[Von Ullrich Umann Moskau-gtai] – Die Sanktionen der EU und der USA gegen Russland im Bereich Erdölausrüstungen greifen höchstwahrscheinlich breiter als beabsichtigt. Denn die Bestimmungen, was geliefert werden darf und was nicht, sind recht allgemein gefasst. Dies kann Hersteller dazu veranlassen, Lieferungen komplett einzustellen, um im Zweifel nicht gegen Sanktionsbestimmungen zu verstoßen. In Russlands Ölindustrie steigen langfristig die Förderkosten. Projektstarts müssen verschoben werden.
Sanktionen der Europäischen Union
Im Sanktionsbeschluss des Rates der Europäischen Union Nr. 512 vom 31. Juli 2014 ist allgemein von „bestimmten Technologien, die für die Tiefseeexploration und -förderung von Erdöl, die Erdölexploration und -förderung in der Arktis oder für Schieferölvorhaben in Russland“ die Rede. Konkretisiert werden die betroffenen Warengruppen in der Verordnung Nr. 833 vom 31. Juli 2014 des Rates im Anhang II anhand der Zolltarifnummern.
Europäische Hersteller erhalten ab sofort keine Ausfuhrgenehmigung nach Russland, wenn ein begründeter Verdacht vorliegt, dass die Ausrüstungen in der Tiefsee, in der Arktis oder zur Schieferölförderung genutzt werden können. Die EU-Verordnung lässt dabei Ausnahmen zu, so für Lieferverpflichtungen, die aus Verträgen herrühren, die vor dem Inkrafttreten der Sanktionen am 1.8.2014 abgeschlossen wurden.
Die russische Erdgaswirtschaft hat die EU nicht mit Sanktionen belegt. Allerdings wurden die Refinanzierungsmöglichkeiten der Gazprombank auf dem EU-Kapitalmarkt eingeschränkt durch restriktive Maßnahmen, die staatliche und staatlich kontrollierte Banken betreffen.
Sanktionen der USA
Bei den US-Sanktionen handelt es sich zwar im Grunde um die selben Nomenklaturen. Doch wird im Unterschied zur EU-Verordnung stärker präzisiert. Demnach handelt es sich bei allen Vorhaben, die tiefer als 500 Fuß beziehungsweise 152,4 Meter unter der Wasseroberfläche durchgeführt werden, aus US-Sicht um Tiefseebohrungen.
Darüber hinaus ist die US-Sanktionsliste länger als die europäische. Sie umfasst zusätzlich Bohrplattformen, Ausrüstungen zum Horizontalbohren, Unterwasserausrüstungen, Hochseeausrüstungen für den Einsatz in der Arktis, Computerprogramme zum Steuern von Frackingvorgängen und für seismische Untersuchungen, ferngesteuerte Unterwasserapparaturen und Hochdruckpumpen.
Die US-Sanktionen zielen neben der Erdölindustrie auch auf die Erdgasförderung in der Tiefsee und der Arktis sowie auf die Schiefergasförderung ab.
US-Exporteure müssen ab sofort einen konkreten Nachweis erbringen, dass ihre Ausrüstungen ausschließlich in nicht-sanktionierten Vorhaben zur Anwendung gelangen. Kann dieser Nachweis nicht erbracht werden, bleibt eine Genehmigung versagt. Die US-Sanktionen sehen im Unterschied zur EU-Regelung auch keine Fristenregelung für Verpflichtungen aus Altverträgen vor.
Schwierigkeiten für den Erhalt einer Exportgenehmigung können aus dem Sachverhalt erwachsen, dass eine Reihe von Ausrüstungen oder Teilen davon sowohl zur Exploration und Förderung in nichtsanktionierten Vorhaben auf dem Land als auch in sanktionierten Offshore- oder Schieferölprojekten eingesetzt werden kann. Hier haben die für die Exportkontrolle zuständigen Behörden in der EU und in den USA einen Ermessensspielraum.
Russischer Ölkonzern sichert sich in letzter Minute wichtiges Know-how
Westliche Dienstleister für die Öl- und Gasförderung haben noch in letzter Minute mit russischen Ölgesellschaften Verträge unterzeichnet. Die in der Schweiz registrierte Weatherford International setzte zum Beispiel am 31.7.2014 ihre Unterschrift unter einen Vertrag mit Rosneft, wonach acht ihrer Explorations- und Fördervorhaben in Venezuela und Russland in die Hände der russischen Gesellschaft übergehen. Mit diesem Übernahmegeschäft ist es dem russischen Ölkonzern gelungen, sich mit Technologie und Expertise einzudecken. Weatherford erhielt im Gegenzug 500 Mio. US$, die nach eigenen Angaben in den Schuldenabbau fließen. Mit dem Verkauf sinkt der Anteil des Russlandgeschäfts am Gesamtumsatz des Schweizer Unternehmens von 7 auf 3%. Nur zwei Tage zuvor vereinbarte Rosneft mit der norwegischen Servicegesellschaft North Atlantic Drilling den Einsatz von sechs Bohrplattformen. Die Norweger werden diese zwischen 2015 und 2017 an vereinbarten Stellen im Meer verankern und für jeweils fünf Jahre zugunsten von Rosneft betreiben. North Atlantic Drilling verfügt über Erfahrungen bei Tiefenbohrungen unter den rauen klimatischen Bedingungen, wie sie im Nordatlantik herrschen.
