Welche Zukunft für Russlands Fußball?

Moskau. Nach dem 4:1-Sieg gegen Tschechien galt Russland als Mitfavorit bei der EURO 2012. Die Ernüchterung kam aber schnell, nach dem unerwarteten K.o. gegen Griechenland. Jetzt sucht Russland nach einem neuem Trainer und einem neuen Chef des nationalen Fußballverbands RFS. Viel wichtiger dürfte aber sein – eine neue Spielphilosophie zu entwickeln und grundsätzliche Strukturen in Russland zu ändern.

Russlands Fußballspieler boten bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft größtenteils ein Spiel ohne Durchsetzungsvermögen und mit konditionellen Problemen. Gegen Außenseiter Griechenland (0:1), die eine Halbzeit mit nur zehn Mann spielten, wurden die gesamten Probleme des russischen Fußballs ganz deutlich sichtbar. Die Sbornaja spielte lust- und ideenlos gegen ein Team, das den ersten EM-Sieg seit dem überraschenden Triumph 2004 feierte. Gegen eine Auswahl mit durchschnittlichen Profis fiel Russland nichts mehr ein in der zweiten Halbzeit.

 

„Schwarzer Tag für Russlands Fußball“, schrieb die Tageszeitung „Moskowski Komsomolez“ zur folgenschweren ersten Pleite nach 16 Spielen ohne Niederlage. Aber was bedeutet: „Nach 16 Spielen ohne Niederlage“? Es gab dabei Freundschaftsspiele gegen Kamerun in Salzburg, dieses endete mit einen mageren 0:0, gegen Katar in Doha wurde ebenfalls nur unentschieden 1:1 gespielt und zuvor wurde sogar gegen den Iran 0:1 und gegen Belgien 0:2 verloren. Diese Testspiele waren allesamt keine Offenbarung für den russischen Fußball, geschweige dass der Trainer neue Erkenntnisse aus diesen Spielen sammeln konnte und wollte.

 

Den meisten Fußballexperten war nicht klar, welche Erkenntnisse der Nationaltrainer Dick Advocaat aus diesen Freundschaftsspielen gewinnen wollte – wenn er stetig den talentierten Nachwuchs ausgrenzte. Auch beim 3:0 Sieg über Italien, kurz vor der EM, kamen eklatante Fehler ans Tageslicht. Diese wollte aber keiner erkennen, dass Ergebnis stimmte ja – trügerisch war jenes!

 

Laut Dick Advocaat boten seine Fußballer bei Freundschaftsspielen nicht all ihre Kräfte auf. Da fragt sich doch die Fachwelt und auch der besorgte Fußballfan – an wem liegt das wohl und was bot man dann bei der EURO 2012?

 

Wegen des schon vor der EM besiegelten Abschieds von Trainer Dick Advocaat muss der russische Verband nun nicht nur einen neuen Coach suchen. Das Team um die alternden Stars Arschawin, Pawel Pogrebnjak und Roman Pawljutschenko braucht vielmehr eine neue Inspiration, eine eigene Spielphilosophie und vor allem Einigkeit im zerstrittenen russischen Fußball-Verband.

 

Die Chance heißt – Nachwuchs

 

Spätestens jetzt im Juli soll der Advocaat-Nachfolger präsentiert werden. Damit sind aber nur die geringsten Probleme gelöst – in jedem Fall muss sich die heimische Premier- Liga verändern: Weniger ausländische Stars für teures Geld wie Samuel Eto’o, mehr Nachwuchsarbeit und Förderung hoffnungsvoller Talente vom Niveau des dreifachen EURO-Torschützen Alan Dschagojew von ZSKA Moskau.

 

Trotz der Pleite im Relegationsspiel gegen Slowenien, zur Fußball-WM 2010 und einer seitdem anhaltenden Leistungsstagnation der russischen Nationalmannschaft, wurde nur wenig getan um das Personal zu erfrischen. Es gibt in der Premier-Liga auch zu viele Hauptakteure die nicht berechtigt sind für Russlands Nationalmannschaft zu spielen. Seydou Doumbia vom ZSKA Moskau steht dabei an der Spitze, er spielt bereits für die Elfenbeinküste. Während Danko Lazovic von Zenit St. Petersburg für Serbien fest gesetzt ist. Diese Aufzählung könnte noch beliebig fortgesetzt werden.

