Was passiert in Kiew? [mit Videos]

Das Schwergewicht der Nachrichten hat sich – mit Ausnahme von Regierungsverlautbarungen von der  ukrainischen Hauptstadt ganz erst auf die Krim und dann in den Donbass verlagert. Das bedeutet aber nicht, dass in Kiew keine beachtenswerten Dinge mehr vorgehen und gerade in der letzten Woche gab es verstärkte Anzeichen für Unruhe – nicht nur aufgrund der aktuell begonnenen Räumung des Maiden.

Spendensammlung für Bürgerkrieg

Aktuell sind in der ukrainischen Hauptstadt Kriegsgeld-Sammler unterwegs, die Spenden für die Regierungstruppen im Osten sammeln

Wer nicht spenden will, dessen patriotische Haltung wird natürlich sofort kritisch hinterfragt. Dabei gab es gerade erst eine Sondersteuer für die Finanzierung des Bürgerkriegs im Landesosten, dessen Kosten der  finanziell klamme ukrainische Staat damit pauschal auf seine Bürger umlegt.

Gerüchteküche wird am Brodeln gehalten

Durch die Stadt ziehen immer wieder Gerüchte über ein bevorstehendes direktes Eingreifen der Russen im Donbass, die auch von offiziellen Verlautbarungen bis hinauf zu Poroschenko oder dem Geheimdienst SBU befeuert werden. Ex-Geheimdienstchef Igor Smeschko glaubt sogar zu wissen, wann die ukrainischen Truppen russische Angreifer werden aufhalten können, etwa 20 Kilometer hinter der Grenze, glaubt er laut einem Bericht der Onlinezeitung Politnavigator. Dass es nicht ganz so locker mit der Verteidigungsbereitschaft steht, wie man glauben machen will, zeigt eine andere Meldung, wonach das maximale Einberufungsalter in die Armee von 50 auf 60 Jahren angehoben werden soll, für Offiziere sogar auf 65 Jahre.  Sollte es wirklich einen russischen Angriff geben, wird die Truppe, die ihn aufzuhalten versucht, auf jeden Fall altersmäßig und motivativ sehr bunt sein.

Gar nicht anders als auf der anderen Seite der Front wird eine Kriegsstimmung befeuert, um die bröckelige Kampfmoral halbwegs zu stabilisieren. Denn gerade viele Ostukrainer und andere Mitglieder der russischsprachigen Minderheit ziehen in diesen Bürgerkrieg äußerst widerwillig, was die große Anzahl der Deserteure recht deutlich zeigt.

Maidan-Konflikt bis zur Räumung

Konflikte gab es bis heute es auch weiter auf dem Maidan, wo die Barrikaden aktuell zur Stunde gewaltsam weg geräumt werden. Ständig liefen Verhandlungen zwischen den verbliebenen Maidan-Aktivisten und der neue Regierung, der sie an sich längt ein Dorn im Auge sind – denn im Sinne der neuen Offiziellen, ist die „Revolution“ ja „erfolgreich zu Ende“ – die Maidan-Aktivisten sehen das anders und blieben deswegen auf ihren Barrikaden. Vor einigen Tagen wurde ein vorläufiger Kompromiss erzielt, dass sie vorerst bleiben dürfen, aber dafür bestimmte Zugangsrouten für den öffentlichen Verkehr räumen. Hier zwei Videos von vor Ort aus den letzten Tagen:

Nun wurde heute der Maidan doch zwangsweise geräumt, wie eine Flut von Agenturmeldungen bestätigt. Wie explosiv die Lage innerhalb der Euromaidaner generell ist, zeigt eine ständige Sorge vor Ausbrüchen neuer Gewalt zwischen den Sicherheitskräften der Regierung und den Aktivisten. So waren am Platz durchaus noch Aktive mit Splitterschutzwesten und einem umfangreichen Magazin an Molotowcocktails und ähnlichem. Inwieweit es nun zu Gewaltausbrüchen kommt, müssen die nächsten Stunden zeigen.

Mancher Aktivist sieht in der nationalliberalen Regierung an der Macht nicht die Verwirklichung der Ziele, für die Janukowitsch verjagt wurde. An der Spitze der örtlichen Staatsmacht steht übrigens Bürgermeister und Ex-Boxer Klitschko, der inzwischen eine echte Symbolfigur des neuen Establishments ist. Die verbliebenen Aktivisten vor Ort trifft auch häufig der Vorwurf von nationalistische Seite, warum sie noch in Kiew und nicht im Donbass im Krieg sind. Die Aktivisten werfen wiederum der Regierung vor, in Sachen Propaganda der vorherigen und Russland in nichts nachzustehen. Auch werfen Radikale vor Ort ihrer Politik vor, im Geheimen mit Russland zu verhandeln. Hier eine Originalaussage vor Ort:

Als russischer Muttersprachler sollte man sich im Bereich um den Maiden in Kiew auf jeden Fall vorsichtig bewegen, denn so mancher wittert „Agenten des Kreml“ überall. Viele interessante Berichte vom Geschehen am Maiden gibt es für Russischkundige bei der ukrainischen Onlinezeitung Politnavigator, dem Sprachrohr der russischsprachigen Minderheit vor Ort.

Janukowitsch-Parteigänger am Boden und auf Holzweg

Relativ am Boden ist vor Ort die ehemalige Janukowitsch-Anhängerschaft aus der „Partei der Regionen“. Bei kommenden Wahlen wird mit einem Zusammenbruch ihrer Stimmenzahl gerechnet, denn entweder haben sich die vormaligen Wähler auf antimaidanischer Seite radikalisiert oder sich frustriert zurückgezogen ins Lager der Nichtwähler. Verhindern soll den Komplettzusammenbruch nun ausgerechnet der zwielichtige ostukrainische Oligarch Achmetow, schreibt die Zeitung Nowoje Wremja. Von den westukrainischen Nationalisten wird die Partei zudem stets als „fünfte Kolonne Russlands“ diffamiert – mit einer Fortsetzung des Janukowitsch-Kurses mit einem anderen Oligarchen an der Spitze wird sie das Vertrauen der Wähler nicht zurück gewinnen.

Das ist fataler, als es zunächst klingt. Denn die „Partei der Regionen“ war stets die einzige Kraft, die den russischsprachigen Osten in die Gesamtukraine integriert hat. Von einer Wiederintegration ist angesichts der harten Fronten im Staat auch unabhängig vom militärischen Geschehen in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.

Roland Bathon, russland.RU; als Quelle für diesen Artikel dienten ausschließlich ukrainischen Onlinezeitungen der russischsprachigen Minderheit

 

 

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