Daneben kündigte Rosneft an, künftig verstärkt auf Bohrausrüstungen aus russischer Produktion oder aus Staaten, die keine Sanktionen verhängt haben, zu setzen. Bislang stammten bis zu 70% der Ausrüstungen aus der EU oder aus den USA. Zwar nehme die Umstellung der Beschaffung Zeit in Anspruch. Doch sei die Fähigkeit von Rosneft zur Ölförderung nach eigenen Angaben nicht kritisch beeinträchtigt, vorerst zumindest.
Restölförderung und Erschließung von Schelf-Vorkommen betroffen
Entgegen der offiziellen Beteuerungen von Rosneft dürfte die Ölförderung in absehbarer Zeit zurückgehen. Dies allein schon deshalb, weil die Fördermethoden selbst zu Lande immer aufwändiger werden und die Fördergebiete klimatisch immer unwirtschaftlich sind. Das treibt die Produktionskosten in die Höhe.
Die westsibirischen Ölfelder gelten in Fachkreisen als zu 75% abgebaut. Um ihre weitere Ausbeute rentabel zu halten, muss Spitzentechnologie angewendet werden, die im eigenen Land nicht hergestellt wird. Zudem ähnelt das Verfahren dem der Schieferölförderung. Ob USamerikanische und europäische Technologiehersteller liefern können, hängt von den Ausfuhrgenehmigungen der dortigen Kontrollbehörden ab.
Bei der Erschließung der arktischen Vorkommen dürfte die russische Ölindustrie Schwierigkeiten bekommen. Rosneft wollte das erste Rohöl aus dem hohen Norden 2018 auf den Markt bringen, Gazprom Neft ab 2025. Bis 2050 soll der Anteil der Arktis an der Gesamtölförderung 30% betragen.
Es ist davon auszugehen, dass die russische Ölindustrie Milliardenbeträge in die Entwicklung und Produktion eigener Fördertechnik investieren muss, die an anderer Stelle fehlen werden. Neben dem steigenden finanziellen Gesamtaufwand für die Ölförderung kostet die Importsubstitution wertvolle Zeit. Projekte könnten dadurch verspätet starten.
In Abhängigkeit von der Preisentwicklung auf dem Weltmarkt für Rohöl könnten kostspielige Vorhaben sogar unrentabel werden. Dagegen spricht jedoch, dass fallende Fördermengen steigende Ölpreise nach sich ziehen. Schließlich gehört Russland bei Energieträgern zu den bedeutenden Lieferanten. Im Jahr 2013 hielt das Land einen Anteil an der Weltförderung von 12,9% und belegte damit den zweiten Platz nach Saudi Arabien mit 13,1%. Die Ausfuhr von Rohöl aus Russland betrug im gleichen Jahr 236,6 Mio. t (-1,5% gegenüber 2012) im Wert von 173,7 Mrd. US$ (-4,0%).
Russland war bislang der drittgrößte Markt für Öl- und Gasfelddienstleister
Für internationale Servicegesellschaften war Russland 2013 der drittgrößte Markt nach den USA und der VR China. Halliburton und Baker Hughes Inc. erwirtschafteten in dem Land 4 bis 5% ihres weltweiten Einkommens, wie RBC Capital Markets berichtete. Bei Schlumberger waren es zeitweise sogar bis zu 6%. Ein kompletter Rückzug dieser Gesellschaften wird daher nicht erwartet.
Halliburton gab bekannt, dass es sich an die geltenden Sanktionsbestimmungen halten werde. So habe der Konzern bereits im Mai 2014 die Zusammenarbeit mit der Gesellschaft Gazprom Burenije eingestellt, da diese mit Arkadi Rotenberg von einem Unternehmer, der auf der USSanktionsliste steht, kontrolliert wird.
Abzuwarten bleibt, wie sich die Sanktionen auf die Arbeit verschiedener Joint Venture aus russischen und ausländischen Gesellschaften auswirken werden. Das Gemeinschaftsunternehmen aus Rosneft und ExxonMobil zur Erschließung des Schelfvorkommens vor Sachalin hatte erst im Juni 2014 die Bohrplattform Berkut zu Wasser gelassen. Diese soll im Rahmen des Projekts Sachalin-1 die Ölvorkommen im Nord-Ost-Schelf vor Sachalin ausbeuten. Der britische Ölgigant BP ist zu 19,75% an Rosneft beteiligt. Ein Joint Venture besteht auch zwischen der Royal Dutch Shell und Gazprom Neft.
ConocoPhillips verlässt Russland komplett, will diesen Schritt aber nicht in einen Zusammenhang mit den Sanktionen gestellt sehen. So zieht sich der Konzern seit Jahren aus dem 1992 gegründeten Joint Venture Kompanija Poljarnoje Sijanie zurück. Gegenwärtig stehen die letzten verbliebenen Aktiva zum Verkauf. Schon 2011 hatte sich der Konzern von einer Beteiligung am russischen Ölkonzern Lukoil getrennt.
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