VTimes online: Ex-Redakteure von Wedomosti starten eigenes Projekt

VTimes online: Ex-Redakteure von Wedomosti starten eigenes Projekt

Russlands einflussreichste Wirtschaftszeitung, Wedomosti, geriet diesen Sommer nach einem Eigentümerwechsel in eine schwere Krise, als sich Fälle der internen Zensur häuften. Jetzt Ex-Redakteure von Wedomosti wehrten sich und riefen diese Woche eine neue, unabhängige Wirtschaftszeitschrift VTimes ins Leben gerufen.

Ende Juli nahm VTimes seine Arbeit auf, aber die gesamte Website ging erst am Dienstag online. Das Medien-Start-up wurde von vier stellvertretenden Redakteuren von Wedomosti gegründet, die viele Jahre bei der Zeitung gearbeitet und die Redaktionspolitik mitgestaltet haben. Mehrere andere Journalisten von Wedomosti, die nach der Übernahme ihren Arbeitsplatz verloren (oder gekündigt haben), sind ebenfalls Teil des Projekts.

VTimes versucht, den guten Ruf der ursprünglichen Wedomosti Kapital zu nutzen. Die Macher haben das Recht mitgenommen, Artikel aus der Financial Times zu veröffentlichen, und einige der populären Kolumnisten der Wedomosti unter Vertrag genommen – darunter Konstantin Sonin, Professor der Universität Chicago, und Sergej Guriew, ehemaliger Chefökonom der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Es gibt aber auch eine Art Facelifting: Lachsrosa leuchtet jetzt flächendeckend, Artikel- und Nachrichtenspalten haben die Seiten gewechselt. Mit einem aktuelleren Fokus auf ökologische und soziale Fragen ist das Spektrum gegen der Wedomosti erweitert.

Das Geld für den Start von VTimes stammt laut Gründer Alexander Gubski aus privaten Spenden. VTimes plant, sein Geld durch Werbung zu verdienen, verfolgt aber auch eine aktive Kampagne https://contribute.vtimes.io/  zur Finanzierung durch Crowdfunding. Dies stieß bei Journalisten auf ein gemischtes Echo: Eine Wirtschaftszeitung, die die Leser um Spenden bittet, sei höchst ungewöhnlich. Derzeit gibt es keine Pläne zur Einführung eines kostenpflichtigen Abonnementdienstes.

Die Wedomosti wurde 1999 als russisches Analogon zu internationalen Wirtschaftspublikationen wie der Financial Times und dem Wall Street Journal gegründet. Mit dem lachsrosa Papier der Financial Times wurde sie schnell zur bevorzugten Zeitung der politischen und wirtschaftlichen Elite. Doch ihre ausländischen Eigentümer mussten sie 2014 verkaufen, als Russland Ausländern den Besitz von Medienorganisationen untersagte und die Zeitung an Demjan Kudrjawzew, einen ehemaligen Partner von Boris Beresowski, überging. Anfang dieses Jahres verkaufte Kudrjawzew die Zeitung an ein wenig bekanntes Verlagshaus aus Jekaterinburg, und Andrei Schmarow wurde zum Chefredakteur ernannt. Schmarow gilt als Protegé des Rosneft-Pressesprechers Michail Leontjew. Nach mehreren Fällen von Zensur trat fast die gesamte alte Redaktion zurück.

Die Kollegen des Wirtschaftsportals The Bell resümieren den Auftritt: „Wenn Sie Nachrichten aus Russland verfolgen und Russisch lesen, ist VTimes ein Muss. Es ist noch zu früh, um sagen zu können, ob die ursprüngliche Wedomosti völlig außer Acht gelassen werden kann, aber man kann ihr jetzt nicht mehr vertrauen.“

Eigene Erfahrungen mit den bisherigen wöchentlichen Newslettern bestätigen den guten Eindruck, den VTimes bislang hinterlassen hat.

[hrsg/russland.NEWS]

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