Sergei Schoigu als „nächster“ Putin?

Sergei Schoigu als „nächster“ Putin?

Dank der in diesem Sommer veränderten Verfassung kann Wladimir Putin bis 2036 Präsident Russlands bleiben. Doch will er dies tatsächlich? Oder sucht er schon für sich einen Nachfolger? Der russische Journalist Konstantin Eggert versucht in einem Artikel für das Diskussionsforum Baltic Rim Economies (BRE) der University of Turku (Finnland) dieser Frage nachzugehen.

Laut einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum sind 64 der Russen für Putin. Jedoch sind diese Werte nicht mit der allgemeinen Bewunderung zu vergleichen, die Putin 2014 nach der Einverleibung von der Krim genoss. „Er hat die Sicherheitskräfte, die meisten Medien und die riesige Bürokratie fest im Griff. Seit der Inhaftierung von Alexei Nawalny im Januar dieses Jahres hat Putin praktisch jede politische Opposition ausgeschaltet. Die internationale Isolation des russischen Regimes seit 2014 war bedeutend, aber der Kreml hat sich mehr oder weniger daran angepasst“, schreibt Eggert.
Doch der Präsident hat auch große Probleme. „Vor dem Hintergrund allmählich, aber stetig sinkender Einkommen verlieren seine Großmachtrhetorik und seine antiwestliche Haltung – einst Putins größtes Kapital in den Augen der Öffentlichkeit – schnell an Attraktivität“.

Eine Umfrage des Lewada-Zentrums im September zeigte, dass zwei Drittel der Russen der These zustimmen, dass „Russland ein Land mit hohem Lebensstandard sein sollte, ohne führende Weltmacht dabei zu sein“. Gleichzeitig nimmt die positive Einstellung gegenüber dem Westen zu vor dem Hintergrund wachsender Abneigung gegenüber dem Hauptverbündeten des russischen Regimes – China. Dies deckt sich mit einem weiteren Indikator: Die Hälfte der Bevölkerung unterstützt ein staatlich kontrolliertes, zentral geplantes Wirtschaftssystem nach sowjetischem Vorbild. Das mag paradox erscheinen, ist es aber nicht: Riesige Einkommensunterschiede und soziale Ungleichheit wecken den Wunsch der Menschen nach einem System, das den Reichtum umverteilt. Soziale und wirtschaftliche Verwerfungen der Covid-19-Pandemie trugen zu diesem Trend bei. Aggressive Rhetorik und konfrontative Außenpolitik sind nicht mehr so ​​beliebt wie früher.  Unter solchen Umständen ist es schwer vorstellbar, wie Putin eine Entscheidung für eine „Wiederwahl“ rechtfertigen wird – eine de facto Wiederernennung – zum Präsidenten im Jahr 2024, wenn seine jetzige Amtszeit ausläuft.“

Eggert bezeichnet Putin als „risikoscheu“, weil er nicht bereit sei, sich „einer öffentlichen Diskussion zu stellen, die er nicht besänftigen oder ändern kann“. Deswegen suche er einen möglichen Nachfolger, der ihn entlastet. Oder zumindest möchte er, dass die Russen und die Welt glauben, dass er es tut. Sergej Schoigu, 66, sei dieser Kandidat. In den letzten Monaten hatte der Verteidigungsminister eine Reihe von „sorgfältig orchestrierten“ Gelegenheiten, die seine außergewöhnliche Nähe zu Putin demonstrierten. „Er wurde bei einer Wanderung mit Putin gefilmt und nahm Stellung zu einer Reihe von Themen, die weit über seinen offiziellen Verantwortungsbereich hinausgingen, darunter zur Strategie zur Entwicklung Sibiriens. Dies sieht zunehmend wie ein Versuch aus, Schoigu als jemanden vorzubereiten, der Putin im Jahr 2024 ablösen könnte“, so Eggert.

Schoigu ist „ein Veteran der russischen Politik“. Bereits 1991 gehörte er der ersten Regierung von Boris Jelzin an. „Putin war damals eine Nebenfigur im Sankt Petersburger Bürgermeisteramt. Auf den ersten Blick muss das gegen Schoigu sprechen. Diktatoren vertrauen in der Regel denen nicht, die ihnen ihre Karriere nicht verdanken“. Allerdings würde vieles für den Verteidigungsminister sprechen, vor allem die Ukraine-Krise, in der beide verwickelt sind. „In den Augen der Welt ist er ebenso verantwortlich wie Putin für die Annexion der Krim 2014 und – vielleicht – den Abschuss des Flugzeugs der Malaysian Airlines über dem Donbass im Juli 2014.“ Das schränkt Schoigus Chancen ein, sich im Falle einer Machtübergabe dem Westen zu nähern.

Es kann aber auch sein, dass Putin nicht die Absicht zu gehen hat und die „Schoigu-Show“ nur ein Manöver ist, um die Eliten zu testen und zu sehen, auf wessen Loyalität Putin wirklich zählen kann, meint Eggert. „Aber im Moment sieht es so aus, als ob der Verteidigungsminister darauf vorbereitet wird, in den kommenden ein oder zwei Jahren Platz zwei in Russland einzunehmen. Dies wäre ein natürliches Sprungbrett für den Spitzenjob.“

[hrsg/russland.NEWS]

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