Wenn deutsche Nazis „prorussisch“ werden

Die deutsche Politiklandschaft wird immer verrückter – während sich in der Ostukraine ukrainische Nazis mit prorussischen Demonstranten prügeln, veranstalten deutsche Nazis mit russischer „Beteiligung“ prorussische Demos in Berlin. Und ihre größten Feinde auf der politischen Linken ebenfalls, mit ihren eigenen Russen.

In früheren Zeiten, also so etwa bis zu den 90ern,  war die Vermittlung der russischen Sicht der Dinge im deutschsprachigen Raum noch einfach. Wenn man sie versuchte, erntete man Lob auf der linken und Kritik bis Verachtung auf der rechten politischen Seite. Der Nachhall der SPD-Ostpolitik wehte damals noch durch die Landschaft – für jeden strammen Rechten Deutschlands ein „Vaterlandsverrat“. Mittlerweile ist in Deutschland im Bezug auf Russisches einiges durcheinander geraten, am allermeisten seit Beginn der Krimkrise. Während man nun bei jeder Argumentation für Russland von geifernden Grünen, ARD-Journalisten und US-treuen Konservativen in einem merkwürdigen Verbund diffamiert wird, scheint es der SPD außer Helmut Schmidt und Gerhardt Schröder eher peinlich zu sein, dass man sich bisher für eine verständnisvolle Russland-Politik ausgesprochen hat. Dagegen stammen diejenigen, die auch heute noch offen Verständnis für Russland predigen nun nur noch aus der Linkspartei, von Anonymous und – das ist die große Überraschung – ausgerechnet von Rechtspopulisten und Neonazis.

So bei einer gar nicht so kleinen „deutsch-russischen“ Demo in Berlin letzten Sonntag, beginnend bei der Russischen Botschaft bis hin zum Brandenburger Tor. Das Motto klang glatt, als wäre es etwas, was russland.RU eigentlich unterstützen müsste. „Kein Krieg mit Russland“, dazu deutsche und russische Fahnen, Kritik an den Mainstream-Medien und ihrer einseitigen Berichterstattung, Entschuldigung für Schäubles Hitler-Putin-Vergleich – man dachte schon fast, die Montagsdemo für echte Pressefreiheit von anderer Seite (an anderem Platz und mit anderen Organisatoren, dazu weiter unten mehr) wäre vorverlegt worden. Ist sie aber nicht. Denn die wahren Organisatoren der Sonntags-Demo kamen aus einem ganz anderen Eck und betrieben fleißig Etikettenschwindel.

Zu erkennen war das zumindest ein bisschen am zweiten Teil des Mottos „Volksentscheide statt EU-Zentralismus“. Auch das klingt zunächst toll, erinnert uns aber doch schon ein bisschen an den von Rechtsaußen-Schweizern veranstalteten Volksentscheid gegen die Zuwanderung von EU-Bürgern. Da wird es langsam wärmer, woher der Wind bei der Sonntags-Demonstration in Berlin wehte. So schauten wir noch etwas genauer hin und recherchierten über allerlei deutsche Namen, die bei den Demo-Veranstaltern auftauchten. Wer organisierte und redete da eigentlich?

Beispielsweise Manfred Rouhs, früherer Landesvorsitzender der „Jungen Nationaldemokraten“, jetzt Aktivist der rechtspopulistische „Pro Deutschland“ Bewegung. Karl Schmitt, auf seiner eigenen Facebook-Seite bekennender Fan der „Alternative für Deutschland“ und der „Deutschen Zukunft“, einem Organ der „Reichsbürger“, die den Fortbestand des Deutschen Reichs anstatt der Bundesrepublik Deutschland propagieren. Oder Olaf Reihmund, bekennender Fan von Thilo Sarrazin und Islamfeind. Die Videos von der Demo laufen auf dem YouTube-Channel von „Staatenlos.info“, wo der geneigte Zuschauer im Trailer erfährt, dass das Deutsche Reich unter Adolf Hitler 1945 nicht wirklich untergegangen ist. Da hat wohl jemand in Geschichte nicht so gut aufgepasst.

Wenn solche Leute den „EU-Faschismus“ kritisieren, ist das natürlich etwas lächerlich, wenn nicht skurril. Doch sie hatten wirklich ein paar echte „Russen“ dabei. Von ihren unbekümmerten Gesichtern auf der Demo zu schließen ist anzunehmen, dass sie ihre urdeutschen Gegenüber wohl falsch einschätzten in ihrer Freude, dass da endlich mal jemand für Verständnis für Russland auf die Straße geht. Ob es sich nun um die Tanzgruppe aus Sachalin, die spontan aufgetretene russische Theatergruppe oder reale russische Demonstrationsteilnehmer handelte. Es wissen ja schon viele Deutsche nicht, was unter der „Pro“-Bewegung zu verstehen ist, in Russland dürfte kaum jemand von ihrer Existenz oder gar genauen Ausrichtung wissen. Denn es macht wenig Sinn, in der Ukraine den „Rechten Sektor“ zu bekämpfen und dann mit dem Rechten Sektor Deutschlands zusammen auf die Straße zu gehen. Absichtlich dürfte das wohl kaum jemand aus Russland tun, denn kaum etwas ist dort so verhasst, wie ein deutscher Nazi. Dafür hat die SS zu ihrer „besten Zeit“ gründlich gesorgt.

