Unter Quarantänebedingungen

Unter Quarantänebedingungen

[von Anastasia Byrka] In vielen Regionen Russlands war in den vergangenen Wochen eine Grippe-Quarantäne verhängt worden. Nun hat es den Anschein, als ob diese nach und nach wieder aufgehoben werden würde. Was sagen die aktuellen Zahlen?

Verbreitung von Coronavirus und Grippe

In diesem Jahr geht in Russland hauptsächlich das Influenzavirus B um, das sich nach offiziellen Angaben jedoch langsam ausbreitet und vergleichsweise wenige Menschen infiziert. Konkret handelt es sich vor allem um die beiden Stämme A: H1N1 und H3N2. Laut des Föderalen Dienstes für die Aufsicht auf dem Gebiet des Schutzes der Verbraucherrechte und des Wohlergehens der Menschen Russlands konnte eine Grippe-Epidemie durch eine groß angelegte Impfaktion jedoch gerade noch verhindert werden. Experten sind allerdings der Meinung, dass die Zahlen der Grippe-Erkrankungen und der Sterberate durch das Influenzavirus zu niedrig gegriffen werden und die Zahlen der geimpften Personen zu hoch.

Möglich ist, dass das Auftauchen des Coronavirus die russische Bevölkerung zu mehr Hygienemaßnahmen verleitete und somit die Ausbreitung von Infektionen verlangsamt wurde. In Russland konnte eine Erkrankungswelle mit dem neuartigen Coronavirus bislang dank entsprechend getroffener Maßnahmen verhindert werden – vor allem durch die Isolierung von China als dem Epizentrum der Infektion sowie durch Informationskampagnen. Die Sensibilisierung der Russen spiegelt sich – wenn auch indirekt – in der Begeisterung für medizinische Atemschutzmasken wider, die sie erneut an die Notwendigkeit erinnerten, Hygienevorschriften einzuhalten.

Aufgrund einer erhöhten Ansteckungsgefahr wurden vor zwei Wochen regionale Quarantänebestimmungen angekündigt. Laut des Föderalen Dienstes für Verbraucherschutz ist in allen Bezirken des Landes über alle Altersgruppen hinweg eine Zunahme von Grippe- und Atemwegsinfektionen zu beobachten gewesen. Die Behörde gab an, dass die Erkrankungsrate an diesen Infektionen in der fünften Woche diesen Jahres die epidemische Schwelle um 5,5 Prozent überschritten hatte. Besonders betroffene Regionen wurden unter Quarantäne gestellt, mehrere Schulen und Kindergärten schlossen.

Was ist gefährlicher – die Grippe oder das Coronavirus?

Mediziner sind sich einig, dass die Grippe eine viel größere Gefahr darstellt, als das Coronavirus. Im Jahr 2018 starben laut des Föderalen Dienstes für Verbraucherschutz 127 Menschen an der Grippe. Zum Vergleich: Ein Jahr zuvor waren es 46 Menschen und damit 2,7-mal weniger Todesfälle gewesen. Die Ergebnisse für 2019 wurden bislang noch nicht veröffentlicht.

Laut der Weltgesundheitsorganisation sterben weltweit jedes Jahr 650.000 Menschen an saisonalen Atemwegsinfektionen und der Grippe, die meisten davon in Entwicklungsländern.
Der Föderale Dienst für die Aufsicht auf dem Gebiet des Schutzes der Verbraucherrechte und des Wohlergehens des Menschen Russlands stellte jedoch klar, dass das Fehlen einer Grippeimpfung und das Vorhandensein chronischer Begleiterkrankungen bei den Verstorbenen (Bluthochdruck, koronare Herzkrankheit, Diabetes, Fettleibigkeit, chronische Atemwegserkrankungen) den Tod mit verursache. Eine weitere Todesursache sei außerdem  das zu späte Aufsuchen medizinischer Einrichtungen.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums der Russischen Föderation verkompliziert das Auftreten des Coronavirus die Grippesituation nicht nur in Russland, sondern auch in anderen Ländern der nördlichen Hemisphäre, da sich die Symptome von Grippe, anderen Virusinfektionen der Atemwege und dem neuartigen Coronavirus stark ähneln.

Die Schutzimpfung – wirksam?

Einige Experten sind sich sicher, dass der effektivste Weg zur Bekämpfung der Grippe heute die Schutzimpfung ist. Im Vorfeld der Saison wurden laut dem Föderalen Dienst für Verbraucherschutz mehr als 73,95 Millionen Menschen gegen Grippe geimpft (50,5 Prozent der Bevölkerung). Vor der Epidemie 2018 bis 2019 waren es noch etwa 70,9 Millionen Menschen (49 Prozent der Bevölkerung).

Die tatsächlichen Zahlen können jedoch von den veröffentlichten abweichen. Die Umfrage des Allrussischen Zentrums für Meinungsforschung im Herbst 2019 ergab, dass 58 Prozent der Russen in diesem Jahr nicht vorhatte, sich gegen das Influenzavirus impfen zu lassen und 23 Prozent an der Wirksamkeit dieser Injektionen zweifele. Viele Bürger Russlands glauben, dass das Impfen nutzlos ist: Es sei unmöglich zu erraten, welcher der zweitausend vorhandenen Stämme gefährlich ist, und es gäbe keine Beweise für die Wirksamkeit der Schutzimpfungen. Sie bezweifeln sowohl die Diagnose als auch die Verordnung der Behandlung. Oft wird ein Patient nur auf Influenzaviren getestet, wenn er sich in einem Krankenhaus für Infektionskrankheiten befindet. In anderen Fällen bestimmt der Arzt normalerweise „mit dem Auge“, ob es sich um eine Grippe handelt oder nicht. Diese Vorgehensweise könnte offizielle Zahlen relevant verändern.

[Anastasia Byrka/russland.NEWS]

Foto: Tim Reckmann, Lizenz: CC BY 2.0, https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/, über flickr.com, keine Änderungen

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