Telegram-Gründer Pawel Durow im Interview mit Tucker Carlson

Telegram-Gründer Pawel Durow im Interview mit Tucker Carlson

Der russische Unternehmer und Gründer des Messengers Telegram, Pawel Durow, oft als „russischer Mark Zuckerberg“ bezeichnet, hat dem konservativen amerikanischen TV-Moderator und Journalisten Tucker Carlson ein Interview gegeben. Telegram wird vor allem in Russland als Medium für politische Kommunikation genutzt. Alle oppositionellen russischen sowie kremltreuen Medien haben Telegram-Kanäle.

Durow gibt fast nie Interviews, daher stieß sein Gespräch mit Carlson, der selbst durch sein Interview mit Putin im März dieses Jahres weltberühmt wurde, auf großes Interesse bei den russischen Telegram-Nutzern. Das Interview wurde in Dubai aufgenommen, wo der Gründer von Telegram lebt.

Vor der Ausstrahlung des Interviews schrieb Durow auf seinem Telegram-Kanal: „Als Leiter einer politisch neutralen Plattform betrachte ich es als meine Pflicht, mit Journalisten zu sprechen, die unterschiedliche politische Ansichten vertreten. Im Februar habe ich einem liberalen Journalisten ein dreistündiges Interview gegeben. Am selben Tag sprach ich mit Tucker Carlson, der für seinen Konservatismus bekannt ist. Auf diese Weise kann ich meinem gesamten Publikum gegenüber fair bleiben und allen die Geschichte von Telegram erzählen“.

Durow erzählte unter anderem, wie es zur Gründung des Messengers kam: „Die Idee zu Telegram entstand, als wir noch in Russland (Durow gründete zuvor den in Russland sehr populären Messenger VKontakte – Red.) und zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer sehr stressigen Situation waren, als jederzeit bewaffnete Polizisten in mein Haus eindringen konnten, weil ich mich geweigert hatte, diese oppositionellen Gruppen zu zerstören. Und mir wurde klar, dass es keine sicheren Kommunikationsmittel gab.“

Er habe versucht, Telegram in Berlin, London und Singapur zu entwickeln, die Idee aber wegen überbordender Bürokratie aufgegeben, so Durow weiter. So hätte er in Deutschland nur dann Mitarbeiter aus Nicht-EU-Ländern einstellen können, wenn er innerhalb von sechs Monaten keinen geeigneten Kandidaten aus der EU gefunden hätte.

Als nächster potenzieller Standort für das Unternehmen kam San Francisco in Frage, doch die USA wurden zum einzigen Land der Welt, in dem Durow überfallen wurde. Nach einem Treffen mit Twitter-Gründer Jack Dorsey versuchten drei Unbekannte, ihm das Telefon wegzunehmen, doch Durow konnte sich wehren und entkommen. Dieser Vorfall habe ihn schockiert.
Ein weiterer Grund, warum Pawel Durow sein Geschäft nicht in den USA aufbaute, war die „übermäßige Aufmerksamkeit“ der amerikanischen Geheimdienste. Jedes Mal, wenn er in die USA geflogen sei, hätten ihn FBI-Agenten am Flughafen angesprochen und „Fragen gestellt“, so der Telegram-Gründer, und bei seiner letzten Reise hätten Mitarbeiter oder Agenten der Cybersicherheit versucht, einen Ingenieur, der ihn begleitet hatte, heimlich zu abzuwerben.

Nach dem Sturm auf das Kapitol habe Telegram zwei Briefe erhalten – zuerst von einem demokratischen und zwei Wochen später von einem republikanischen Kongressabgeordneten. Der erste Brief forderte die Herausgabe aller Daten über die Unruhen vom 6. Januar, der zweite genau das Gegenteil. Die Verfasser beider Briefe drohten, dass eine Nichterfüllung ihrer Forderungen gegen die Verfassung der Vereinigten Staaten verstoßen würde. Beide Briefe blieben unbeantwortet.
Schließlich entschied sich Durow für die Vereinigten Arabischen Emirate wegen der „einfachen Geschäftsführung im Land und der politischen Neutralität“.

Die Behauptungen, dass Telegram unter russischer Kontrolle stehe, würden von Menschen verbreitet, die „sehr begrenzte Vorstellungen“ über die Herkunft des Messengers hätten: „Vielleicht werden sie von unseren Konkurrenten ermutigt, die darin einen einfachen Weg sehen, uns zu diskreditieren, denn wie Sie sehen, verbreitet sich Telegram wie ein Lauffeuer“, so Durow.

