Snowden: Wir erleben nicht die gleiche Empörung, wenn solche Dinge in anderen Ländern passieren

Snowden: Wir erleben nicht die gleiche Empörung, wenn solche Dinge in anderen Ländern passieren

In der deutschen Wochenzeitschrift DIE ZEIT erschien in der jüngsten Ausgabe ein ausführliches Interview mit dem Whistleblower Edward Snowden, der seit Jahren im Moskauer Exil lebt. Obwohl auf die Gastfreundschaft Russlands angewiesen fordert er, dass die Hintermänner des Anschlags auf Alexei Nawalny vor Gericht gestellt werden.

Für Snowden ist der Umstand, dass Nawalny der bekannteste Vertreter der russischen Opposition ist, „besonders erschreckend“. Das sei „ein Verbrechen gegen ganz Russland“, wenn er denn tatsächlich vergiftet wurde. Es müsse „Ermittlungen geben, und alle, die damit zu tun haben, gehören ins Gefängnis“.

Wie jedes Mal, wenn er sich für Nawalny einsetzt, wird Snowden dafür in Russland kritisiert. Das sei ein »Ultranationalist« und laut Umfragen kennen ihn nur zwei Prozent. Für Snowden sei aber „nicht entscheidend, wer die meiste Unterstützung in Umfragen erzielt, schon gar nicht, wenn derjenige nicht an Wahlen teilnehmen darf“, sondern „ob er eine Plattform und ein Netzwerk von Leuten hat, die ihm zuhören“, also wie bekannt jemand ist. Und „in dieser Hinsicht ist Nawalny einzigartig aufgestellt“. Er halte es für eine „Schande, wie leichtfertig Regierungen heutzutage die politische Opposition als extremistisch diskreditieren – und Russland steht dabei an der Spitze“.

Gefragt, ob er sich nicht merkwürdig fühle in einem Land zu leben, in dem vermutlich russische Geheimdienstagenten offensichtlich derart brutale Geheimoperationen durchführen, kehrt Snowden zur Äquidistanz zurück: „Die traurige Wahrheit ist, dass sogar in den Vereinigten Staaten regelmäßig gezielte Tötungen stattfinden. Nur die Mittel sind andere.“ Ihm sei es aber „egal, ob man tatsächlich anfängt, seine Gegner zu vergiften, oder nur ein Umfeld schafft, in dem geglaubt wird, dass es gerechtfertigt ist, jemanden zu vergiften“. Die Schaffung eines solchen Umfelds passiere nicht aus Versehen. „Sie ist Teil einer gezielten politischen Strategie, die wir bekämpfen müssen. Ich finde es sehr traurig, mitansehen zu müssen, dass es tatsächlich Leute gibt, die Beifall klatschen, solange sich die Gewalt gegen Menschen richtet, die sie nicht mögen“, so Snowden. In den USA nehme der „Einsatz von politischer Gewalt zu und es werden Leute erschossen, deren Meinungen einem nicht passen“.

Dennoch verurteile der Westen stets was in Russland geschieht. „Aber wir erleben nicht das gleiche Maß an Empörung, wenn solche Dinge in anderen Ländern passieren. Ja, diese Verbrechen müssen in Russland verurteilt werden. Und ja, das muss aufhören – aber es muss überall aufhören.“

Als Edward Snowden im Mai 2013 mit einem Rucksack voller hochgeheimer Dokumente seinen Arbeitsplatz bei dem Auslandsgeheimdienst NSA in Hawaii verließ, um sich in Hongkong mit Journalisten zu treffen, war er 29 Jahre alt. Snowden übergab ihnen Tausende von brisanten Unterlagen, die enthüllten, wie umfassend und skrupellos die US-Geheimdienste Menschen rund um die Welt überwachen. Im Rahmen der NSA-Affäre wurde Snowden in den USA zum Staatsfeind Nummer 1. Er konnte nach Moskau flüchten, wo ihm der russische Präsident Wladimir Putin Asyl gewährte.

Das Interview mit Snowden führte Holger Stark, der ihn aus der Arbeit mit dessen NSA-Material kennt und ein Buch ihn geschrieben hat. Snowdens Autobiografie Permanent Record erscheint diese Woche in Deutschland.

[hrsg/russland.NEWS]

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