 

Trotzdem gibt es auch in Russland genügend hochkarätige Talente, die nur ihre Chance erhalten müssten. Auf denen man aufbauen muss und nicht gleich nach einer schwächeren Leistung wieder nach Hause schickt. Diese Spieler sind das Potenzial für die Zukunft des russischen Fußballs. Die wenigsten der jetzigen aktuellen Stamm-Nationalspieler werden noch im Mannschaftskader für die WM 2014 stehen, geschweige für die WM 2018 im eigenen Land.

Nach dem 0:0 in Moskau gegen Rumänien und der damit verpassten U-21 EM-Qualifikation, wurde die Presse in Russland aufgefordert – die jungen Spieler gut genug zu nennen, um sich dem älteren Trupp anzuschließen. Seitdem hat es aber wenige Zeichen gegeben, dass die jungen Spieler gefunden wurden.
Alan Kasajew von Rubin Kazan, ein offensiver Mittelfeldspieler und ehemaliger U-21 Nationalspieler, dessen starker Leistung der Sieg in der Champions-League-Qualifikation der vorigen Saison gegen Dynamo Kiew zu verdanken war, ist vielleicht das grellste Übersehen von Talenten. Dafür wurde Kasajew in Russlands B-Mannschaft aufgeboten, in einem sinnlosen Spiel gegen eine Jugendnationalmannschaft von Russland, anstatt sein Potential für die A-Nationalmannschaft zu nutzen.

Bis jetzt ist niemand Neues für die nächsten internationalen Aufgaben gefunden worden und es steht die nächste WM-Qualifikation gegen Portugal, Israel, Nordirland, Aserbaidschan und Luxenburg vor der Tür.

 

Jugendförderung muss in Russland geändert werden

 

Ein weiteres Problem ist hausgemacht – leider sind in Russland viele Sporthallen und Vereine leer. Vor gut 10 Jahren hatten sich Kinder und Jugendlichen noch auf eine einjährige Warteliste setzen lassen müssen, weil in den Kursen nicht genug Platz für jeden war. Es gibt nur noch wenig Ernsthaftigkeit, mit der Sport betrachtet wird.

 

Im Fernsehen ist immer weniger Sport zu sehen. Das Wissen und Interesse an einem gesunden Lebensstil wird auch immer geringer. Heute sitzen die Jugendlichen lieber vor ihren Computer und surfen im Internet. Niemand will trainieren. Werbung sieht man hauptsächlich für Alkohol und Zigaretten.

 

Es gab in Moskau folgenden Vorfall – über einen Schulspielplatz, auf dem Kinder ständig Fußball und andere Sportarten spielten, entschied die zuständige Schulleitung, dass es ihnen nicht gefällt, wie der Platz genutzt wird und so haben sie den Spielplatz einfach geschlossen. Am nächsten Tag kamen die Kinder und sahen, dass der ganze Platz abgesperrt war. Also gingen sie und kauften Bier und Zigaretten und verbrachten ihre Zeit stattdessen trinkend auf einer Parkbank.

 

Kindersport ist zu einer bezahlten Aktivität geworden. Aber viele haben nicht das Geld, um dafür zu zahlen. Wenn Sport früher etwas gekostet hätte, wären viele russische Spitzen-Sportler nie zu ihren Ehren gekommen, weil die Eltern nie das Geld gehabt hatten, um das zu zahlen. Viele Kinder und Jugendliche wollen auch noch heute den sportlichen Wettbewerb, aber sie können einfach nicht daran teilnehmen, es fehlt das Geld.

Gerade Kindersport muss wieder für Kinder und Jugendliche attraktiv gemacht werden. Es muss ein Programm der Regierung geben, um Sport für jeden zugänglich zu machen. Es muss in die Schulen und an die Plätze gegangen werden, wo die Kinder und Jugendlichen sind und es muss mit ihnen gesprochen werden. Es muss versucht werden, Kinder und Jugendliche mit Sport in Verbindung zu bringen.

 

Wenn dieses alles nicht beachtet und grundlegend umgesetzt wird, wird der russische Fußball einer schwierigen und unsicheren Zukunft entgegengehen.

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