Was aber treibt deutsche Rechtsextremisten nun dazu, für Russland Partei zu ergreifen? Nicht zum ersten Mal springen sie auf einen Zug auf, der einfach „en vogue“ ist, aber von den etablierten politischen Parteien und übrigen Mainstream jedoch ignoriert, wenn nicht bekämpft wird. Viele politisch Interessierten im Internet sind empört über die offen Russland-feindliche Berichterstattung in den deutschen „Leitmedien“ wie ARD und ZDF und suchen ein Ventil für ihre Empörung. Gerade die Webseiten von ARD und ZDF quillen über vor kritischen Kommentaren zu den dortigen unausgewogenen Berichten. Widerstand formiert sich online und da setzt man von Seiten rechter Rattenfänger an, Leute für die eigene, antieuropäische und nationalistische Sache zu gewinnen.  Das passiert nicht zum ersten Mal. Auch die allgemeine Globalisierungskritik früherer Jahre machten Rechtsextreme sich aus ihrem Blickwinkel zu eigen und versuchten damit, politisch unzufriedene Aktivisten für sich „abzufischen“. Das passiert nun erneut – ausgerechnet bei Thema Russland, dem früheren „Reich des Bösen“ gerade für jeden Rechtsextremisten. Und noch erfolgreich, denn die pro-Russland-Kritiker Deutschlands haben unter den übrigen politischen Bewegungen kaum eine Lobby.

Hier wird sich mancher fragen – warum solidarisieren sich deutsche Nazis stattdessen nicht mit ukrainischen Nazis und bekämpfen Russland? Nationalisten, wie es der Name schon sagt, denken nun einmal national und kämpfen blind gegen das, was sie für schädlich halten für ihre Vorstellung von der Nation. Schädlich ist jetzt – im Vorfeld der Europawahl – vor allem die ungeliebte Europäische Union, die mit ihrem internationalen Geist dem nationalen Denken deutscher Rechter in jeder Pore widerstrebt. Und da ist der Feind meines Feindes mein Freund – auch wenn er Putin heißt, von dem manch Rechter wohl zusätzlich erkannt hat, dass seine eigene Eistellung zumindest national-konservative Züge trägt. Dass Putin als Ex-KGB-Mann und „gestandener Russe“ wohl kaum Verbündete aus Deutschland braunem Sumpf haben will, wird – wie vieles bei den Rechten – einfach mal übergangen.

Die Solidarität mit Nazis aus anderen Ländern wiederum war noch nie die Stärke neonazistischer Bewegungen, denn das erfordert im gewissen Sinne internationales Denken, was einem rechten Kopf fremd ist. Südtirol ist eben für einen deutschen Nazi deutsch und für einen italienischen Faschisten italienisch – da ist die Zusammenarbeit schlecht möglich. Genauso wenden sich ukrainische Nazis aus taktischen Gründen aktuell pro Europa zu, während die deutschen gegen Europa kämpfen – da steht man automatisch plötzlich auf verschiedenen Seiten. Das kann in fünf Jahren schon wieder anders sein, je nach „nationalem“ Interesse. Auch von ukrainischen Nazis wie der Partei „Swoboda“ (aktuell Teil der Euromaidan-Regierung) sind Statements bekannt, dass der Weg für die EU nur aus rein pragmatischen Gründen unterstützt wird. Irgendwoher muss die Kohle ja jetzt kommen und aus Russland wird das nicht mehr sein. Da schwenkt man auch mal eine europäischen Fahne – denn im Fahnen schwenken kennen sich Rechte allgemein gut aus.

Wie soll man nun damit umgehen, wenn man auch für ein faireres Russlandbild steht, aber nicht von solchen Leuten instrumentalisiert werden will? Zunächst einmal sollte man sich immer gut informieren, bevor man auf eine Demo geht, von wem die eigentlich genau veranstaltet wird – unabhängig von wohlklingenden Mottos. Gleiches ist für die Unterstützung von Internet-Intiativen festzustellen. Das gilt auch für unsere russischen Leser, die sicher nicht mit Leuten Seite an Seite fotografiert werden wollen, die daheim vielleicht SS-Lieder singen, nachdem sie die russischen Fahnen wieder eingepackt haben. Oder die davon träumen, Kaliningrad wieder ins „Deutsche Reich“ einzugliedern, weil es vor langer Zeit einmal Königsberg und Ostpreußen war – unabhängig von der Meinung der halben Million Russen, die heute dort lebt.

Es gibt übrigens auch andere Demos für Russland – wie bereits einen Tag später erneut in Berlin – wo sich um 18 Uhr erneut am Brandenburger Tor dieses Mal vorwiegend linke deutsche und russische Aktivisten sammelten – 1500 sollenes gewesen sein. Ihr Motto: „Kein Krieg gegen Russland“ – ihr Appell: „Bringt russische Fahnen mit“. Wer soll da noch durchblicken? Wir nicht mehr. Aber bei Facebook haben wir sie zumindest unterschieden:

Seite „Kein Krieg mit Russland“ – achtung rechts hier klicken

Seite „Kein Krieg gegen Russland“ – achtung links hier klicken

PS: Oder ist mit „Kein Krieg mit Russland“ vielleicht „Kein Krieg an der Seite Russlands“ gemeint? Wir recherchieren noch.

 

Update 02.04.2014: Da sie nicht mit anderweitigen, extremen Politgruppen in einen Topf geworfen werden wollen, haben prorussische Friedensaktivisten nun für den 13.04. eine eigene Demo in Berlin angemeldet – und – wie sollte es anders sein – uns von ihrer Facebook-Seite dazu informiert: Hier geht´s lang zu den Prorussischen Demonstrierern bei Facebook. Wir bleiben da am Ball und werden auch von dieser Intitiative berichten.

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