„Vorhersehbar, aber inakzeptabel“: internationale Reaktionen auf die Festnahme von Nawalny

„Vorhersehbar, aber inakzeptabel“: internationale Reaktionen auf die Festnahme von Nawalny

Alexei Nawalnys Rückkehr nach Russland lockte nicht nur Russland vor die Bildschirme, sondern die ganze Welt wollte wissen, wie die russischen Behörden reagieren werden. Unmittelbar nach seiner Verhaftung forderten weltweit Staats- und Regierungschefs die russischen Behörden auf, den Oppositionellen freizulassen, worauf Russland wiederum umgehend reagierte.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow hält den Zweck der Aussagen westlicher Politiker über die Inhaftierung für einen Versuch, „auf diese Weise die Aufmerksamkeit von der tiefsten Krise ablenken zu können, in der sich das liberale Entwicklungsmodell befindet.“ Seine offizielle Sprecherin Maria Sacharowa riet ausländischen Politikern per Facebook: „Respektieren Sie das Völkerrecht, greifen Sie nicht in die nationale Gesetzgebung souveräner Staaten ein und behandeln Sie Probleme in Ihrem eigenen Land.“

Der gerade aus einem Urlaub zurückkehrende Präsidentensprecher Dmitri Peskow wusste nichts von einer Festnahme des Oppositionellen. „Pardon, ist er in Deutschland festgenommen worden? Ich bin nicht im Bilde“, so Peskow auf eine Frage.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International ernannte Nawalny zum „politischen Gefangenen“. „Seine Verhaftung unterstreicht nur die Notwendigkeit, seine Behauptungen zu untersuchen, dass er auf Befehl von höchster Ebene von staatlichen Agenten vergiftet wurde“, sagte Natalja Swjagina, Direktorin des Moskauer Büros von Amnesty International.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte die unverzügliche Freilassung des inhaftierten Politikers. Regierungssprecher Steffen Seibert teilte mit, Merkel „verurteile die willkürliche Inhaftierung von Nawalny … die gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstößt“.

Das deutsche Außenministerium bezeichnete die Inhaftierung als „völlig unverständlich“. In einer Erklärung von Außenminister Heiko Maas heißt es „Russland ist an seine eigene Verfassung und seine internationalen Verpflichtungen in Bezug auf Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Bürgerrechte gebunden. Diese Prinzipien sollten natürlich auf Alexei Nawalny angewendet werden. Er sollte sofort freigelassen werden.“

Der deutsche Vizekanzler Olaf Scholz bezeichnete die Inhaftierung des „wirklich tapferen Mannes“ als rechtswidrig. Deutschland habe ihm Schutz gewährt, dafür gesorgt, dass er wieder gesund wird und „jetzt wird alles davon abhängen, wie wir unsere Position verteidigen und unsere Sicht der Dinge erklären“.

Aus den Vereinigten Staaten von Amerika meldeten sich Außenminister Mike Pompeo und Jake Sullivan mit ihren „scharfen Verurteilungen“ zu Wort. „Selbstbewusste politische Führer fürchten keine Konkurrenz, wenden keine Gewalt an und halten ihre politischen Gegner nicht illegal fest“, schreibt Erklärung der Minister. Jake Sullivan, den der gewählte US-Präsident Joe Biden zum Nationalen Sicherheitsberater ernennen will, forderte die sofortige Freilassung des Oppositionsführers. „Die Angriffe des Kremls auf Nawalny sind nicht nur eine Menschenrechtsverletzung, sondern eine Beleidigung für alle Russen, die sich Gehör verschaffen wollen.“

„Frankreich hat mit großer Sorge von der Inhaftierung Nawalnys in Russland erfahren. Es beobachtet die Situation zusammen mit den europäischen Partnern sehr aufmerksam und fordert seine sofortige Freilassung“, so das französische Außenministerium in einer Erklärung.

Der britische Außenminister Dominic Raab verurteilte ebenfalls die Inhaftierung Nawalnys und forderte seine Freilassung.  „Es ist erschreckend, dass ein Opfer eines verheerenden Verbrechens, von den russischen Behörden festgenommen wurde. Er muss sofort freigelassen werden. Anstatt Nawalny zu verfolgen, sollte Russland erklären, wie chemische Waffen auf russischem Boden hätten eingesetzt werden können“, schrieb Raab auf Twitter.

Die Außenminister Polens und der baltischen Staaten forderten die EU auf, unverzüglich auf die Verhaftung von Nawalny zu reagieren. Wenn der Oppositionsführer nicht bald freigelassen wird, könnte es zu neuen Sanktionen gegen Russland kommen. Der tschechische Außenminister Tomasz Petřicek versprach, die Sanktionsfrage auf der nächsten Sitzung des EU-Rates auf der Ebene der Außenminister ansprechen.

Die norwegische Außenministerin Ine Marie Eriksen Søreide schloss sich ihrem dänischen Kollegen Jeppe Kofod an, der die Verhaftung für „ebenso vorhersehbar wie inakzeptabel“ hält und eine sofortige Freilassung fordert. „Ich verfolge die Situation genau zusammen mit unseren Partnern aus der EU. Die ganze Welt schaut zu!“

Wien fordert nicht nur die sofortige Freilassung von Nawalny, sondern auch die Einleitung einer Untersuchung seiner Vergiftung. „Eine lebendige Zivilgesellschaft und politische Opposition sind die Eckpfeiler demokratischer Gemeinwesen.“ Ähnlich äußerte sich der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel. Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrel twitterte: „Die russischen Behörden müssen die Rechte von  Nawalny respektieren und ihn sofort freilassen. Die Politisierung des Justizsystems ist inakzeptabel.“

Die belarussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja kommentierte, Russland beraube sich mit der Festnahme „politischer Alternativen“. „Belarus hat gerade gesehen, wozu diese Haltung gegenüber politischen Gegnern führt. Es ist nicht im Interesse der Russen und des Landes.“

Nawalny kehrte am 17. Januar nach seiner Behandlung in Deutschland nach Russland zurück. Sein Flugzeug änderte im letzten Moment den Kurs und landete in Scheremetjewo statt in Wnukowo, wo hunderte von Anhängern und Pressevertretern auf ihn warteten.

Der russische Föderale Strafvollzugsdienst erklärte die Inhaftierung des Oppositionellen bei der Passkontrolle damit, dass er seit dem 29. Dezember „wegen mehrfacher Verstöße gegen die Bewährungsauflagen“ gesucht worden sei.

Nach der Verhaftung wurde Nawalny zu einer Polizeidienststelle in Tschimki bei Moskau gebracht. Dort wurde gestern bei einem außergerichtlichen Haftprüfungstermin beschlossen, ihn für 30 Tage in Gewahrsam zu nehmen. Am 2. Februar wird ein anderes Gericht entscheiden, die Bewährungsstrafe, die er bereits im Fall Yves Rocher verbüßt ​​hat, möglicherweise durch eine echte zu ersetzen. In diesem Fall drohen Nawalny bis zu 3,5 Jahre   Strafkolonie.

Der Leiter des regionalen Hauptquartiers von Nawalny, Leonid Wolkow, kündigte an, am 23. Januar Kundgebungen in ganz Russland zu organisieren.

[hrsg/russland.NEWS]

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