[Von Kai Ehlers] Ja, eigentlich ist alles so gekommen, wie es kommen musste: Die vorgezogene Wahl hat am 25. Mai stattgefunden, während im Gebiet Lugansk und Donezk weiter geschossen wurde. Oligarch Petro Poroschenko wurde mit 54,70% der Stimmen zum Präsidenten ausgerufen. Oligarchin Julia Timoschenko folgte mit 12,82, %, der rechte Populist Oleg Ljaschko mit 8,33%, am Ende dieser Leiter stehen die offenen Rechten Oleg Tiagnibok mit abgeschlagenen 1,16% und Dmitri Jarosch mit 0,70%. Im Gebiet von Lugans und Donezk wurde praktisch nicht gewählt.
Alles geht so weiter, wie gehabt: Poroschenko übernimmt die bisherige Regierung, von Arsenij Jazenjuk einschließlich der Rechten von der Partei „Swoboda“ sowie der „parteilosen“ rechten Radikalen in den diversen Sicherheitsapparaten. Er erklärt, noch nicht vereidigt, den „Separatisten“ im Osten und Süden des Landes den Krieg, genauer, die Intensivierung des Krieges, den er kurz und bündig mit Niederschlagung der „Terroristen“ beenden will.
Gleich am Tag nach der Wahl gingen ukrainische Truppen gegen die Donezker Republik vor. Poroschenko bittet die Amerikaner um Beistand. Im Übrigen will er als Erstes mit Wladimir Putin sprechen, weil es unumgänglich sei, dass Putin – so die Mitteilung Poroschenkos an die Medien, die „pro-russischen Separatisten“ zum Aufgeben bewege.
Gehen wir also einem Ende der ukrainischen Unruhen entgegen? Sehr unwahrscheinlich. Es gibt da einige Aspekte, die einer Stabilisierung, wie Poroschenko sie sich wünscht, entgegenstehen. Der Reihe nach:
Mangelnde Legitimität
Die mangelnde Legitimität der Regierung wird durch die Wahl in einem kriegführenden Land nicht eben legitimer. Zwar kann sich Poroschenko 54% zugute zählen lassen, aber wie kommen diese 54% zustande in einem Land, in dem große Teile des Landes nicht unter Kontrolle der Wahlbehörden stehen, die Menschen dort die Wahl verweigern? Wie kann man von freien Wahlen sprechen, wenn der Hauptkandidat Eigentümer der wichtigsten TV-Station ist, während die „anti-madain“-Opposition über keine Medienkanäle mehr verfügt, bzw. die Kanäle, die sie noch hat, als „russische Propaganda“ diskreditiert sind? Wenn Wahlveranstaltungen oppositioneller „anti-maidaner“ von nationalistischen Gruppen aufgemischt wurden?
Diese Wahl ist von ihren Voraussetzungen her so falsch, dass es schon gar keinen Sinn mehr macht, überhaupt von Fälschungen sprechen zu wollen. Man muss sie einfach als das akzeptieren, was sie ist – ein nicht kontrollierbares Bestätigungsritual für Poroschenko, genauer, ein Feigenblatt für die bisher nicht legitimierte Übergangsregierung, einschließlich ihrer rechten Ausleger, die der neue Präsident offenbar in Bausch und Bogen zu übernehmen gedenkt.
Hecht unter Hechten
Die Natur des neuen Präsidenten als Oligarch wird auch dadurch nicht aufgehoben, dass er angekündigt hat, er wolle mit den oligarchischen Strukturen aufräumen, indem er ihr Wirken den Gesetzen unterwerfe. Das klingt entschlossen, ähnlich wie 1999/2000 Wladimir Putins Ankündigung, die Willkür des russischen Oligarchenkrieges durch die Einführung einer „Diktatur des Gesetzes“ beenden zu wollen, was er auch tatsächlich schaffte.[i]
Im Unterschied zum damaligen Putin, der für die mächtigen russischen Oligarchen ein „Mr. Nobody“ war, ein kleiner ehemaliger KGB-Agent, vor dem sich keiner von ihnen glaubte fürchten zu müssen, ist Oligarch Poroschenko in der Ukraine heute Hecht unter Hechten. Und im Gegensatz zum damaligen Russland befreit die Ukraine sich heute nicht aus der Schuldenfalle des IWF, sondern ist dabei in sie hinein zu tappen.
Poroschenkos Vorgehen gegen andere Oligarchen kann den in der Ukraine schon traditionellen Krieg der Oligarchen untereinander nur auf eine neue Eskalationsstufe bringen. Alles andere wäre ein Wunder, wenn man bedenkt, dass schon die gegenwärtigen Kämpfe in der Ukraine keineswegs nur von „Separatisten“ und „pro-russischen Terroristen“ geführt werden, sondern schon jetzt halbkriminelle Strukturen von Oligarchenclans in Platzkämpfe miteinander verstrickt sind.
Vorprogrammierte soziale Unruhen
Schließlich, aber nicht zuletzt wird die Bevölkerung – und dies nicht nur im Osten und im Süden des Landes – sich bei der von Poroschenko angekündigten Politik der Westorientierung und den von ihr geforderten wirtschaftlichen Reformen sehr bald daran erinnern, worum es bei den Protesten auf dem Maidan im Kern eigentlich ging – nämlich um die Forderung nach einem Ende der oligarchischen Willkür, die die Basis und Ursache der korrupten Janukowytsch-Regierung war. Da wird es Poroschenko auch nicht helfen, wenn er jetzt – solange er noch im Aufwind des Kiewer Nationalismus schwebt – die sozialen Unruhen im Osten, die Forderungen nach betrieblicher und regionaler Selbstverwaltung mit Hilfe der Rechten als „separatistischen Terror“ niederschießen lässt.
Die für die Bevölkerung drückenden Folgen einer Unterordnung des Landes unter die Reformbedingungen von EU, IWF, Weltbank und Co werden nicht auf sich warten lassen. Sie sind mit eiserner Notwendigkeit vorprogrammiert – in den Mittelschichten von Kiew anders als im agrarischen Westen und im industriellen Osten. Aber mit der gleichen Notwendigkeit wird das Land eine allgemeine Ausweitung der bisher noch lokalen Unruhen erleben. Das ist noch einmal die Stunde von Tjagnibog, Jarosch und Co. Aber das wird auch die Stunde der Wahrheit, wenn es der Regierung und ihren ausländischen Helfern nicht mehr gelingt, die sozialen Kämpfe auf nationalistische Kanäle abzulenken.
Kai Ehlers
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