Telegram-Chef Pawel Durow:  TikTok-Saga in den USA ist „verständlich“ aber „bedauerlich“

Telegram-Chef Pawel Durow: TikTok-Saga in den USA ist „verständlich“ aber „bedauerlich“

Der Eigentümer von TikTok, das chinesische Unternehmen ByteDance, hat eine Klage gegen die Administration von Donald Trump eingereicht, der die Videoanwendung TikTok in den USA verbieten will. Es sei denn, ByteDance verkauft TikTok  an ein US-Unternehmen, zum Beispiel an Microsoft oder neuerdings Oracle. Der Zeitung The Hill zufolge wurde inzwischen eine zweite Klage gegen die US-Regierung eingereicht.

Anfang August hatte der US-Präsident ein Dekret unterzeichnet, in dem er eine 45-Tagesfrist setzte, um Verträge mit Unternehmen zu kündigen, die TikTok- und WeChat-Anwendungen in den USA besitzen. Ihm zufolge bedrohen diese Anwendungen die Sicherheit, Außenpolitik und Wirtschaft der USA.

Zu diesem Vorgang, der Russland nicht primär tangiert, äußerte sich der russische IT-Unternehmer Pawel Durow, der sich mit staatlichen Eingriffen auskennt. Im Jahr 2006, zur Zeit des ersten Booms der sozialen Netzwerke, gründete Durow gemeinsam mit seinem Bruder Nikolaj die Plattform VKontakte, die schnell die Gunst der russischsprachigen Nutzer erhielt. Bei den sogenannten Bolotnaja-Protesten 2011/12 spielten die sozialen Netzwerke eine zentrale Rolle, darunter auch VKontakte. Dasselbe galt ein Jahr später für die ukrainische Maidan-Revolution 2014 und den Sturz des kremlnahen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch.

Durow lehnte die Forderungen des FSB ab, persönliche Daten von Teilnehmern der russischen und ukrainischen Proteste preiszugeben. Das in der russischen Verfassung verbürgte Recht auf Schutz der Privatsphäre stehe über den Sicherheitsinteressen des Staats. Durow geriet zunehmend unter Druck, zumal gegen ihn auch in einem mutmaßlichen Verkehrsdelikt strafrechtlich ermittelt wurde. Im Frühjahr 2014 verkaufte Durow seinen Aktienanteil, trat von seinem Chefposten bei VKontakte zurück und verließ Russland.

Vor einigen Jahren erhielt sein neues Projekt, der Messenger Telegram, Briefe mit etwa folgendem Inhalt: „Telegram wird in unserem Land bald blockiert werden, also bleibt Ihnen nur die Möglichkeit, uns den lokalen Teil Ihres Geschäfts zu verkaufen“. Die Absender zurückgewiesenen Briefe versuchten später Telegram zu blockieren. Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor hatte im April 2018 versucht, den Messenger zu blockieren, mit mäßigem Erfolg und hohen Kollateralschäden

Durow ist stolz darauf, dass Telegram derlei Angebote stets abgelehnt hat. „Wir sind nicht im Geschäft, um unsere Nutzer zu verraten. Wir verkaufen Telegram nicht – weder teilweise noch vollständig. Dies wird immer unsere Position sein.“ Ähnlich könnten die Eigentümer von ByteDance denken, aber denen gilt nicht das Mitleid von Durow. Er hat Verständnis für

Donald Trump, der droht, TikTok zu verbieten, wenn seine US-Vermögenswerte nicht an US-Investoren verkauft werden. „Schließlich verbietet China so ziemlich jede nicht-chinesische Social-Media-Anwendung auf seinem Territorium. Warum sollte der Rest der Welt, einschließlich der USA, einer chinesischen App auf ihren Märkten freien Lauf lassen? Wenn Sie auf die Märkte anderer Länder zugreifen möchten, sollten Sie auch Ihren Markt für diese öffnen – das wäre fair“, positioniert sich Durow.

Durow ist aber nicht nur ein cleverer Unternehmer, sondern stets auch ein besorgter Politiker. Trotz Verständnis für Trump hält er das Vorgehen der USA gegen TikTok für einen gefährlichen Präzedenzfall, der „das Internet als wahrhaft globales Netzwerk (oder das, was davon übriggeblieben ist) letztlich zerstören könnte“. Vor der „US-TikTok-Saga“ drängten nur autokratische Länder wie der Iran, China oder Russland Technologieunternehmen dazu, Teile ihrer Unternehmen an regierungsnahe Investoren zu verkaufen.

Nun hätten die USA, die Verteidiger des Freihandels und der freien Meinungsäußerung, diese Erpressungstaktik autoritärer Regime legitimiert und damit das moralische Recht verloren, solche Praktiken zu kritisieren. Der Fall TikTok werde bereits weltweit von Autokraten als Rechtfertigung für ihre Versuche benutzt, sich ein Stück des globalen Internets herauszuschneiden. Bald wird wahrscheinlich jedes große Land die „nationale Sicherheit“ als Vorwand benutzen, um internationale Technologieunternehmen zu zerschlagen.

Durow ist weitsichtig genug zu erkennen, dass es wahrscheinlich US-Unternehmen wie Facebook oder Google sind, die am meisten unter den Folgen des Falls leiden werden, wie er ironisch anmerkt. Dennoch sei das alles bedauerlich, denn „Milliarden von Menschen auf diesem Planeten mögen immer noch die Idee einer offenen und vernetzten Welt.“

Dass Durow selbst dafür einsteht, hat er bei den Wahlen in Belarus bewiesen. Sein Messenger Telegram unterlief die Anti-Berichtserstattungs-Orgie der Regierung Lukaschenko und gab den Unzufriedenen im Land eine dezentrale Stimme. Ob das eine Sternstunde der Demokratie und nobelpreisverdächtig ist oder der Terrorismusförderung und ausländischen Einmischung dient, wird die Zukunft des machtsklerotischen, stoffwechselgestörten oder unterzuckerten

Systems in Minsk zeigen. Um die ehrgeizigen Pläne von Lukaschenko, das Land in ein „Silicon Valley“ zu verwandeln, sieht es schlecht aus. Was von der IT-Branche in Belarus übrig bleibt, wenn der Präsident an der Macht bleibt, werde sehr bald klar.

Der Internetriese Yandex wartete nicht auf die Fortsetzung der Geschichte mit den Durchsuchungen in seiner belarussischen Niederlassung mit 300 Mitarbeitern und ergriff Maßnahmen zur Evakuierung seiner Mitarbeiter nach Russland oder die belarussische Provinz, schrieb The Bell. Bewaffnete in Schwarz waren am 13. August in die Büros der Firma gekommen und hatten sich als Beamte der Abteilung für innere Angelegenheiten zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vorgestellt. Woran genau die Sicherheitsbeamten interessiert waren, ist offiziell noch nicht bekannt, aber sie wollten wohl mit Hilfe der Durchsuchungen Daten über die Fahrten des Taxidienstes erhalten. „Das haben sie nicht geschafft“, so Yandex. „Alle Daten sind in Russland.“

Am Tag vor den Durchsuchungen bei Yandex unterzeichneten belarussische IT-Unternehmen einen offenen Brief, in dem sie forderten, dass die Behörden die Gewalt beenden, die Inhaftierten freilassen und neue Präsidentschaftswahlen abhalten sollten. „Startups werden nicht in einer Atmosphäre von Angst und Gewalt geboren. Startups werden in einer Atmosphäre der Freiheit und Offenheit geboren“, heißt es in dem Brief.

[hrsg/russland.NEWS]

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