Das neu erschienene Buch „Vernichtungskrieg im Osten und die Sowjetischen Kriegsgefangenen“ beschäftigt sich eingehend mit der umfangreichen dunklen Seite des deutschen Ostfeldzugs im Zweiten Weltkrieg. Noch immer stehen deutsche Neuerscheinungen zum Russland-Feldzug der Wehrmacht teilweise in der Tradition der Abgrenzung zur SS und Schilderung einer rein militärischen oder gar menschlichen Seite der Wehrmacht.
Das neue Buch zum Vernichtungskrieg im Osten klärt knapp, aber zutreffend über den wahren Charakter dieses gewissenlosen Feldzugs auch vonseiten der Wehrmacht auf. Anhand von Zeitzeugen und historischen Belegen schildert der Autor dieses Buchteils, der Historiker Hannes Heer, die aktive und engagierte Rolle, die auch das normale Heer abseits von SS-Kommandos und Sondereinsatzgruppen beim systematischen Vernichtungskrieg in Russland spielte. So wird der teilweise bis heute von deutschen Militärs gepflegte Mythos von der „unpolitischen“ oder gar „ritterlichen“ Wehrmacht in diesem Buchteil (etwa 50 Seiten) ohne Ausschweifungen, aber zielgenau widerlegt.
Ebenso treffend und prägnant ist der folgende Teil des Buchs von Christian Streit, in dem es um das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg geht. Solche gab es im millionenfachen Ausmaß in Folge der deutschen Offensiven 1941/42 und auch hier fand eine systematische Vernichtung durch Aushungern und fehlende medizinische Versorgung statt, bevor Arbeitskräfte gegen Kriegsende knapp wurden. Zu diesem Kapitel der deutschen Geschichte gibt es wesentlich weniger Literatur als zu anderen Aspekten der Nazi-Zeit. In der UdSSR und der DDR galten die sowjetischen Gefangenen bis zum Ende des Ostblocks als „Verräter am Sozialismus“, obwohl sie sich in fast ausschließlich aussichtslosen Situationen ergeben hatten müssen, und im Westen pflegte man die Verdrängung aus Tätersicht, denn auch hier gingen große Teile der Menschenrechts- und Kriegskonventionsverletzungen auf das Konto der „normalen“ militärischen Führung. Es ist erfreulich, dass die Buch-Neuerscheinung hier Abhilfe schafft.
Nach einem Kurzkapitel über die Organisation „Kontakte“, die derartige Opfer der Nazizeit unterstützt, folgen in dem dünnen Büchlein mit insgesamt 120 Seiten bereits umfangreiche Anhänge mit Originaldokumenten. Diese sind fast ein wenig überdimensioniert und es wäre vielleicht schön gewesen, statt all dieser Abdrucke die beiden Hauptkapitel des Buches etwas umfangreicher zu gestalten. Gerade die interessante Abhandlung über die Kriegsgefangenen (nur 15 Seiten) hätte durchaus noch etwas mehr in die Tiefe gehen können.
Trotz dieses Schönheitsflecks ist „Vernichtungskrieg im Osten und die Sowjetischen Kriegsgefangenen“ ein lesens- und kaufenswertes Buch, das übrigens im Rahmen einer Projektarbeit der deutschen Gewerkschaftsjugend entstanden ist. Gerade wer sich kurz, aber fundiert über den Charakter des Vernichtungskriegs von Nazi-Deutschland in Russland informieren möchte, ist bei diesem Werk gut aufgehoben.
Daten zum Buch: Boebel/Heidenreich/Wentzel (Hrsg.), Vernichtungskrieg im Osten und die sowjetischen Kriegsgefangenen, Verbrechen – Verleugnung – Erinnerung, VSA Verlag Hamburg 2012, ISBN 978-3-89965-542-1
Roland Bathon – russland.TV, Russland hören und sehen
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