vom Brandenburger Unternehmer Rainer Rabe gestifteten und nach ihm benannten Preises im Umfang von 10.000 Euro Projekte ehrt, die in besonderem Maße die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern in allen gesellschaftlichen Bereichen fördern.

In der anschließenden Veranstaltung „Im Dialog“ trug der ehemalige Bundesminister, SPD-Chef und jetzige Vorsitzende des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvereins „Atlantikbücke“ seine Ansichten zur Lage in der Welt unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Deutschland und Europa sowie Russland vor. Dabei wich er nicht nur der Frage aus, wie die politisch Verantwortlichen in der Bundesrepublik im kommenden Jahr mit der Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung Deutschlands vom Faschismus umgehen sollte, vielmehr versuchte er, bei Opfern und militärischen Leistungen zwischen den Sowjetrepubliken zu differenzieren, was bei den Anwesenden für heftige Kritik sorgte. Bei seinen Auslassungen über den Ukraine-Konflikt sprach er sich zwar für einen schrittweisen Abbau der Sanktionen aus, meinte aber, dass sie wegen der dauerhaften Anbindung der Krim an Russland langfristig bestehen bleiben würden. Auch hinsichtlich der Beilegung der militärischen Auseinandersetzungen in der Ost-Ukraine schob er Russland die Hauptschuld zu, ohne die Verantwortung der Ukraine zu erwähnen.

Insgesamt erlebe die Welt eine Machtverschiebung – die USA zögen sich immer mehr als „Ordnungskraft“ zurück, während andere, wie China und auch Russland, versuchten, dieses Vakuum auszufüllen. Das verstärke die Spannungen zwischen diesen Mächten. Für die Zukunft sieht Gabriel eine bipolare Welt mit den beiden Machtzentren USA und China, während Russland für die amerikanische Elite, Republikaner wie Demokraten, kein möglicher Partner sei.

In diesem Weltgefüge müsse Europa seinen Platz noch finden, erklärte Gabriel. In diesem Kontext monierte er die mangelnde Bereitschaft in der Bundesrepublik für ein stärkeres, auch militärisches, Engagement in der NATO und in der Welt. Er behauptete, die USA hätten Deutschland 70 Jahre lang zu „peacenicks“, also Friedensengeln, erzogen und dies sei nun das Ergebnis. Aber man dürfe „unter lauter Fleischfressern nicht der einzige Vegetarier sein“, mühte er sich um einen originellen Vergleich.

Er sprach sich auch gegen eine eigenständige deutsche Russland-Politik aus. Vielmehr müssten auch die Interessen der schwächsten Staaten der Gemeinschaft berücksichtigt werden. Sonst bestehe die Gefahr einer neuen Spaltung Europas.

Der Beifall für Gabriel nach seinen Ausführungen hielt sich in Grenzen.

Die „Potsdamer Begegnungen“ wurden am nächsten Tag mit dem Jugendforum fortgesetzt.

[hh/russland.NEWS]

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