Russlands Weg in den demografischen Abgrund

Russlands Weg in den demografischen Abgrund

[von Anastasia Byrka] Im Januar diesen Jahres hatte der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Botschaft an die föderale Versammlung die Erhöhung der Sozialleistungen und des Mutterschaftsgeldes angeordnet. Die große Frage hierbei ist, ob sich dies auf die Geburtenrate und die demografische Situation im Land auswirken wird.

Nachdem das Mutterschaftsgeld fünf Jahre nicht erhöht wurde, erfolgte zu Beginn des Jahres 2020 eine Aufstockung von 453.026 auf 466.617 Rubel. Das Geld darf dabei nur von Familien bezogen werden, in denen ein zweites oder nachfolgendes Kind geboren wurde. Verwendet werden darf es nur für klar definierte Zwecke: beispielsweise zur Verbesserung der Wohnbedingungen, für die Bildung der Kinder, einen Anteil der Rente der Mutter oder für Güter und Dienstleistungen für behinderte Kinder. Meist wird das Mutterschaftsgeld für den Kauf von Wohnungen verwendet. Die Gesamtsumme der Zahlung kann einmalig oder in monatlichen Raten ausgezahlt werden.

Auch in Bezug auf das Kindergeld gibt es zwei wichtige Änderungen. Ab dem 1. Januar erhalten Eltern Kindergeld für jedes Kind, das unter drei Jahre alt ist (vorher: unter eineinhalb Jahre). Berechtigt für diese Zahlungen sind jene Familien, deren Pro-Kopf-Einkommen, einschließlich eines neugeborenen Kindes, geringer als eineinhalb Existenzminima ausfällt (vorher: zwei Existenzminima). Mit anderen Worten erhalten von nun an mehr Familien länger staatliche Leistungen für ihre Kinder. Im Durchschnitt werden es dieses Jahr in Russland 12.000 Rubel pro Familie sein. In Moskau liegt der erwartete Betrag bei 15.225 Rubel, im Jahr 2019 waren es noch 14.329.

Die Erhöhung der Zahlungen an Familien mit Kindern soll die Geburtenzahl erhöhen und dabei helfen, aus dem „demografischen Loch“ zu kommen, in dem sich Russland derzeit befindet und das eine erhebliche Bedrohung für die Wirtschaft des Landes darstellt. Vier Jahre in Folge war die Geburtenzahl gesunken; 2017 führte ein besonders massiver Einbruch zu einem natürlichen Bevölkerungsrückgang. Laut des Föderalen Dienstes für staatliche Statistik habe die natürliche Abnahme der russischen Bevölkerungszahlen der letzten elf Jahre ihren Höhepunkt in 2019 erreicht und sich insgesamt auf 146.780.720 verringert. Ein Anstieg der Geburtenzahlen sei in den nächsten fünfzehn Jahren nicht zu erwarten.

Bis Anfang 2020 ergaben sich folgende statistische Werte für Russland: Mit 146.780.720 Einwohnern liegt das Land weltweit auf dem neunten Platz der bevölkerungsreichsten Länder und stellt 1,89 % der gesamten Weltbevölkerung. Die Bevölkerungsdichte beläuft sich auf 8,6 Personen pro Quadratkilometer. Die Sterberate liegt bei 2.030.629 Personen im Jahr, die Neugeburtenrate bei 1.862.143 und der Migrationszuwachs bei 228.556 (überwiegend durch Zuwanderer aus Tadschikistan, Kasachstan und der Ukraine). Das Durchschnittsalter in Russland beträgt 38,7 Jahre, wobei Männer im Durchschnitt 59,8 und Frauen 73,2 Jahre alt werden. Das Geschlechterverhältnis liegt bei 0,86, das heißt es gibt etwa 10 Millionen weniger Männer als Frauen.

Der hohe Geburtenrückgang ist darauf zurückzuführen, dass sich die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Geborenen (1993 und später) nun im gebärfähigen Alter befinden. Ihre Generation ist deutlich kleiner als jene der 80er Jahre – in den 90ern waren die geringsten Geburtenzahlen zu verzeichnen.

Eine Steigerung der Geburtenzahlen ist offensichtlich nur möglich, wenn die neu gegründeten Familien kinderreicher werden. Doch ist dies aktuell möglich? Zum einen, heiraten moderne Russen im Durchschnitt viel später als die Generationen ihrer Eltern oder Großeltern und bekommen dementsprechend auch später Kinder. Zweitens, gibt es immer mehr Scheidungen im Land. Tatsächlich werden die meisten Ehen bereits ein bis drei Jahre nach der Eheschließung wieder geschieden. Obwohl es in Russland immer noch mehr geschlossene Ehen gibt, als geschiedene, sinkt der Unterschied zwischen diesen Zahlen jährlich – und trägt zu einem Sinken der Geburtenzahlen bei.

Die demografische Situation in Russland verschlimmert ebenfalls die Krise der Rentenversicherungen, die durch die Einführung eines höheren Renteneintrittsalters zu überwinden versucht wird. So trat vor etwas mehr als einem Jahr ein Gesetz in Kraft, wonach das Renteneintrittsalter ab 2019 auf 60 Jahre für Frauen und 65 Jahre für Männer erhöht wurde. Wenn der bisherige demografische Trend sich fortsetzt, könnte es dennoch in 20 Jahren dazu kommen, dass die Zahl der Renteneintritte die Zahl der Neugeburten übersteigt. Was denken Sie, wie Russland aus dem „demografischen Loch” gelangen kann?

Quelle: https://www.gks.ru/

[Anastasia Byrka/russland.NEWS]

Foto: fair.org, Creative Commons 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/, keine Änderungen

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