Sieben Jahre Haft für ein Telefongespräch: Russische Justiz geht immer härter gegen Andersdenkende vor© russland.news

Sieben Jahre Haft für ein Telefongespräch: Russische Justiz geht immer härter gegen Andersdenkende vor

[von Daria Boll-Palievskaya] Seit Februar letzten Jahres verschärft Russland seine Gesetzgebung. Die Duma produziert  am laufenden Band ein peinliches Gesetz nach dem anderen, wie zum Beispiel das Gesetz über Diskreditierung der russischen Streitkräfte, das so genannte „Fake News“-Gesetz, das jetzt auch für die „Freiwilligenformationen“, also auch für die Wagner-Gruppe gelten.

Der Staat wendet konsequent das an, was die Politikwissenschaftlerin Ekaterina Schulmann als „gezielte“ Repression bezeichnet. „Gezielte Repressionen sollen ein bestimmtes Verhalten unterbinden und Menschen einschüchtern. Das heißt, derjenige, der handelt, soll eliminiert werden, und andere sollen verstehen, welche Art von Handlungen bestraft werden.“

Jeden Tag gibt es Berichte über Menschen aus Russland, die zu Geld- oder Gefängnisstrafen verurteilt werden, weil sie in irgendeiner Form mit der Kreml-Politik nicht einverstanden sind. Manche Geschichten, wie die Verurteilung des Oppositionellen Wladimir Kara-Mursa zu 25 Jahren Haft wegen Hochverrats, sind in aller Munde. Aber es gibt auch die so genannten „kleinen Geschichten“, die ebenso erschreckend sind und zeigen, was es heißt, im modernen Russland zu leben.

Ich habe ein paar Fälle zusammengestellt.

Die Moskauer Konditorin Anastasia Tschernischewa wurde wegen „Diskreditierung“ der russischen Streitkräfte angeklagt, weil sie … Kuchen gebacken hat! Tschernischewa backt Torten mit Anti-Kriegsslogans und spendet einen Teil des Verkaufserlöses für wohltätige Zwecke und spricht sich in den sozialen Medien offen gegen den Krieg aus. Auf einen ihrer Kuchen schrieb sie „Nein zum Krieg!“.

Der ehemalige Polizeibeamte Sergei Wedel wurde wegen Fälschungen über die russische Armee zu sieben Jahren Haft verurteilt. Er „verbreitete“ diese „Fälschungen“ … in privaten Telefongesprächen! Wedel äußerte sich am Telefon kritisch über die Aktionen der russischen Streitkräfte. Das Beweisstück war eine Abschrift dieser Gespräche. Obwohl sein Anwalt sagte, er halte es für unzulässig, dass die Staatsanwaltschaft die privaten Gespräche als öffentliche Erklärung vorlegte. Das Gericht befand den Ex-Polizisten jedoch für schuldig und stufte die Gespräche als öffentlich ein, da sie von einem Ermittler mitgehört worden waren, der beim Abhören der Gespräche des Angeklagten „moralisches Leid“ empfunden hatte.

Die Regisseurin Schenja Berkowitsch und die Dramatikerin Swetlana Petritschuk wurden in Moskau festgenommen und vom Ermittlungsausschuss wegen des Verdachts der Rechtfertigung des Terrorismus verhört. Anlass für das Strafverfahren war ein Theaterstück über russische Frauen, die vom Islamischen Staat rekrutiert wurden und nach Syrien gingen.  Berkowitsch ist als Feministin bekannt. Sie schreibt auch Gedichte, die sich auf dem russischsprachigen Facebook großer Beliebtheit erfreuen, darunter Antikriegs- und antimilitaristische Gedichte.

Berkowitsch hat sich seit dem 24. Februar 2022 konsequent gegen die russische Invasion in der Ukraine gewehrt.

Am 24. Februar dieses Jahres – dem Jahrestag des Beginns der umfassenden russischen Invasion in der Ukraine – brachten mehrere St. Petersburger Bürger Blumen zum Denkmal des ukrainischen Dichters Taras Schewtschenko. Die Tradition, Blumen zu Denkmälern zu bringen, die in irgendeiner Weise mit der Ukraine in Verbindung stehen, begann nach dem Raketenangriff der russischen Armee auf einen Wohnblock in Dnipro. Die Petersburger wurden zu einer Geldstrafe verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen, gegen die Coronavirus-Einschränkungen verstoßen zu haben. Einer der Aktivisten sagte, der Richter habe ihn gefragt, ob er die Werke von Taras Schewtschenko auf Russisch oder Ukrainisch lese. Daraufhin wurde er zu einer Geldstrafe von viertausend Rubel verurteilt.

Das Gericht der Stadt Sewersk in der Region Tomsk hat gegen die 65-jährige Menschenrechtsaktivistin Marina Nowikowa wegen „Fälschungen“ über die russische Armee eine Geldstrafe von einer Million Rubel verhängt. Der Grund war, dass die Rentnerin in ihrem Telegram-Kanal „unzuverlässige Informationen über den Beschuss ukrainischer Städte“ veröffentlicht hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kanal nicht einmal 200 Abonnenten. In ihrem letzten Wort bat Nowikowa das Gericht, die Geldstrafe durch Verhaftung zu ersetzen, da sie nicht in der Lage sei, so viel Geld zu zahlen.

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