[Von Michael Barth] – Sich etwas wünschen ist nicht verwerflich. Träumen auch nicht. Wenn man jedoch bei beidem die Bodenhaftung aus den Augen verliert, dann lehnt man sich aus dem Fenster. Die Ukraine hat auch ihre Wünsche vor Weihnachten geäußert und lehnt sich dabei sogar sehr weit aus dem Fenster. Und da wiederum kann es sehr weit in die Tiefe gehen.
Hochmut kommt vor dem Fall, heißt es doch so schön im Volksmund. So übermütig wie man in Kiew gerade zu träumen scheint, steht zu befürchten, dass es ein sehr tiefer Fall werden muss, der sich da anbahnt. Die Ukraine probt den Zwergenaufstand und das zu einem für sie denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Der Winter hat das Land bereits fest im Griff und die Temperaturen werden noch sinken, soviel ist Gewiss. Ungewiss ist allerdings noch, wie die Ukraine gedenkt den diesjährigen Winter zu überstehen. Die pro-russischen Rebellen im Osten des Landes sitzen auf der Donbass-Kohle wie eine Glucke auf ihrem Ei und solange Kiew den von Russland geforderten Gaspreis nicht bezahlen kann, bleibt der Ofen einfach kalt.
Im Schatten der jüngsten Ereignisse glaubt man in Kiew offenbar noch an Wunder. Ein zweitägiges Manöver des ukrainischen Militärs sollte auf die Truppenstärke eines Landes weisen, welches sich seine Probleme im Grunde genommen selbst eingebrockt hat. Ganze 16 Marschflugkörper wurden in einer äußerst sensiblen Region im Süden des Landes, nämlich gerade 30 Kilometer von der Grenze zur Krim entfernt, in den Himmel gefeuert. Auch wenn man im Kreml nicht wirklich besorgt über dieses, eher an ein Silvesterfeuerwerk, denn als Zeichen militärischer Stärke erinnernde Geplänkel war, so versetzte man seine Schwarzmeerflotte doch lieber präventiv in Bereitschaft. Der ukrainische Staatschef ist trotzdem stolz wie Bolle auf seine Truppe.
Poroschenkos Raketen
„Die ukrainische Luftgrenze ist unangreifbar!“, stolzierte auch der Generalstabschef der ukrainischen Streitkräfte, Viktor Muschenko, wie ein eitler Pfau nach der Übung wieder an seinen Schreibtisch zurück. Dass diese demoralisierte Truppe allerdings schon längst in nicht geringer Zahl zu den Russen übergelaufen ist, scheinen Muschenko und Pjotr Poroschenko gar nicht weiter zu beschäftigen. Da nährt man dann doch lieber von den inoffiziellen Aktivitäten des Geheimdienstes, wie erst vor Kurzem wieder auf der Krim zu sehen, als angeblich zwei russische Soldaten gekidnappt worden sein sollen. Überhaupt die Krim. Noch hat man in Kiew augenscheinlich den Traum von einer Rückholung der Halbinsel im Schwarzen Meer nicht aufgegeben.
Auch wenn es Jahre oder gar Jahrzehnte in Anspruch nehmen sollte, prophezeit Andrij Melnyk, der ukrainische Botschafter in Deutschland, werde die Krim wieder unter ukrainische Kontrolle kommen. Die Triebfeder sehe er in den Unruhen des Maidan seinerzeit. Melnyk ist sich sicher, dass die meisten Menschen den Maidan nicht bereuen. „Denn die Freiheit und Selbstwürde hat man wiedergewonnen und die Krim wird, vielleicht nicht morgen oder übermorgen, wieder zur Ukraine gehören“, sagt er und meint, man hätte genügend Geduld, indem man auch die Erfahrungen Deutschlands vor Augen habe. „Die Wiedervereinigung hat auch lange gedauert, immerhin ist Deutschland heute ein vereintes Land“, schwärmt der Botschafter und es scheint als verliere er den Blick auf die politische Bühne damals und heute aus den Augen.
Kriegsgeheul im Osten
Auch die Situation im Donbas sieht Andrij Melnyk als positives Resultat des Maidan in seiner Bilanz. Auf der nächsten großen Baustelle Kiews, dem Donbas, hätte der „russische Krieg“, wie er es betont, die Menschen auf eine weitere Bewährungsprobe gestellt. Schon sehr viel deutlicher wurde der ukrainische Innenminister Arsen Awakow. Er wolle die Konfliktregion Donbass im Laufe von zwei Jahren wieder zurückholen. Dem Militärrat der Nationalgarde erklärte er: „Ich bin davon überzeugt, dass wir in den nächsten zwei Jahren den Donbass deokkupieren werden. Größte Rolle wird dabei der Nationalgarde zukommen. Alles was wir jetzt tun, ist auf die Vorbereitung dieses Prozesses gerichtet.“ Der Druck der internationalen Gemeinschaft auf Russland solle dabei natürlich nicht nachlassen, lanciert Awakow.
Wenn es hingegen nach dem ukrainischen „Offizierskorps“ ginge, wäre jetzt auch schon genug geredet. Taten sollen auf den Tisch und schon brütet man in Feldherren-Manier über der Taktik, dem geschassten Feind endlich den Garaus zu machen. „Eine militärische Lösung des Donbass-Problems ist durchaus möglich. Man kann bis Nowoasowsk oder gar bis Rostow am Don gelangen“, schmetterte Wladimir Ruban, der Chef des „Offizierskorps“, auch wenn sich Andrej Bilezki, der Kommandeur des Bataillons „Asow“, eher verhalten zeigt, weil die Streitkräfte des Landes im Donbass sehr schnell durch die russische Armee zerschlagen werden könne.
Ruban indes schmiedet bereits Pläne, wie man mit den Einwohnern der Region verfahre, wenn der Donbass wieder unter Kontrolle der Regierung in Kiew wäre. „Nehmen wir an, dass wir an der Grenze angekommen sind, Satellitenkörper aufgehängt, Wehrbauten eingerichtet haben. Was soll man mit den Menschen tun? Mit denjenigen, die zurückgeblieben sind. Sie fürchten, verfolgt zu werden. Sie befinden sich in einer aussichtslosen Situation“, schwelgt er in seinen Träumen. Vergessen scheint der eisige Wind der dort im Donbass pfeift. Noch – das Barometer zeigt auf Kälte und die ist nicht geträumt. Der bevorstehende Winter wird frostig für die Ukraine. Da hilft dann Wünschen auch nicht mehr.
[Michael Barth/russland.RU]
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