Warum Uploadfilter unabhängige News zerstören

Warum Uploadfilter unabhängige News zerstören

[Kommentar von Roland Bathon] In eigener Sache muss ich hier den Boden der neutralen Berichterstattung einmal komplett verlassen und mich als Redakteur von russland.TV notfalls völlig einseitig gegen die neue EU-Urheberrechtsreform mit den daraus folgenden Uploadfiltern und dem europaweiten Leistungsschutzrecht aussprechen. Und das nicht  wegen möglicher Zensur, die später über solche Filter einfach ausgeübt werden könnte. Sondern wegen realer und sehr schneller Auswirkungen, die nicht nur vielleicht, sondern sicher aus dieser Regelung folgen.

russland.TV und die Uploadfilter

Art. 13 der Urheberrechtsreform legt fest, dass YouTube sprich Google in Zukunft für Urheberrechtsverstöße auf seiner Plattform komplett haftet. Natürlich wird sich Google dagegen schützen und der einzig mögliche Schutz ist die Installation eines Uploadfilters, der jedes Video nach Rechteverstößen durchsucht, bevor es online geht. Die Basis dafür ist das Content ID System von YouTube, das bereits jetzt die Videos nach der Veröffentlichung nach solchen Verstößen durchsucht und mit dem russland.TV viele schlechte Erfahrungen gemacht hat, obwohl wir regelmäßig hierdurch angestoßene Auseinandersetzungen gewinnen.

Die Durchsuchung eines Videos nach Rechteverstößen ist ein ungeheuer aufwändiger Prozess – Bild und Ton müssen mit allen bisher veröffentlichten urheberrechtlich geschützten Materialien abgeglichen werden. Das sind im Prinzip alle Filme, TV-Sendungen und geschützte Videos, die in den letzten 70 Jahren (!) weltweit (!) gedreht wurden. Wenn das geschieht, bevor das Video online geht,  ist damit zu rechnen, dass zwischen Upload und Veröffentlichung des Videos mehrere Stunden automatischer Abgleich liegen, was Auswirkungen auf den Veröffentlichungstermin hat – und das trifft natürlich am meisten Produzenten von News. Die Fachpresse rechnet damit, dass Google mit den großen TV-Anbietern und Verlagen Verträge schließt, etwa der ARD oder dem Springer-Konzern. Deren Publikationen werden dann vom Uploadfilter befreit, dafür werden sie im Vertrag in Haftung genommen, falls sie auf YouTube etwas „falsches“ hoch laden – aufgrund riesiger Medienpools eine eher theoretische Möglichkeit. Mit großen Anbietern lohnt sich das für Google und die großen Anbieter selbst gewinnen an Geschwindigkeit gegenüber den kleineren – wie russland.TV. Wie lange eine „Filtrierung“ dauert, weiß aktuell noch niemand – es steht ja nicht einmal fest, was alles geprüft wird – aber es sind riesige Mengen, denn auch Inhalber exotischen Materials könnten ja Google nach dem Inkrafttreten der Reform verklagen.

Fehleranfällige Reklamation von Rechten

Das noch weitaus größte Problem ist jedoch, dass Content ID nicht fehlerfrei arbeitet und große Rechteinhaber manchmal Sachen beanspruchen, die ihnen gar nicht gehören. Das betrifft nicht nur Satiren oder Bildzitate, von denen man immer wieder liest und die Content ID gar nicht richtig sortieren kann. russland.TV bekommt regelmäßig abseits davon Urheberrechtsansprüche bezüglich eigener Videos, wo TV-Sender oder Rechteverwerter sagen, diese oder jene Szene gehöre ihnen – obwohl das nicht stimmt.  Denn unsere „Weste“ bei YouTube bezüglich der Einhaltung der Urheberrechte ist blütenrein. Ein paar reale Beispiele. Vor einigen Jahren bat uns eine von Sony/BMG beauftragte Agentur zu einer Rezension der beliebten russischen Animationsreihe „Mascha und der Bär“. Wir bekamen von der Agentur Auszüge eines Videos, die wir in einem eigenen Rezensionsbeitrag verwenden dürfen. Nach Veröffentlichung des Videos staunten wir nicht schlecht, als Sony/BMG selbst das Urheberrecht an unserem Video reklamierte – wegen dieser Szenen. Die Sache war innerhalb einiger Tage und mit ein paar Telefonaten aus der Welt geschafft und resulierte aus fehlender Kommunikation zwischen Sony und seiner Agentur – und daraus, dass eben die „Content ID-Maschine“ hier nur mechanisch tätig war.

Das ist kein Einzelfall. Immer wieder behaupten TV-Sender über Content ID – in einem Fall sogar aus Lateinamerika – die Rechte an Reden von Präsident Putin oder anderen Materialien russischer Ministerien zu besitzen, die der Kreml oder die Ministerien  zur Verwendung in Pressebeiträgen auf den Presseseiten von Kreml, Außen- oder Verteidigungsministerium zur Verfügung stellen. In jedem Fall legen wir gegen die gestellten Ansprüche begründeten Einspruch mit Quellennennung ein, dann dauert es im Schnitt eine Woche, der TV-Sender gibt nach und alles gehört wieder unzweifelhaft uns. Aktuell merken die Zuschauer nichts von diesem ganzen Verfahren. Ab dem Einspruch wandern die Werbeeinnahmen auf ein Sonderkonto, das dann nach Entscheidung wieder auf russland.TV gebucht wird. Das Video bleibt online und bringt die Werbeeinnahmen ein, die zur Videoproduktion benötigt werden. Und hier ist der Unterschied zum Uploadfilter nach Einführung des neuen Urheberrechts. Schlägt dann Content ID fälschlicherweise an, bleibt das Video offline und man muss warten bis der, der da zwei Szenen zu Unrecht beansprucht, sich das anschaut – ja das kann Wochen dauern und so lange liegt das Video unveröffentlicht herum. Bei News-Videos in der Regel, bis die News gar keine mehr sind.

