Russlands Wahrsagern und Hexen droht Werbeverbot

Zugegeben, es mutet ein bisschen mittelalterlich an, über was die Abgeordneten der Staatsduma in einer Plenarsitzung debattierten. Hexen und Wahrsager sollen künftig keine Werbung mehr in den russischen Massenmedien schalten dürfen. Was sich im ersten Moment wie das Knistern der Scheiterhaufen einer Inquisition anhört, hat in Russland durchaus einen ernstzunehmenden Hintergrund.

Die Russen sind ein überaus abergläubisches Volk. Da wird keine Reise angetreten ohne sich vorher auf den Koffer zu setzen, das ebnet den Weg. Da werden leere Flaschen sofort vom Tisch geräumt, weil sonst Unheil droht und wehe, es wird gar Salz auf dem Tisch verstreut. Der Familienstreit ist vorprogrammiert. Den Ursprung des Phänomens sehen Wissenschaftler als Nachhall der Altslawen, die sich ihre Umwelt als komplexem System vorstellten und so die Natur für sich zu erklären versuchten. Rund 60 Prozent aller Russen glauben Umfragen zufolge auch heute noch an Verhexung und Verwünschung.

Das Erstaunliche daran ist, dieses okkulte „Wissen“ unterscheidet nicht nach Bildung oder der Stellung in der Gesellschaft. Ökonomen sehen darin mittlerweile sogar ein Problem für die staatliche Wirtschaft, da die Geschäftswelt, ja selbst die Politik mitunter dem Volksglauben unterworfen ist. Dies erkläre auch ein Stück weit das große Vertrauen, dass der russische Präsident bei der Bevölkerung genießt, erklärt Lew Gudkow, der Direktor des Lewada-Zentrums, einem Moskauer Meinungsforschungsinstitut. Das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche beispielsweise preist den Machtantritt Wladimir Putins als Gotteswunder.

Russland auf Sinnsuche im Altslawismus

„Ich denke, wir Russen waren schon immer auf Sinnsuche, so sind wir veranlagt. Ich erinnere mich, als ich noch klein war, damals in der Sowjetunion, dass jemand in der Familie zur Heilerin ging. So etwas gab es bei uns immer“, erinnert sich Jelena Gomajun, die als Parapsychologin eine Praxis betreibt. Anstatt sich durch Unterstützung der Medizin von Krankheit und Trunksucht heilen zu lassen, suchen die Betroffenen ihr Heil bei Wahrsagern und Kartenleserinnen. Oder deren Familienangehörige, denn angeblich funktioniert deren Kraft sogar telepathisch. Oder eben auch nicht, zweifeln Skeptiker.

Hersteller und Händler kleiner Ikonen und Zauberamulette als Schutz- und Glücksbringer haben Konjunktur. Kein Wunder, dass deshalb unzählige Seher, Heiler oder Scharlatane ihre Dienstleistungen in Zeitungen und im Internet anpreisen. Parapsychologische Shows im Fernsehen erreichen hohe Einschaltquoten. Dagegen versuchen nun Parlamentarier auf legislativem Wege vorzugehen. Laut den Unterzeichnern eines Gesetzesentwurfs fügen Personen, die aufgrund ihrer Aktivitäten okkulten und heilenden Dienst leisten, den Bürgern oft moralische und physische Schäden zu und verursachen dem Land wirtschaftlichen Schaden.

Die Bewerbung durch Bundesmedien für den weitesten Kreis russischer Bürger erlaubt Scharlatanen, eine große Anzahl von Kunden anzuziehen, ohne ihnen irgendwelche Garantien zu geben, und häufig betrügerische Handlungen zu begehen, heißt es weiter in dem Dokument. „Ich glaube, dass Zauberer, Heiler und so weiter Scharlatane und Betrüger sind“, sagt Vitali Milonow, Mitglied des Staatsduma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten. „All diese Fähigkeiten zur Parapsychologie sind von niemandem belegt. Wir reden ab hier von gewöhnlichem Betrug.“

Lücken im Gesetz

Auch der Parlamentarier Nikolai Gerasimenko befürwortet die Initiative: „Nicht, dass die Menschen einfach nur getäuscht werden, manchmal entwickeln sich sogar wegen dieser Betrüger zu spät diagnostizierte gefährliche Krankheiten.“ Deshalb halte er das Konzept des Papiers für gut und notwendig. Später kann es noch umgeschrieben und erneut der Staatsduma vorgelegt werden, wobei alle Kommentare und Änderungen berücksichtigt werden“, sagt Gerasimenko. Dieser Gesetzentwurf ist nicht die erste Initiative, mit der die Parlamentarier derlei „Hexendienstleistungen“, wie sie es nennen, regeln wollen.

Bereits im Jahr 2014 hatte die Staatsduma in der ersten Lesung eine ähnliche Gesetzesvorlage abgelehnt, die ein Werbeverbot für Magier, Wahrsager und Hellseher im Fernsehen verbieten wollte. Der Grund für die Ablehnung des Gesetzes war damals das Fehlen der Begriffe „Magier“ und „Hellseher“ in der Gesetzgebung. Außerdem sah das Dokument keine Strafe für die Verletzung der darin vorgeschlagenen Beschränkungen vor. Daraufhin kündigte vergangenen Dezember Sergej Wosrezow, ebenfalls Mitglied des Staatsduma-Ausschusses, einen Gesetzesentwurf zur Änderung mehrerer Artikel des Strafgesetzbuches an. Nun war die Rede von „Betrug“, „Erpressung“ und „Organisation einer kriminellen Gemeinschaft“.

„Wir müssen sowohl die Sekten in unserer Zeit abdecken als auch mit diesen Personen umgehen, die entweder einzeln als auch in Gruppen den kritischen Zustand der Menschen nutzen, Geld aus ihnen herauslocken und sich dann in Luft auflösen“, so der Kontext der Gesetzgebung laut Wosrezow. Er betonte jedoch, dass seine Initiative nicht das Verbot von Hexerei vorsehe, sondern nur den Versuch, sie in kommerzielle Bahnen zu lenken. Der Gesetzesentwurf löste einen Sturm von Diskussionen in sozialen Netzwerken aus und Menschen, die an der Hexerei verdienten, wandten sich gegen den Parlamentarier. Wosrezow und seiner Familie wurde sogar mit dem „Bösen Blick“ gedroht.

Er selbst glaubt nach eigenen Angaben nicht an Parapsychologie „Ich diene nicht Zauberern und Hellsehern, sondern meinen Wählern“, sagt er. „Deshalb werden wir nicht zulassen, dass unsere Bürger ausgeraubt werden“, schiebt Sergej Wosrezow entschlossen hinterher. Von seinen Kollegen bekommt er Unterstützung bei seiner Idee der strafrechtlichen Verfolgung derer, die durch magische Dienste verdienen. Dafür müssten sie allerdings zunächst deren Aktivitäten als illegal anerkennen. Und das dürfte gar nicht so einfach zu sein, im Russland des 21. Jahrhunderts, wo sich mitunter sogar die Politik, wie man munkelt, zum Aberglauben hinreißen lasse.

[mb/russland.NEWS]

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