Bevor ich das Gespräch mit Karina Bolshenkova, Kommunikationsmanagerin des World Chess Club Moskau, beginne, studiere ich die Cocktailkarte. Alle Getränke tragen Namen berühmter Schachspieler wie Spassky, Tal oder Steinitz. Ich wähle den Capablanca-Cocktail, der Sherry und etwas Süßes enthält.
„Alle Schachspieler haben einen süßen Zahn“, erklärt mir Wlad, der Barkeeper. Das Lokal ist der populärste Schachklub in Moskau. Hier kann man lecker essen, etwas trinken und natürlich Schach spielen. Aber wie passen Alkohol und Schach überhaupt zusammen? Erfordert dieses Spiel nicht einen völlig nüchternen Kopf?
„Na ja, hier betrinkt sich ja auch niemand“, lacht Karina. „Außerdem umfasst unsere Speisekarte auch alkoholfreie Getränke, und man kann hier sehr lecker essen“. Aber natürlich kommen Menschen in erster Linie zum Schachspielen hierher, und zwar von blutigen Anfängern bis zu etablierten Spielern. Karina senkt ihre Stimme. „Übrigens, direkt hinter uns sitzt Großmeister Ewgeny Miroschnitchenko. Nach Turnieren kommen die Top-Schachspieler oft zu uns, um ihre Siege zu feiern.“
Wie und wer kam auf die Idee, eine Bar und Schach zu kombinieren? „Unsere Muttergesellschaft ist World Chess, wir sind seit langem ein kommerzieller Partner des Internationalen Schachverbandes und organisieren Meisterschaften, also die Weltmeisterschaft selbst und die Grand-Prix-Serie. Und der Club als solcher entstand aus einer Anfrage, die nach der Weltmeisterschaft 2016 aufkam. Nach dem Turnier, das in New York zwischen Magnus Carlsen und Sergei Karjakin stattfand, gab es eine Nachfrage nach einem Ort, an dem sich Schachfans versammeln, spielen und sich austauschen konnten. So entstand die Idee, den Weltschachklub in Moskau zu gründen. Wir haben 2017 eröffnet, und es stellte sich heraus, dass das eine absolut richtige Entscheidung war. Unser Club erfreut sich großer Beliebtheit. Ab 20 Uhr gibt es keine leeren Plätze.“
Also als Sergei Karjakin ein Anwärter auf den Weltmeistertitel wurde, stieg das Interesse am Schach in Russland wieder? „Ja, weil alle sehen wollten, wie sich ein Russe gegen den berühmten Weltmeister schlägt“, bestätigt Karin. „Schach ist nicht nur intellektuell interessant geworden, sondern auch stylish, modisch, einfach in. Schließlich haben wir auch das Design durchdacht. Das Schachbrett und die Figuren, die Sie sehen, sind genau die gleichen, die man bei den Weltmeisterschaften sieht“, sagt Karina stolz.
Nach der Netflix-Serie „Damengambit“ gab es einen regelrechten Wirbel um das Schachspiel. Beobachtet man dies das auch in Russland? „Auf jeden Fall! Im Dezember sind die Verkäufe unserer Schachprodukte buchstäblich explodiert. Allerdings ist das Interesse am Schach in Russland nie erloschen. Es stimmt, dass wir leider keine so starke staatliche Unterstützung haben wie zum Beispiel in Indien. Dennoch sind wir immer noch „dem ganzen Planeten voraus“, wie man so schön sagt. Im Moment läuft ein Halbfinale, und der Hauptherausforderer für das Finale ist der junge russische Schachspieler Jan Nepomnjaschtschi.
Im Club werden echte Turniere veranstaltet, manchmal sogar ohne Preise. Hier kann jeder spielen lernen, und es gibt Gruppen- und Einzelunterricht direkt in der Bar.
Ich habe gelesen, dass der? World Chess einen? Club in Berlin eröffnen will. Warum genau dort, würde ich gerne herausfinden. „Wir haben den Eindruck, dass Berlin eine der Schachhauptstädte der Welt ist. Im Jahr 2019 haben wir dort das Kandidatenfinale, also das Halbfinale der Weltmeisterschaft, veranstaltet. Und wir sahen ein großes Interesse der Berliner am Schach. In Deutschland gibt es eine sehr starke Schachkultur. Ich denke, es wäre sehr cool, in verschiedene Städte zu kommen und überall in Schachklubs spielen und Kontakte knüpfen zu können“.
[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]
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