Darüber hinaus soll auch Content ID selbst nach Berichten vieler YouTuber fehlerhaft sein – das können wir selbst bisher nicht bestätigen, da wir keine Satiren und Bildzitate machen – wegen der oben beschriebenen Probleme. Weiterhin sind auch Materialien, die andere „Creative Commons“ zur Verfügung stellen, nicht in jedem Fall zu 100 % rechtlich geklärt – sondern ein echtes Glücksspiel. In jedem Fall gewinnen die großen Rechteverwerter und TV-Sender die Oberhoheit über das Internet in der EU zurück – genau die, die das neue Urheberrecht über ihre Lobby durch die Institutionen der EU gepeitscht haben. Sie können zum einen schneller online stellen, zum anderen der kleineren Konkurrenz Knüppel zwischen die Beine werfen, selbst ohne rechtlich dazu befugt zu sein.Vermeiden kann man solche Dinge nur, indem man ausschließlich eigenes, selbst gefilmtes Material verwendet. Das geht ebenfalls bei News-Beiträgen und kleineren Anbietern so gut wie nicht, denn niemand aus diesem Segment kann zu jedem politisch relevanten Ereignis eigene Leute schicken oder teuer professionelles Material einkaufen. Unser eigenes Videoarchiv ist nach 12 Jahren journalistischer Arbeit mit Videos sehr groß – aber dennoch können wir nie alles im Archiv haben. Vor allem, weil es bei News  ja darum geht, dass neue Dinge passieren. Sie werden in der EU zur Domäne der Großanbieter. Müssen Video-Newsanbieter dann etwa vor der Urheberrechtslobby nach Russland flüchten – zu den dort anders motivierten Einschränkungen der Pressearbeit?

russland.NEWS und das Leistungsschutzrecht

Auch der Textbereich unserer in Hannover beheimateten Onlinezeitung russland.NEWS bleibt von den Auswirkungen der EU-Urheberrechtsreform nicht verschont. Art. 11 der Urheberrechtsreform legt fest, dass Suchmaschinen für die Suchergebnisse bei News an die Newsanbieter zahlen sollen und zwar dafür, dass sie die „urheberrechtlich geschützten“ Überschriften und ersten Worte der Artikel, die beim Suchergebnis der Maschine erscheinen, anzeigen. Fachleute rechnen damit, dass Google hier mit allen großen Newsanbietern und Verlagen Verträge abschließt, wie beim Uploadfilter. Es stellt sie dabei vor die Wahl, der Maschine entweder so gut wie umsonst das Recht der Anzeige der Newsergebnisse einzuräumen oder eben die News des betreffenden Verlags aus dem Suchindex auszuschließen. Das wäre aufgrund der Monopolstellung der Google-Suche in Europa das Todesurteil für alle Publikationen des betreffenden Verlags. Ähnliches gab es schon bei dem deutschen Leistungsschutzrecht und alle Verlage machten zähneknirschend mit, um den Google-Traffic zu behalten. Ohne Google ist jeder Verlag tot, also lässt er sich vom Konzernriesen aus den USA erpressen.

Was passiert aber mit den Ergebnissen der kleineren Newsanbieter, für die sich ein Vertragsschluss des Weltkonzerns Google nicht lohnt? Nun ja, das einfachste und rechtssicherste für Google wäre, die Newssuche nur auf die großen Vertragsinhaber zu beschränken und damit wären alle Kleinanbieter für News aus dem Suchindex verbannt. Der Mainstream wäre EU-weit wieder alleine bei der Produktion von Nachrichten – ähnlich wie in der Zeit vor dem Internet. Denn andernfalls könnten Newsproduzenten, die keinen Vertrag mit Google haben, Google verklagen, wenn es ihre Newsergebnisse anzeigt. Das wäre eine Geldmaschine für unterbeschäftigte Juristen, ähnlich wie die sogenannte „Abmahnindustrie“. Es wäre sogar möglich, dass News für eine spätere Klage eigens produziert werden. Den Schuh wird sich Google nicht anziehen. Sperrt sie nicht-Vertragsinhaber aus, rettet russland.NEWS auch nicht die Flucht nach Russland vor dem Ausschluss, wo bis 2016 der Sitz unserer Onlinezeitung war. Bis zur Gründung des russland.RU Verlags, der damals aus organisatorischen Gründen erforderlich wurde, da unser in Russland lebende Herausgeber Gunnar Jütte das nicht mehr alleine schultern konnte.

Zusammenfassend stehen wir vor einer Entscheidung, die die Zukunft des EU-weiten Internets maßgeblich beeinflussen wird. Nur wenn die Reform kippt, wird die aktuell sehr vielfältige Landschaft der Onlinepresse erhalten bleiben. Eine Vielfalt, wie sie auch in Russland existiert – anders als im dortigen TV- oder Radioprogramm. Schon beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz lieferten westliche Gesetzgeber eine Blaupause für ein Gesetz, das 1:1 in Russland übertragen und genutzt wurde, Freiheiten im Internet einzuschränken. Hat man aktuell vor, dasselbe zu wiederholen? Wer sich gegen Art. 13 der EU-Urheberrechtsreform engagieren will, findet unter www.safetheinternet.info Möglichkeiten.

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