„Wegen Erbsünde nicht mehr 900 Jahre alt“: Russisch-Orthodoxe Kirche kritisiert Entlassung eines umstrittenen Biogenetikers

„Wegen Erbsünde nicht mehr 900 Jahre alt“: Russisch-Orthodoxe Kirche kritisiert Entlassung eines umstrittenen Biogenetikers

Die Entlassung des Doktors der Biowissenschaften Alexander Kudrjawzew aus religiösen Gründen verstoße gegen die Ethik der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sagte der Vorsitzende der Patriarchalkommission der russisch-orthodoxen Kirche für Familie, Schutz der Mutterschaft und Kindheit, Priester Fjodor Lukjanow. Dies sei keine Ehre für die Beamten, die diese Entscheidung getroffen haben. Kudrjawzew war Direktor des Wawilow-Instituts für Allgemeine Genetik der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAS) und korrespondierendes RAS-Mitglied.

Der überzeugte Christ Alexander Kudrjawzew erregte die Aufmerksamkeit der Medien, nachdem er im Frühjahr 2023 auf der III. wissenschaftlich-theologischen Konferenz „Gott – Mensch – Welt“ eine denkwürdige Rede gehalten hatte. Dabei präsentierte er eine Folie, auf der stand, dass die Lebenserwartung der Menschen seit Tausenden von Jahren sinkt. Angeblich hätten die Menschen „vor der Sintflut“ mehr als 900 Jahre gelebt. Dieses „perfekte Universum“ sei durch menschliche Sünden, die über Mutationen genetische Krankheiten verursachen, verfallen. „Kinder bis zur 7. Generation sind für die Sünden ihrer Väter verantwortlich“, so der Genetiker.

Die kühnen Thesen von Kudrjawzew wurden von Kollegen kritisiert: „Der Vortragende hat aus der Sicht eines Genetikers grundlegende Fehler gemacht, einschließlich der Darstellung widersprüchlicher wissenschaftlicher Daten über die menschliche Evolution und die Ursachen von Mutationen. Diese Position und ihre Propaganda schadet dem Ansehen der Genetik, Das Wawilow-Institut sollte sich von diesem Konzept distanzieren.“

Der Chef der RAS-Kommission zur Bekämpfung von Pseudowissenschaften Jewgeni Alexandrow, bezeichnete es in einem Gespräch mit RTVI als empörend, dass „eine solche Person die Position des Direktors eines führenden Instituts der Akademie innehat“.

In einer Erklärung der Kommission, die von 23 Kommissionsmitgliedern ohne Gegenstimme unterstützt wurde, weisen die Mitglieder der Kommission unter Verweis auf wissenschaftliche Fakten darauf hin, dass die These des Institutsdirektors von der sinkenden Lebenserwartung der Menschen nicht der Realität entspricht.

Die Kommissionsmitglieder kritisierten auch Kudrjawzews Version von der „Erschaffung der Welt“. Sie erinnerten daran, dass die Menschheit nicht von den ersten beiden Menschen – Adam und Eva – abstammt und dass Krankheiten, Bakterien und Viren, die solche Krankheiten verursachen können, schon lange vor dem Erscheinen des Menschen und damit vor dem angeblichen „Sündenfall“ in der Welt existierten, heißt es in der Erklärung.

Kudrjawzew versuchte die Wogen zu glätten, das sei alles nur sein persönlicher Standpunkt gewesen, entspreche nicht der Position der Kirche und soll keinerlei Auswirkungen auf die Arbeit des Instituts für Genetik haben.

In einem Interview mit der Zeitung Moskowsky Komsomolets relativierte Kudrjawzew seine abstrusen Thesen: „Wenn ich auf wissenschaftlichen Konferenzen spreche und Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften schreibe, werden Sie dort keine solche Argumentation finden. Aber wenn ich zu einer theologischen Konferenz gehe und dort spreche, dann lassen Sie die Finger von meinem Glauben. Das hat nichts mit Ihnen zu tun. Das hat auch nichts mit meinem Beruf zu tun. Mein Glaube ist mein Recht, das ich im Einklang mit den Gesetzen meines Landes und meinem Gewissen ausübe.“

Das russische Ministerium für Bildung und Wissenschaft hat jetzt die Reißleine gezogen und den Arbeitsvertrag mit Kudrjawzew als Direktor des Wawilow-Instituts mit Wirkung am 23. Januar gekündigt. „Die Kandidatur des neuen Leiters wurde mit der RAS vereinbart“, heißt es in einer Erklärung des Ministeriums. Gründe für die Entlassung wurden nicht bekannt gegeben.

In seinem Vortrag im März 2023 war der damalige Institutsleiter auch auf die russische Invasion in der Ukraine eingegangen. Die Welt, so Kudrjawzew, werde Russland nicht erlauben, „in Frieden zu leben und sich nach seinem eigenen Szenario zu entwickeln. Unsere Ressourcen, vor allem Lebensmittel, sauberes Wasser und Energie, sind zu attraktiv für die Außenwelt, sei es Europa oder China. Ob wir wollen oder nicht, wir werden uns verteidigen müssen, und zwar militärisch. Wir haben sogar schon damit begonnen.“

Dem Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche zufolge sei es eine wissenschaftliche Tatsache, dass religiöse Überzeugungen großen Entdeckungen nicht im Wege stünden, so dass es sich lohne, von großen Wissenschaftlern zu lernen, bevor man sie aus religiösen Gründen diskriminiere.

[hrsg/russland.NEWS]

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