„Schreiben Sie einfach: Aliona Doletskaya“Aliona Doletskaya © Wladimir Wasilchikow

„Schreiben Sie einfach: Aliona Doletskaya“

Jeder, der sich in Russland auch nur ein wenig für Mode interessiert, kennt Aliona Doletskaya, die erste Chefredakteurin der russischen Vogue, Fernsehmoderatorin, Schriftstellerin und eine unnachahmliche Frau. russland.NEWS sprach mit ihr darüber, ob sie sich als Stilikone betrachtet und warum es so viele Mythen über russische Frauen gibt.

In allen Veröffentlichungen, in allen Interviews werden Sie immer in erster Linie als „ehemalige Chefredakteurin der Vogue Russia“ dargestellt. Ärgert es Sie nicht?

Aliona Doletskaya: In der Tat beginnen viele Journalisten ihr Gespräch mit mir genau mit meiner Zeit bei der Vogue. Als ob ich nicht viele Jahre Dozentin an der Universität war. Als wäre ich danach nicht Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit des British Council in Russland. Heute bin ich kreative Beraterin der Tretjakow-Galerie, meiner Meinung nach ist das nicht weniger bedeutend. Viel wichtiger ist, dass ich keine ehemalige, sondern erste Chefredakteurin von Vogue und später von Interview in Russland war. Und nicht weil ich ungerne „Ex“ bin, sondern weil es wahr ist. Der erste ist jemand, der gerne Projekte startet, die andere nicht starten wollen oder wollen, aber nicht können.

Sie sind Schriftstellerin, Übersetzerin, Journalistin, Modeexpertin, Fernsehmoderatorin. Ich werde Sie nicht danach fragen, wie Sie das alles schaffen. Ich werde nach etwas anderem fragen: Glauben Sie, dass diese Fähigkeit, in vielerlei Hinsicht erfolgreich zu sein, typisch für die russische Frau ist?

Aliona Doletskaya: Irgendwann kam mein Agent zu mir und sagte, um Instagram zu betreiben, muss ich mich irgendwie entscheiden, wer ich bin. Ich meinte zu ihm: „Wissen Sie was, schreiben Sie einfach: Aliona Doletskaya“. Es scheint mir, dass eine russische Frau, wenn sie klug, gut ausgebildet, energisch und ihrem Beruf verpflichtet ist, rücksichtslos den sechsten Gang einlegt und Vollgas und ihrer Energie und ihrem Talent die Möglichkeit gibt, sich voll und ganz zu entfalten.

Für viele sind Sie auch Trendsetterin und Stilikone. Was bedeutet das für Sie?

Aliona Doletskaya: Ich habe den Eindruck, dass dies eher journalistische Klischees sind, die sowohl die Sprache als auch das Wesen der Sache verfehlen. Ich habe elf Jahre lang als Chefredakteurin einer Zeitschrift gearbeitet, die als „Bibel der Mode“ bezeichnet wird (was übrigens für das russische Ohr sehr seltsam klingt) und die Trendsetter war, weil es eine der renommiertesten Zeitschriften der Modewelt war. In Russland habe ich es geschafft, Vogue sehr einflussreich und maßgeblich zu machen. Wenn Vogue nicht über jemanden schrieb, wurde dieser Designer vom Markt einfach ignoriert. Dementsprechend hat man die Zeitschrift selbst mit ihrer Leiterin verwechselt, so dass diese „Gesetzgebung“ in Fragen Mode auf mich übertragen wurde. Nun, wie man so schön sagt: „Danke für das Kompliment“. Ich habe einen fast tadellosen Sinn für Stil und bin ein Profi auf meinem Gebiet, aber eindeutig keine Trendsetterin.

Es gibt viele Gerüchte und Mythen über Sie, wie übrigens über russische Frau generell. Warum gibt es Ihrer Meinung nach auf der ganzen Welt so viele Vorstellungen über die Russin? Übrigens lieben wir selbst viele dieser Mythen. Zum Beispiel zitieren wir immer noch Zeilen des russischen Dichters Nekrasow: „Sie bringt ein Ross zum Stehen und kann in ein brennendes Haus gehen“.

Aliona Doletskaya: Zuallererst macht sie das immer noch. Solche Nachrichten liest man sozusagen jeden Tag. Mythen werde nicht ohne Grund geboren, wahrscheinlich lassen herausragende russische Frauen unglaubliche Legenden über sich entstehen. Was Bilder über Babuschkas in Kopftüchern oder Ehefrauen von Oligarchen mit aufgeblasenen Botox-Lippen angeht, so hat das nur mit einer Sache zu tun – der Ignoranz von Journalisten. Es ist kein Mythos, sondern ein Klischee.

Nun wird überall eine neue Ethik angenommen, nach der das Geschlecht keine Rolle spielt. In Russland dagegen gibt es immer noch einen Kult der Weiblichkeit.

Aliona Doletskaya: Wir befinden uns auf dem Höhepunkt dieser Welle. Wie mein Vater, ein berühmter Chirurg, zu sagen pflegte: „Die Hauptsache ist, nicht aufzukratzen“. Ich glaube nicht, dass wir versuchen sollten, auf diesen Zug aufzuspringen. Denn einem Zug hinterherzulaufen ist langweilig und erniedrigend. Es ist besser, vor dem Zug zu laufen, wenn man über Verstand, Bildung, analytische Fähigkeiten und Familienerziehung verfügt. Wenn in einer Familie bestimmte Werte gepflegt wurden, verstehe ich nicht, warum man sich beeilen muss, sie zu verraten. Wenn eine Mutter zu ihrer Tochter sagte: „Setz dich nicht mit weit gespreizten Beinen hin. Mädchen benehmen sich nicht so.“ Warum sollten wir es aufgeben?

2009 in einem Spiegel-Interview sagten Sie: „Ich bin sicher, dass die russischen Frauen die letzten sein werden, die aufhören mit der Mode zu gehen. Sie werden ihr letztes Geld ausgeben, um gut auszusehen“. Ist es im Jahr 2020 immer noch so?

Aliona Doletskaya: Vielleicht würde ich heute das Wort „Mode“ durch das Wort „Schönheit“ ersetzen. Für eine russische Frau ist Schönheit ein sehr wichtiger Begriff. Gott bestrafte uns mit vielen Dingen, umging uns aber nicht mit Schönheit. Wir lieben es schön zu sein. Heute ist es wahrscheinlich wichtig, nicht nur schön, sondern auch gesund zu sein. Und ja, wir geben viel Geld für Kosmetikprodukte aus. Nun, da uns Schönheit geschenkt wurde, sollten wir uns um sie kümmern.

Als Sie zur Mode kamen, schauten alle nur auf westliche Marken. Inzwischen ist eine ganze Generation wunderbarer russischer Designer herangewachsen.

Aliona Doletskaya: Ich liebe sie sehr. Im Moment trage ich zum Beispiel Monochrome. Ich trage gerne Nina Donis, Walk of Shame, Ushatava, Ruban. Wenn Sie heute russische Designer tragen, bedeutet das, dass Sie etwas über Mode verstehen.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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