Durow beschreibt sich selbst als einen Mann, der seinen Reichtum (er besitzt keine Immobilien oder andere teure Vermögenswerte) der Freiheit zuliebe aufgegeben hat.Telegram sei immer noch zu hundert Prozent in seinem Besitz, habe immer noch keine Marktbewertung, weil er keine Risikokapitalfinanzierung anziehen und jemanden einsteigen lassen will, mit dem man dann rechnen müsse.

Pawel Durow verließ Russland bereits 2014, nachdem er auf Druck des Kremls seine Anteile an VKontakte verkauft hatte. In den vergangenen Jahren wurde er regelmäßig in der Liste der reichsten Menschen Russlands geführt. Im Juni 2021 schätzte die Zeitschrift Forbes sein Vermögen auf über 17 Milliarden Dollar. Im April 2022 bat er Forbes, ihn nicht mehr in die Liste der russischen Milliardäre aufzunehmen.
Nach dem Interview tauchten in den russischen sozialen Netzwerken diverse Vermutungen auf, warum Durow, der seit sieben Jahren kein Interview mehr gegeben hatte, von der Regel abgewichen ist, nur über sein soziales Netzwerk mit der Welt zu kommunizieren. Manche bezeichnen das Interview als Werbespot, obwohl Durow stets betont, er gäbe für Werbung kein Geld aus, gleichzeitig aber von Werbeeinnahmen abhängig ist, die die Plattform nach wie vor hauptsächlich auf dem russischen Markt erzielt.

„Öffentliche Auftritte sind eine gute Gelegenheit, vier Jahre nach dem Scheitern des ICO und vor der möglichen Vorbereitung auf den Börsengang, an sich selbst im Westen zu erinnern, wo Telegram nicht zu den ersten Plattformen gehört. In den USA hat es laut Sensor Tower 116 Millionen Downloads und nur 7 Millionen monatlich aktive Nutzer“, schreibt das russische Wirtschaftsportal Die Glocke. Und fragt, ob Durow Geld in Form von neuen Anleihen braucht? Das Unternehmen müsse die mehr als 2 Milliarden Dollar Schulden, die es in den letzten drei Jahren angehäuft habe, zurückzahlen. Im März hieß es in der Financial Times, Telegram ziehe eine Finanzierung durch einen Börsengang in Betracht.

Dem Telegram-Gründer, der ausführlich darüber redet, wie er die Versuche der Behörden aller Großmächte ignoriert, die Meinungsfreiheit auf seiner „neutralen“ Plattform einzuschränken, wird vorgehalten, manchmal trotzdem deren Forderungen zu erfüllen. In Russland blockierte Telegram beispielsweise während der Dumawahlen im September 2021 den Smart Voting-Bot, und in der EU schränkte es Kanäle von Russia Today ein.

Das Journalismus-Portal Republic interessiert sich für Telegrams Kollusion mit den russischen Behörden. Telegram sei in Russland nicht nur nicht mehr blockiert, es floriere wie nie zuvor. Seit dem Februar 2022 ist die russische Nutzerschaft der Plattform um 30 Prozent auf 85 Millionen gewachsen, sie wird von fast allen Putin-Beamten genutzt und repräsentiert alle russischsprachigen Medien und Blogger ganz unterschiedlicher politischer Koordinaten.

Warum funktioniert Telegram in Russland so gut, wenn man bedenkt, dass der Kreml Facebook, Twitter und sogar Instagram blockiert hat, beantwortet Republic: „Weil der Kreml Durows Interpretation des Begriffs ‚Freiheit‘ teilt, der die Abwesenheit jeglicher ethischer Einschränkungen voraussetzt. Die russischen Behörden wissen, dass sie sich in diesem Vakuum der Mäßigung in einer vorteilhaften Position befinden – auch wenn Telegram liberalen und oppositionellen Stimmen Gehör verschafft, hindert es den Kreml nicht daran, auf Kosten unvergleichlich größerer Ressourcen viel lauter zu tönen.“
Auch Durows Loblied auf die Vereinigten Arabischen Emiraten als „der beste Ort für eine neutrale Plattform wie unsere“, blieb nicht unkommentiert: Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Diktatur am Persischen Golf nicht wegen ihres freiheitsliebenden Charakters so angesehen ist, sondern wegen ihrer Förderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.

Nachdem China letzte Woche Apple überzeugen konnte, Apps wie Telegram aus dem chinesischen App Store zu entfernen, sagte Durow: „Wir haben keinen Rückgang der Downloads aus China festgestellt. Und ich glaube nicht, dass Telegram das Hauptziel dieser Änderung war. Es war ein Schritt gegen Apple selbst.“

[hrsg/russland.NEWS]

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